Champions League: Manchester - München:Schwimmstunde, Traumtor - Halbfinale!

Lesezeit: 4 min

2:3 nach 0:3: Ivica Olic und Arjen Robben sichern dem FC Bayern im turbulenten Viertelfinale von Manchester das Weiterkommen. Dort wartet Lyon.

Die vergangenen Wochen hatten dem FC Bayern die sonnige Aussicht eröffnet, sich mit einer Supersaison auf dem hauseigenen Briefpapier zu verewigen: Eintritt ins Pokalendspiel, wieder Erster in der Liga, 2:1 im ersten Champions-League-Viertelfinale gegen das mutmaßlich übermächtige Manchester United - schon schillerte das "Titel-Triple" am Horizont.

Dem Vorstandschef kam all der Frohsinn "fast schon einen Schuss zu euphorisch" vor, so sagte es Karl-Heinz Rummenigge, bevor er in den Flieger nach England stieg. Es wurde dann zunächst sehr schnell sehr finster für die Bayern am Mittwochabend in der Fußball-Kathedrale von Old Trafford: 0:1 nach drei Minuten, 0:2 nach sieben, 0:3 nach 41 - Manchester schien kurzen Prozess zu machen im Rückspiel.

Doch mit typisch bayerischer Unbeugsamkeit und ihrer zuletzt erlangten psychischen Stärke kamen die Münchner kraftvoll zurück und schafften durch Olic (43.) und Robben (74.) doch den Eintritt ins Halbfinale. Wieder durch ein 2:3, wieder durch ein rettendes Traumtor von Robben, wie schon im Achtelfinale von Florenz. Nach dieser herkulischen Leistung erscheint nun alles möglich im Halbfinale gegen Olympique Lyon.

Das Medizinressort der Bayern hatte alle Kräfte mobilisiert fürs große Spiel. Arjen Robben (Wade) und Abwehrchef Daniel van Buyten (Knie) standen auf dem Aufstellungsbogen, wie erhofft. Wie von manchen Münchnern befürchtet, ließ die Kriegslist des gegnerischen Trainers allerdings auch - simsalabim - Wayne Rooney dort auftauchen. Damit nicht genug der Überraschungen, die Sir Alex Ferguson für das Duell der Groß-Hirne mit Louis van Gaal ausgeheckt hatte. Der Brasilianer Rafael, 19, ersetzte als Rechtsverteidiger Routinier Neville, 35. Und das ManU-Mittelfeld bereicherte der irische Jüngling Darron Gibson.

"Diesmal ab der ersten Minute bereit sein!", hatte Robben den eigenen Hinterleuten ins Pflichtenheft geschrieben - ein Warnhinweis wegen des 0:1 im Hinspiel in der 64.Sekunde. Es blieb beim Vorsatz, es kam - noch schlimmer. Rafael, von Ribéry kaum belästigt, passte vom rechten Flügel in die Spitze zu Rooney, dem vermeintlich verletzten Sturmbullen der Briten, Rooney ließ prallen zu Gibson, der schüttelte Schweinsteiger ab und schoss den Ball auf flatternder Bahn ins Tor; Verteidiger Demichelis konnte nicht blocken, Torwart Butt nicht halten - 1:0 (3.), durch eine Zusammenarbeit der drei Überraschungsspieler Fergusons: Rafael, Rooney, Gibson, es sah aus wie ein geübtes Kombinationsmuster.

Nun war Schwimmstunde im Münchner Abwehrpool. Ein erhabener langer Pass von Rooney erreichte rechts vorne Valencia, Bayerns junger Linksverteidiger Badstuber ließ sich vom Ecuadorianer austricksen - und dessen Flanke verwandelte Nani zum 2:0 (7.), kunstvoll mit der Hacke, wie einst ein gewisser Rabah Madjer (FC Porto) gegen die Bayern im Europacup-Finale 1987.

Nani hatte sich clever mit zwei, drei flinken Schritten zum Ball in ein Vakuum zwischen den Verteidigern Lahm, van Buyten und Demichelis bewegt, alle drei blickten hinaus auf den Flügel, zum Ball, zum Flankengeber; und niemand über die Schulter, zum Torschützen. Es war der nächste Schnitzer der Münchner Hintermannschaft, die es allen Kritikern zeigen wollte, die ihre Tauglichkeit auf europäischem Topniveau angezweifelt hatten.

Die mentale Kraft, sich nach Rückschlägen zu reorganisieren, sie war zuletzt schon ein zentraler Erfolgsfaktor der Bayern. Würden sie auch diesmal, nach dieser kalten Doppeldusche, aufstehen? Es wurde ruhiger in Old Trafford, Rooney humpelte mal kurz durchs Bild, dann rannte Rafael im Konter alleine auf Butt zu, er verzog jedoch (34.) - eine Riesenchance aufs 3:0.

Und als die Bayern soeben durch Ivica Olic (39., nach Pass von Sturmpartner Müller) erstmals gefährlich vor dem ManU-Tor aufgetaucht waren, da fiel dieses - vermeintlich vorentscheidende - 3:0 (41.) dann doch. Wieder durch Nani, den Portugiesen; wieder initiiert über rechts durch Valencia, der nach einem schnell ausgeführten Einwurf Badstuber entwischte und auch von Demichelis nicht von der flachen Hereingabe zur Mitte abgehalten wurde.

Wer sich nun für einen Moment lang beklemmend an Barcelona vor genau 365 Tagen erinnert fühlte, an jenes apokalyptische 0:4 der Bayern im letztjährigen Viertelfinale der Meisterklasse - der sah zwei Minuten später, wie der Ball über Schweinsteiger (Chip-Pass) und Müller (Kopfball-Verlängerung) erneut bei Olic ankam.

Der Kroate kochte im Strafraum-Zweikampf Carrick ab und schoss aus spitzem Winkel flach zum 1:3 ins hintere Toreck (43.). Olic, schon im Hinspiel der geknuddelte Siegtorschütze, brachte Hoffnung und Antriebskraft schlagartig zurück in sein Team. Und, welch irre Wendung dieser Halbzeit: Hätte ManUTorwart van der Sar nicht vorzüglich pariert nach einem verdeckten 20-Meter-Schlenzer von Robben (45.+1), dann wäre der FC Bayern schon während der Halbzeitpause Halbfinalist gewesen. "Von der Halbzeit an habe ich wieder ans Weiterkommen geglaubt", sagte Präsident Uli Hoeneß nach dem Spiel.

Geniestreich der Ausnahmestürmer

Nun wurde es ein packender Fight. Mario Gomez kam als zusätzlicher Stürmer, und Manchesters Rafael bereicherte den Spannungseffekt, indem er sich mit Gelb-Rot aus dem Spiel foulte (49., gegen Ribéry). Ribéry hatte volley die erste dicke Chance zum benötigten 2:3, van der Sar war auf der Hut (59.). Vis a vis, verhinderte Butt das 1:4 (64.), gegen ein Schrägschuss von Nani.

Und dann entschied ein Geniestreich der Münchner Ausnahmstürmer das Duell: Ribérys Eckball an die Strafraumgrenze lud Robben ein zum Volleyschuss ins Glück, präzise rein ins linke untere Eck - 2:3 (74.). "Ein unglaubliches Tor", sagte van Gaal nach dem Spiel, Franz Beckenbauer forderte gar, den Treffer zum "Tor des Jahres" zu küren. Robben selbst sagte bescheiden: "Das hört sich jetzt einfach an, aber ich wollte mit Kraft und Technik schießen."

Beim entscheidenden Treffer von Robben ballte van Gaal nur kurz die Faust - und die Vorständler auf der Tribüne wenig später auch.

© SZ vom 8.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: