Mailand schäumte ob des "Verrats"; vor allem Silvas Verkauf wurde als sportliches Verbrechen gegeißelt. "Ohne ihn verlieren wir 50 Prozent des Potenzials", wetterte Stürmer Antonio Cassano, Vereins-Legende Paolo Maldini warnte: "Thiago ist nicht zu ersetzen. Sein Verkauf wäre ein Zeichen enormer Schwäche!"
An der Seine setzte sich Silva, wie schon ab 2009 in Mailand, mühelos durch. Es blieb ihm auch nichts übrig, Trainer Carlo Ancelotti hatte ihm gleich die Kapitänsbinde überreicht, zum Missfallen vieler Kollegen, die meinten, der Neue habe Lokalmatador Christophe Jallet das Amt entrissen. Andererseits, ganz abwegig wäre ja auch das nicht eingedenk des kühlen Pragmatismus', mit dem der Brasilianer den Job erledigt.
2013 wies er den FC Barcelona, Klub seines Herzens seit der Jugendzeit in Rios staubigen Vororten, gleich zweimal ab - weil Paris stets noch mehr bot und das Salär von knapp zehn auf angeblich zwölf Millionen Euro aufstockte. "Wir Profis müssen an unsere Familien denken", sagte er offen. Das Geld zählt - eine Begründung, die manchen Fan verstörte, andererseits perfekt zum Söldnerchef eines Klubs passt, der sich aus dem endlos sprudelnden Quell katarischer Investoren finanziert und Titel als Geschäftsziele betrachtet.
Allerdings hat der aktuell wohl höchstdotierte Verteidiger der Fußballwelt auch die andere Seite des Geschäfts erlebt, und auch diese intensiver als die meisten Kollegen. Monströse Zeiten waren das. Erst all die Körbe, als er mit Stiefvater Valdomiro durch Rios Klublandschaft tingelte: Flamengo, Fluminense, Botafogo, selbst Madureira und Olaria winkten nach zahllosen Probetrainings ab. 2004 dann der erste Europa-Transfer als 19-jähriges Nachwuchstalent zum FC Porto, nicht ahnend, das er eine schwere Tuberkulose mit sich trug.
Fluminese wagte den Versuch mit dem Lungenkranken
Ständig das Stechen in der Brust, statt nur einmal in der ersten Auswahl zu spielen, wurde er 2005 an Dinamo Moskau durchgereicht. Thiago Silva erhielt die Rückennummer 84 - und bezog dort, nachdem die Krankheit voll ausgebrochen war, eine gefängnisartige Lazarett-Zelle von winzigen Ausmaßen, mit einem als Toilette dienenden Bodenloch.
Dort, in einer Monate währenden Quarantäne, habe er die furchtbarste Zeit seines Lebens verbracht, schilderte er später in der Heimat. 2006 kehrte er zurück, und nur der Klub Fluminense wagte den Versuch mit dem Lungenkranken. Es war die Geburt des Monsters.