Süddeutsche Zeitung

ManCity gegen Real:Ein schlechter Witz überlagert das furiose Spiel

Manchester Citys 4:3 gegen Real Madrid lässt sich logisch erklären. Während die Guardiola-Elf vorne zaubert, herrscht auf den Abwehrflanken Not - obwohl Außenverteidiger für rund 250 Millionen Euro gekauft wurden.

Von Sven Haist, Manchester

Im Anschluss an das wilde 4:3 gegen Real Madrid war Pep Guardio­la auch weit nach dem Abpfiff noch aufgedreht. Nach einer Reihe von Fernsehinterviews am Spielfeldrand lief der Trainer von Manchester City mit schnellen Schritten auf den Platz. Auf Höhe der Mittellinie deutete er im Spaß einen Pass zu Reals Einwechselspieler Marco Asensio an, der auf dem Rasen noch ein Laufpro­gramm absolvierte. Daraufhin lief sich Guardiola im Stile eines Außenverteidigers frei - mit ei­nem kurzen Antritt die Linie runter, wie es im Fachjargon heißt. Das war eine hübsche Pointe dieses Abends, denn auch zuvor standen die Außenverteidiger im Fokus.

Für Guardiola ist es das Größte, wenn ein Fußballspiel seinen hohen ästhetischen Erwartungen entspricht, dann ist der Katalane kaum einzukriegen vor Entzückung. Das Problem war nur: Dieses furiose Halbfinal-Hinspiel hatte kein festliches 4:0 für City ergeben, sondern ein fürs Rückspiel tückisches 4:3. Erst zweimal waren bisher in der Königsklasse in einem Semifinale sieben Tore gefallen - beim 5:2 zwischen Ajax Amsterdam und dem FC Bayern 1995 und bei einem weiteren 5:2 zwischen Liverpool und Roma 2018. Aus City-Sicht ergab das 4:3 zudem einen krassen historischen Kontrast zum Halbfinale gegen denselben Gegner 2016: Damals, kurz vor Guardiolas Ankunft in Manchester, verkam City gegen Real fast zur Lachnummer, weil die schon seinerzeit sündteure Mannschaft in 180 Minuten kein einziges Mal gefährlich aufs Tor schoss (0:0 und 0:1).

Diesmal hingegen: ein Torreigen! Weil sich Citys Angriffskraft, die in sechs Pep-Jahren beeindruckend entwickelt wurde, mal wieder mischte mit Unzulänglichkeiten in der Abwehr. In seiner imposanten Offensive fand City auf alle strategischen Winkelzü­ge von Real-Coach Carlo Ancelotti neue Lösungen, die zu vier zauberhaften Toren führten und zu Chancen für mindestens doppelt so viele. Doch so flexibel wie vorne, wo Guardiola beinahe nach Belieben variieren kann, ist der englische Meister in der Defensive nicht aufgestellt, vor allem nicht auf den Außenbahnen. Und speziell auf diesen Positionen wird sich City am kommenden Mittwoch geschickter anstellen müssen, um in Madrid nicht schon wieder den Traum vom ersten Henkelpott-Titel der Klubgeschichte platzen zu sehen.

Im Hinspiel musste Guardiola improvisieren, denn die sonst gesetzten Seitenspieler Kyle Walker (Knöchelprobleme) und João Cancelo (Gelbsperre), für die im Kader kein gleichwertiger Ersatz bereitsteht, fielen aus. Während als Linksverteidiger Oleksandr Sintschenko auflief, immerhin auf gewohnter Position, half rechts hinten der Innenverteidiger John Stones aus - bis er nach einer halben Stunde verletzt vom Feld musste. Vor einer Woche hatte Stones im Ligaspiel gegen Brighton eine Oberschenkelblessur erlitten. Obwohl sein Mitwirken bis kurz vor Anpfiff fraglich war, nominierte ihn Guardiola für die Startelf - aus Mangel an Alternativen.

Der Brasilianer Fernandinho, 36, wird City am Saisonende verlassen

Nach der Stones-Auswechslung übernahm notgedrungen der Allrounder und Routinier Fernandinho die Position in der Viererkette. Der Brasilianer, 36, wird City am Saisonende verlassen. Doch weder er hinten rechts noch Sintschenko links schienen dem Anforderungsprofil, das sich aus der Klasse ihrer Gegenspieler ergab, gewachsen zu sein. Bei Reals Anschlusstreffer zum 1:2 (33.) gelang es Sintschenko nicht, den Doppeltorschützen Karim Benzema ausreichend zu stören. Genauso wenig konnte Fernandinho im Duell mit dem pfeilschnellen Vinicius Júnior mithalten. Vor Reals 2:3 (55.) hatte er auf der Außenbahn weit vorne im Mittelfeld auf einen Ballgewinn gegen Vinicius spekuliert, den Zweikampf aber verloren. Daraufhin startete sein 15 Jahre jüngerer Landsmann im Real-Trikot einen sehenswerten Alleingang, den er mit einem trockenen Torschuss beendete.

Wie angespannt die Personallage bei City war, verdeutlichte Guardiola nach dem Spiel, indem er sich bei Stones und Fernandinho "für ihren Einsatz" extra bedankte. Der Trainer nahm Fernandinho in Schutz, der habe "alles" dafür getan, um den "herausragenden" Vinicius zu kontrollieren. Die Times kommentierte süffisant, es sei der "Witz schlechthin", dass "dem reichsten Klub der Welt" in der entscheidenden Saisonphase ein Mangel an Abwehrpersonal zu schaffen mache. Seit 2016 hat City in der Guardiola-Ära allein die schwindelerregende Summe von rund einer Viertelmilliarde Euro investiert, um sieben neue Außenverteidiger zu kaufen.

Der knappe 4:3-Vorsprung bedeutet, dass es für City beim Wiedersehen mit Real erst mal um Torverhinderung gehen wird. Guardiola hofft, neben dem wieder spielberechtigten Cancelo in Madrid auch Walker einsetzen zu können. Falls aber alle Stricke reißen, dann hat sich ja vielleicht Guardiola selbst am Dienstagabend für einen Notfalleinsatz als Außenverteidiger warmgelaufen.

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