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FC Liverpool:Sehr viel Geld sehr sinnvoll investiert

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Der FC Liverpool wählt den menschlichen Weg des Fußball-Kapitalismus - und ist nun Champions-League-Sieger. Andere Mannschaften können daraus lernen.

Kommentar von Martin Schneider, Madrid

Wenn nun über diesen Liverpooler Sieg in der Champions League gesprochen wird, dann geht es viel um Emotionen. Das ist so richtig wie falsch, denn wie soll man das 4:0 im Halbfinale an der Anfield Road nach 0:3 im Hinspiel gegen den FC Barcelona sonst erklären ohne eine riesige Portion Glaube, Liebe, Adrenalin? Dieser Teil der Wahrheit hat seinen völlig berechtigten Platz in der Erzählung rund um dieses Team vom River Mersey.

Darum vielleicht kurz zum anderen Teil. Nämlich dem, dass sich Jürgen Klopp und alle anderen Entscheidungsträger dieses Klubs in den vergangenen Jahren wirklich auf allen Ebenen erschreckend klug angestellt haben. Das Fundament dieses Erfolges ist Planung und nichts verdeutliche das besser als die beiden Spieler Alisson Becker und Virgil van Dijk, die in Madrid die besten auf dem Platz waren.

Van Dijk wurde von der Uefa als "Spieler des Spiels" ausgezeichnet und es sagt etwas aus, wenn die notorisch effekthascherischen Verbandsmenschen einen Verteidiger ehren. Aber was sollten sie auch tun? Die Szene des Abends, neben dem Elfmeter, erreignete sich in der 75. Minute: Tottenhams Heung-Min Son nahm Tempo auf sprintete mit enormer Geschwindigkeit auf das Tor von Alisson Becker zu. Sons Spezialität ist das kraftvolle Sprinten, van Dijks Spezialität ist der Kopfball. Und was passierte? Van Dijk lief ihn ab. Wie übrigens jeden anderen Gegner in der Champions League. Kein Spieler, die Statistik lieferte das Portal Opta gestern Abend noch, hat es geschafft, in diesem Wettbewerb an ihm vorbeizudribbeln. In Zahlen: 0.

Mit van Dijk ging Liverpool ins Risiko

Van Dijk ist aktuell der beste Verteidiger der Welt und wie gut er ist, das sah man daran, dass ihn Reporter fragten, ob er denn denke, dass er Weltfußballer werden kann. Aber van Dijk ist so eine Geschichte, bei der es hinterher alle gewusst haben. Zur Erinnerung: Liverpool holte ihn zu Neujahr 2018 für die Rekordsumme von 84,5 Millionen Euro vom FC Southampton. Das ist ungefähr so, als würde der FC Bayern diese Summe für einen Abwehrmann des VfL Wolfsburg hinlegen. Wenn das schiefgeht, sind die Kritiker schneller auf der Matte als Jürgen Klopp die Zähne fletschen kann. Wie kann man nur so viel Geld ausgeben? Für einen Abwehrmann von einem besseren Mittelklasse-Klub?

Aber Klopp und sein Team hatten erkannt, dass man eine Mannschaft nicht nur vom Sturm her denken kann, so wie es andere Klubs, etwa Paris-Saint-Germain, immer noch tun. Und dass ein außerordentlicher Abwehrspieler genau die Summe wert ist. Ebenso war es auf der Torhüter-Position: Klopp verlor Pokale, weil seine Torhüter nicht Weltklasse waren: Simon Mignolet patzte immer mal wieder, Loris Karius 2018 im Champions-League-Endspiel gegen Real Madrid, auch wenn man Karius kaum etwas vorwerfen mochte, weil er unter einer Gehirnerschütterung litt. Aber dass beide keine echten Spitzenkräfte waren, das war offensichtlich.

Die vergangenen Liverpooler Jahre sind ein Musterbeispiel dafür, wie man sehr viel Geld sehr sinnvoll einsetzt. Den "dritten Weg des Fußball-Kapitalismus", nannte es die britische Zeitung Guardian. Vielleicht könnte man es auch den menschlichen Weg nennen. Der Klub hat an den richtigen Stellen investiert - und an anderen Stellen nicht investiert, sondern zum Beispiel einem jungen Kerl aus Liverpool namens Trent Alexander-Arnold vertraut. Wie viele englische Klubs haben in der Vergangenheit mit Geld um sich geworfen (Manchester United lässt grüßen). Gleichzeitig stieß eine Mannschaft wie Tottenham im Finale an ihre Grenzen, die jeden Euro zuletzt nicht in Spieler, sondern ins neue Stadion steckte. Auch keine schlechte Investition, aber der ein oder andere Klasse-Spieler hätte Pochettinos Team im Endspiel geholfen.

Doch die Spurs zu kritisieren, wäre sehr unfair, denn diese Mannschaft ist gewachsen. Klopp entwickelte sein Team ebenfalls über Jahre hinweg, im Kern spielen die prägenden Akteure schon sehr lange zusammen, verstehen sich, erschaffen eine eigene Geschichte. Das entwickelt mehr Power als jeder Individualsportler es könnte. Alle Champions-League-Titel seit Bayern 2013 wurden von Teams gewonnen, deren Kern mit der Zeit zusammenfinden durfte.

Liverpool hat all dies berücksichtigt - und ist nun die beste Mannschaft Europas. Andere Teams können daraus lernen. Nur eine Sache nicht: den Faktor Klopp. Den kann man nicht kopieren.

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