Die traurigste Erkenntnis vorneweg: Man kann nicht Opfer eines Sprengstoff-Attentats werden und 23:30 Stunden später ein brillantes Champions-League-Spiel abliefern. Die Fußballer von Borussia Dortmund, die am Dienstagabend inmitten explodierender Bomben in ihrem Mannschaftsbus gekauert hatten, verloren am Mittwochabend das Viertelfinal-Hinspiel gegen AS Monaco trotz einer starken zweiten Halbzeit mit 2:3 (0:2). Die Rückverwandlung traumatisierter junger Männer in unbelastete Fußballer dauert länger als einen Tag.
"Bis zum Anpfiff war bei mir alles im Kopf, nur kein Fußball. Was gestern passiert ist, wünsche ich niemandem. Wir haben erst Zuhause realisiert, wie viel Glück wir hatten. Ich weiß, dass der Fußball wichtig ist, aber wir sind auch nur Menschen", sagte Nuri Sahin. Und Julian Weigl ergänzte: "Jeder funktioniert in so einer Situation anders. Wir konnten am Anfang nicht so frei spielen. In der zweiten Halbzeit haben wir die Köpfe ausgeschaltet und Gas gegeben." Ein Lob gab es von Trainer Thomas Tuchel: "Die Sache ist nicht vergessen oder verarbeitet. Wir haben das Beste daraus gemacht. Die Mannschaft hat Mut und Courage gezeigt."
Die frühe Spielansetzung keine 24 Stunden nach dem Anschlag auf den Teambus kritisierte er allerdings deutlich: "Wir fühlten uns komplett übergangen, als es hieß: Morgen seid ihr dran", sagte Tuchel. "Wir hätten uns gewünscht, mehr Zeit zu bekommen, das zu verarbeiten. Wir hätten uns mehr Zeit gewünscht, damit umzugehen." Es sei nur zu entscheiden gewesen, "ob gleich noch gespielt wird oder am nächsten Tag - so war es ein ohnmächtiges Gefühl."
Monaco verschießt einen Elfmeter
Um 17.28 Uhr waren die Dortmunder mit ihrem Zweitbus im Stadion angekommen. Sie zeigten routinierte Mienen, man konnte nicht erkennen, wie es ihn ihnen aussieht. Tuchel hatte jedem Einzelnen freigestellt, ob er sich zu spielen zutraut. "In der Mannschaft herrscht eine gemischte Gefühlslage", hatte er gesagt. Allerdings hätte jede Absage die Personalnot des BVB nur noch verschärft. Und so fühlten sich doch alle willens.
Als die Dortmunder in Trainingsanzügen den Rasen betraten, war das Stadion noch fast leer, aber die Zuschauer, die schon da waren, applaudierten ihnen - besonders die Monaco-Fans. Es herrschte vor dem Spiel eine tröstliche Stimmung der emotionalen Einvernehmlichkeit. Beim traditionellen "You'll never walk alone" kurz vor dem Anpfiff wirkten alle besonders wehmütig. Das Publikum war durch die Ereignisse über Nacht prominenter geworden. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und DFB-Präsident Reinhard Grindel zur Solidaritätsbekundung eigens zum Nachholspiel angereist waren, konnte der tags zuvor noch anwesende Prinz Albert von Monaco aber nicht dableiben.
Den Dortmundern fehlten Marco Reus, Mario Götze, André Schürrle, Erik Durm, Gonzalo Castro - und das Anschlagsopfer Marc Bartra. Julian Weigl, Shinji Kagawa und Lukasz Piszczek kehrten in die Startelf zurück. Sven Bender ersetzte nach längerer Verletzungspause Bartra. Tuchel bot seine Startelf im erwarteten 3-4-3-System auf, eine Formation, die über die besonderen Unstände hinaus besonderen taktischen Mut erfordert hätte. Mut hatte Tuchel ohnehin zur Schlüssel-Qualifikation erklärt gegen Monaco als eine der treffsichersten Mannschaften Europas. 133 Tore hatten die Monegassen zuvor in 51 Pflichtspielen erzielt.
Das Spiel war zu Beginn noch auffällig körperlos. Mit kaum Zweikämpfen und wenigen Berührungen hatte diese Partie zunächst mehr von einem Freundschaftsspiel als von einem Champions-League-Viertelfinale. Die Ereignisse der vorangegangenen 24 Stunden steckten allen Beteiligten in den Knochen. Dortmunds Sokratis hielt im Strafraum das französische Wunderkind Kylian Mbappé, das sich, oh Wunder, abgezockt fallen ließ und einen dennoch angemessenen Elfmeter erwirkte. Diesen schoss Fabinho in der 17. Minute allerdings flach neben das Tor.
Der Jubel des erleichterten BVB-Publikums war aber erst zwei Minuten verhallt, als Mbappé auf Vorlage von Thomas Lemar doch Monacos 1:0 erzielte. Er hatte bei der Ballabgabe jedoch deutlich im Abseits gestanden. Das Schicksal und Schiedsrichter Daniele Orsato aus Italien meinten es nicht gut mit den ohnehin angeschlagenen Dortmundern.
Man merkte ihnen deutlich an, wie belastet sie auftraten. Pierre-Emerick Aubameyang (11.) und Shinji Kagawa (31.) hatten zwar gute Chancen besessen, doch als Bender in der 35. Minute eine Flanke von Andrea Raggi vor dem einschussbereiten Radamel Falcao per Flugkopfball ins eigene Tor beförderte, war das zur Therapie angedachte Spiel bereits zum Alptraum geworden. Falcao hatte Bender kurz zuvor touchiert, auch dies passte ins Bild bemitleidenswerter Dortmunder. Mit Nuri Sahin und Christian Pulisic für Bender und Marcel Schmelzer versuchten die Dortmunder in der zweiten Halbzeit mit Macht, die Partie auf dem Tiefpunkt noch zu drehen. Tuchel klatschte ihnen Mut zu.
Und es gab einen Hoffnungsschimmer: Nach einer wachsenden Zahl guter Zuspiele in den Strafraum ermöglichten Aubameyang mit einem artistischen Hackentrick und Kagawa per Vorlage dem Franzosen Ousmane Dembelé in der 57. Minute den 1:2-Anschlusstreffer für Dortmund. Der Ausgleich wäre verdient gewesen, allerdings lud Lukasz Piszczek Mbappé in der 79. Minute mit einem Fehlpass zum 3:1 ein. Kagawa verkürzte in der 84. Minute nur noch auf 2:3.