Andreas Thiel kann sich noch gut an sein Erstaunen erinnern. Er hatte seine Reise ergebnisoffen angetreten, wie man das heute so sagt, er hatte sich vorgenommen, nichts zu erwarten und die Dinge einfach auf sich wirken zu lassen. Aber tief in seinem Innern ist Thiel natürlich immer noch Handballtorwart, er ist immer noch der Mann, der den Kosenamen "Hexer" trug. In seiner gepflegten, sehr selbstironischen Handballtorwartüberheblichkeit ist er im Jahr 2011 also der Einladung des Deutschen Fußball-Bundes gefolgt, als special guest sollte er im Quartier der damaligen U21-Auswahl die deutschen Keeper trainieren. Im deutschen Fußball sind sie inzwischen ja rasend modern, vor allem haben sie sich in eine Art fächerübergreifenden Unterricht verliebt. Die jungen Fußballer sollen von Hockeyspielern lernen, von Golfspielern, Rennfahrern, Handballern.
"Ich war wirklich erstaunt, wie beweglich Fußballtorhüter inzwischen sind", erinnert sich Thiel ein paar Jahre nach seinem kleinen Ausflug. Der 55-Jährige, der ansonsten nur Handballtorhüter trainiert, sagt mit einem Schmunzeln, "dass wir Handballer uns gerne einreden, dass wir mit unserer Geschmeidigkeit die wahren Torhüter sind" - ein Urteil, das Thiel nach seinen Erfahrungen bei den Fußballjunioren gerne kassiert hat. Seine Testpersonen waren damals Oliver Baumann, heute Hoffenheim und - für Thiel besonders beeindruckend - Kevin Trapp, heute Champions League.
Trapp mit einem Hexer-Reflex
Es gibt keine Szene, die Thiels These besser untermalen könnte als diese eine Szene aus dem Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales zwischen Paris Saint-Germain und dem FC Chelsea. Es lief am Dienstagabend die 23. Spielminute, als Kevin Trapp, 25, einen Reflex zur Aufführung brachte, auf den jeder Hexer stolz wäre. Einen gemäß Branchenlogik unhaltbaren Kopfball des Chelsea-Angreifers Diego Costa wischte er mit einer handballtorwartartigen Bewegung an die Latte - "eine unglaubliche Parade", staunte die Sportzeitung L'Équipe, und man muss davon ausgehen, dass der Stürmer Diego Costa dasselbe dachte, wenn auch möglicherweise nicht auf Französisch. Kurz nach der Pause musste Costa schon wieder staunen, als er frei vor Trapp aufkreuzte und dieser, statt den Ball passieren zu lassen, schon wieder eine unglaubliche Parade zeigte.
Es war auch und vor allem Trapps Verdienst, dass Saint-Germain den FC Chelsea nach Toren von Ibrahimovic (39.) und Cavani (78.) 2:1 besiegte, bei einem Gegentreffer von Mikel (45.). Und es wird auch und vielleicht vor allem von Trapp abhängen, ob der schmale Vorsprung ausreicht, um den vom Emirat Katar mit unermesslichen Reichtümern ausgestatteten Klub ins Viertelfinale zu bringen.
"Trapp macht die Klöpse zu Saisonbeginn vergessen"
"Endlich hat Trapp ein vorbildliches Spiel gezeigt, aber ich mache mir keine Sorgen, es wird weitere geben", lobte Trainer Laurent Blanc, wobei in seiner Ruhmesrede, nur notdürftig getarnt, ein Teil der Vorgeschichte miterzählt wurde. Die Vorgeschichte geht so, dass Paris im Sommer 9,5 Millionen Euro in einen talentierten Torwart aus Frankfurt investierte, der sich sofort gegen den italienischen Rivalen Sandro Sirigu behauptete, in sein imposantes Spiel aber immer wieder ein paar Fehlerchen mischte. "Trapp macht seine Klöpse zu Saisonbeginn vergessen", bilanziert die Zeitung L'Express nun mit einiger Begeisterung.
Noch ist offen, welche beiden Torhüter der Bundestrainer Joachim Löw bei der EM im Sommer dem unumstrittenen Hexer Manuel Neuer an die Seite stellen wird, ob Marc-André ter Stegen, Bernd Leno, Ron-Robert Zieler oder eben Trapp. Trapp ist der einzige aus diesem Quartett, der in Liga und Champions League spielt, und er weiß: Mit jeder unglaublichen Parade steigen seine Chancen.