Champions League:Piemonteser Reformfußball

Beim 3:0 im Viertelfinal-Hinspiel entlarvt Juventus mit seinem frechen Stürmer Paulo Dybala den FC Barcelona endgültig als Scheinriesen.

Von Birgit Schönau, Turin/Rom

Er ist ein Argentinier in Europa, jung und wild, wenigstens auf dem Platz, denn zu Hause baut er am liebsten mit Lego. Er erfindet Tore, wenn er 80 Quadratzentimeter Wendefläche hat; wenn's mehr sind, erst recht. Er hat ein Idol, das heißt Lionel Messi. Das war sein berühmtester Zuschauer am Dienstagabend, als Paulo Dybala beim 3:0 von Juventus Turin über den FC Barcelona im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinales zeigte, was er kann, wenn er darf: Zwei Tore in einer Viertelstunde, erzielt mit einer Verve und Eleganz, als wären sie von Messi.

Der Meister selbst erlebte einen deprimierenden Abend mit seinem FC Barcelona, erleuchtet nur von einem genialischen Zuspiel auf Andrés Iniesta, der dann an Juve-Torwart Gianluigi Buffon scheiterte. Man sah Messi, wie er den Ball am Fuß führte wie einen Hund an der Leine. Wie er nervös mit dem Schiedsrichter diskutierte, sich immer wieder verdrossen den Bart kraulte, der ihn älter aussehen lässt als die 29 Jahre, die er ist. Älter vor allem im Vergleich mit Dybala, diesem frechen, vor Temperament überschäumenden kleinen Prinzen, der Purzelbäume schlug - seine Art, ein Tor zu feiern. "Davon habe ich als Kind geträumt", gestand er später mit der ganzen Treuherzigkeit seiner 23 Jahre. Als Kind hatte er ein Poster von Messi im Zimmer. Inzwischen hat sich Dybala zu Hause den Spitznamen "La Joya" erspielt, das Juwel, aber der letzte Schliff in der Nationalelf fehlt. Noch gilt er nur als Hoffnung und kommt kaum zum Einsatz. Jedenfalls bis jetzt. Messis Sperre könnte Dybala Auftrieb geben, vor allem nach diesem rauschhaften Frühlingsabend in Turin.

Paulo Dybala of Juventus scores a goal to make the score 2 0 during the UEFA Champions League Quarte

Mit Verve, Eleganz und verdammt viel Platz im Strafraum: Turins Paulo Dybala (Mitte) tat sich gegen den FC Barcelona als zweifacher Torschütze hervor.

(Foto: Kieran McManus/imago)

Wenn da noch nicht die Entthronung des Jahrhunderttalents lief, dann sicherlich die Demaskierung des ruhmreichen FC Barcelona. Jene Mannschaft, die vor gar nicht langer Zeit den europäischen Fußball dominierte, und die soeben in einer verrückten Aufholjagd gegen Paris St. Germain doch noch ins Viertelfinale gefunden hatte (6:1 nach 0:4), wurde endgültig als Scheinriese entlarvt. Noch nie hatte Barça-Trainer Luis Enrique in Turin gewinnen können, nun musste er in der Wiege des Effizienzfußballs erneut kapitulieren. Ein Gespenst geht um in Europas Stadien, das Gespenst des italienischen Kollektivismus. Man sieht es in London, beim FC Chelsea, man sieht es in München, beim FC Bayern, und in Madrid, bei Real und Atlético, und vor allem natürlich in Turin. Überall dort, wo Trainer zu Werke gehen, die Italiener sind oder die italienische Schule absolviert haben: Allegri, Conte, Ancelotti, Zidane, Simeone (dessen Sohn beim CFC Genua spielt) wollen allesamt den Fußball nicht neu erfinden. Sie wollen ihn nicht prägen, sondern sie wollen siegen.

Diese Pragmatiker machen aus ihrer Anpassungsfähigkeit eine Tugend. Bei dem Tempo, in dem die Konkurrenz wächst, kann man sich Ideologien sowieso nicht mehr leisten. Die neuen Italiener setzen auf ihr Kollektiv, behandeln die Spieler aber nicht wie unmündige Schachfiguren. Natürlich bleibt etwas dran an der Theorie, wonach jede Mannschaft den Charakter ihres Trainers spiegelt. Aber das reicht heute nicht mehr. Juventus-Trainer Massimiliano Allegri hat als vielleicht geschmeidigster Coach der neuen Schule daraus die Konsequenzen gezogen und gar nicht erst versucht, der Mannschaft einen Stempel aufzudrücken. Kritikern fehlt daran das Revolutionäre. Dabei kann der Piemonteser Reformfußball durchaus unterhaltsam sein, unberechenbar und reich an Toren.

Champions League - Die Hinspiele im Viertelfinale

Dienstag, 11. April Juventus Turin - FC Barcelona 3:0 (2:0) Tore: 1:0 Dybala (7.), 2:0 Dybala (22.), 3:0 Chiellini (55.). - Zuschauer: 41 092. Mittwoch, 12. April Borussia Dortmund - AS Monaco Atlético Madrid - Leicester City Bayern München - Real Madrid

Rückspiele, 18. April: Real Madrid - FC Bayern und Leicester - Atlético. - 19. April: Barcelona - Turin und Monaco - Dortmund. Halbfinale: 2./3. und 9./10. Mai (Auslosung der Paarungen am 21. April). Endspiel: 3. Juni (in Cardiff).

Wie müde, ja ausgelaugt wirkte dagegen im Juventus-Stadium das zum Klischee erstarrte Barça-Ensemble. Fast schon verstörend ungelenk die Abwehr vor dem hilflosen Marc-André ter Stegen, melancholisch die großen Ballkontrolleure Iniesta und Piqué, während die drei Tenöre Messi, Neymar, Suárez nie den richtigen Ton fanden. Unweigerlich geht da eine Ära zu Ende. Sicher, auch die Motivation erschöpft sich mit der beeindruckenden Abfolge von Triumphen und Trophäen. Man mag Luis Enrique nicht widersprechen, wenn er tapfer beteuert, seine Mannschaft könne immer noch "gegen jeden" vier Tore schießen, im Rückspiel. Gegen jeden, nur vielleicht nicht gegen Juventus, deren letzter Champions-League-Pokal vor inzwischen 21 Jahren ins Regal gestellt wurde.

Der Hunger ist groß, ebenso die Entschlossenheit. Beides verkörpert niemand besser als Abwehrmann Giorgio Chiellini, der mit seinem 3:0 den Sieg gegen den Finalgegner von 2015 besiegelte - nachdem er zuvor seinen alten Widersacher Luis Suárez vor aller Augen ausgiebig geherzt hatte. Mehr noch als die drei Tore zeigte diese Szene, worin die Überlegenheit der Italiener besteht: Sie sind kampfeslustig, aber gelassen, sie behalten bei allem Einsatz ihre Selbstkontrolle. Vor drei Jahren hatte Suárez beim WM-Spiel Italien gegen Uruguay seinen Gegner Chiellini in die Schulter gebissen und dafür eine lange Sperre kassiert. Chiellini hatte prompt erklärt, die Strafe sei übertrieben. Jetzt knuddelte er den Barça-Mann, als wäre er sein persönliches Maskottchen. Vor allem aber bremste er ihn nach allen Regeln der Kunst aus.

Vor wenigen Tagen hat der 32 Jahre alte Verteidiger aus der Toskana seinen Master in Business Administration abgelegt, er gehört damit zu den wenigen Uni-Absolventen im Weltfußball. Bevor er das Fach wechselt, zeigte Chiellini noch einmal ein perfektes Spiel. The Wall nennen sie in Italien die Juve-Abwehr, auch in diesem Jahr ist sie, verstärkt ausgerechnet durch den ehemalige Barça-Profi Dani Alves, die beste der Königsklasse. Diese Mauer hielt unerschütterlich gegen den Offensiv-Primus aus Barcelona, und ihr akademisch gebildeter Polier brach auch noch bei den Gegnern ein. Dybala zeigte sein Talent, Chiellini aber bewies die Klasse eines Teams, das jederzeit über sich hinauswachsen kann. Womöglich auch im Rückspiel.

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