Ronaldo in der Champions League:Der Coup offenbart sich als Flop

Champions League: Ronaldo beim Spiel Juventus Turin gegen FC Porto

Einer, der es gewohnt ist, hoch in der Luft zu schweben, ist am Boden angekommen: Cristiano Ronaldo versteht gegen Porto die Fußballwelt nicht mehr.

(Foto: Fabio Ferrari/LaPresse/imago)

Juventus hatte Cristiano Ronaldo als Sieggarant nach Turin geholt - nun trägt er wesentlich zum frühen Aus gegen Porto bei. Italien diskutiert das Ende seiner Ära bei Juve.

Von Oliver Meiler, Rom

Bei einem, der sehr hoch steigt, wenn er springt, ist auch die Fallhöhe besonders groß. Das liegt nun mal in der Natur der Dinge, buchstäblich und sprichwörtlich. Als Juventus vor drei Jahren Cristiano Ronaldo zu sich holte, dachte man vor allem an Abende wie den Dienstagabend in der Champions League: Turin, Rückspiel im Achtelfinale gegen den, nun ja, im Vergleich und mit Verlaub recht bescheidenen FC Porto. Er sollte komplizierte Spiele lösen, "risolvere", als wären sie verknotet. Notfalls auch ganz allein.

Seit 25 Jahren hat Juve die Königsklasse nicht mehr gewonnen. Das ist ein Vierteljahrhundert. 25 Mal hat also ein anderer Klub gewonnen, man muss sich das mal vorstellen. Eine Schmach, und das mutet man einer alten Dame nicht zu. Es sollte wieder nicht sein, in der Endabrechnung stand es 4:4, Porto hat dabei aber ein Auswärtstor mehr erzielt als die Turiner. Juventus ist schon wieder früh draußen, zum dritten Mal in Serie in der Ära Ronaldos, und erneut scheiterte der Klub an einem vermeintlichen Wunschgegner: 2019 war es Ajax Amsterdam im Viertelfinale, 2020 dann Olympique Lyon im Achtelfinale. Und wieder war der Knotenlöser, auf den alle gewartet hatten, kein Erlöser, schlimmer noch: Ronaldo trug wesentlich zum "Desaster", zum "Albtraum", zum "Untergang" bei, wie die Zeitungen nun titeln. Mit einer schwachen Leistung und einem Sprung mit eingebauter Pirouette in der Verlängerung, von dem selbst der sonst so stille und diplomatische Trainer Andrea Pirlo später sagen sollte: "Er hat sich noch nie so gedreht, das war ein Fehler."

Es lief die 115. Minute. Juve führte 2:1 und hatte Chancen en masse. Porto war zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als einer Stunde zu zehnt und kämpfte mit letzter Kraft und mit der alleinigen Aussicht auf die Lotterie des Elfmeterschießens. Mittendrin Pepe, unverwüstlich wie ehedem, mit diesem Biss aus einer anderen Zeit: ein Turm, oft höher als der Paradespringer Ronaldo, sein Freund und Kamerad aus tausend Schlachten mit Real Madrid und der portugiesischen Nationalmannschaft.

Dann gab es einen Freistoß für Porto, etwa dreißig Meter von Juves Tor entfernt, halblinks, keine sonderlich vielversprechende Lage. In der Mauer der Turiner stand auch Ronaldo, das gehört nun mal dazu. Sergio Oliveira lief an, schoss flach, und da sprang also Cristiano Ronaldo denkwürdig unmotiviert hoch, drehte sich in der Luft, wie das kein Jugendspieler jemals unbescholten tut, der Ball passierte seine Beine und überraschte Juves Torwart in der nahen Ecke. 2:2. Fünf Minuten blieben noch, zwei Tore waren jetzt nötig. Doch es gelang nur noch eines.

Ronaldo in der Champions League: Juve-Torhüter Wojciech Szczesny kommt nicht mehr an den Ball, nachdem dieser die löchrige Mauer um Cristiano Ronaldo passiert hat.

Juve-Torhüter Wojciech Szczesny kommt nicht mehr an den Ball, nachdem dieser die löchrige Mauer um Cristiano Ronaldo passiert hat.

(Foto: Fabio Ferrari/AP)

Der vermeintliche Coup offenbart sich als Flop

Alle italienischen Blätter haben Cristiano Ronaldo zum schwächsten Akteur des Spiels gewählt: Note 4 oder 4,5 von maximal 10. Und so debattiert nun also Turin und mithin ganz Italien darüber, ob es nicht Zeit sei, die Ära Ronaldo zu beschließen, ob der Zyklus nicht ausgefranst sei. Ein Jahr vor Ablauf des Vertrags. Mit der bitteren Erkenntnis, dass in diesem Kollektivsport einer allein selten ausreicht für eine dauerhafte Siegesgarantie. Selbst wenn dieser eine CR7 ist und so viel verdient wie die Hälfte der Stammelf zusammen, nämlich 30 Millionen Euro im Jahr, netto.

Was sich 2018 bei der Verpflichtung wie ein Coup anfühlte, ein donnerndes Statement an die Adresse der Konkurrenz, offenbart sich als Flop. Zumal gemessen an den Erwartungen. In den ersten zwei Jahren gewann Juventus mit Ronaldo die italienische Meisterschaft, aber die hätte es wohl auch ohne Ronaldo gewonnen. Das war davor schon sieben Mal in Serie gelungen, der Superstar verlängerte nur den normalen Gang der Dinge. Nein, Ronaldo sollte den Turinern die Krone Europas besorgen, wie ein Weihnachtsmann.

2021 wäre auch deshalb ein passendes Jahr dafür gewesen, weil sich der Geburtstag jenes Mannes zum hundertsten Mal jährt, der wie keiner den etwas blasierten, aber auch eleganten Siegeresprit Juves ausstrahlte: Gianni Agnelli, langjähriger Chef von Fiat und vom Familienverein. Vor dem Spiel gegen Porto zeigte das italienische Fernsehen Bilder aus dem Archiv, mit dem "Avvocato" und den Glorien Juves jener Zeit. Sie sollten wohl inspirieren.

Kann sich Juve Ronaldo überhaupt noch leisten?

Nun, in diesem Jahr ist es sogar ziemlich unwahrscheinlich, dass Juve den Meistertitel gewinnt, das Minimum. Inter Mailand liegt zehn Punkte vor Juventus an der Spitze der Serie A, mit einem Spiel mehr zwar. Doch auf einmal macht es den Anschein, als habe "pazza Inter", das verrückte Inter, wie es wegen seiner legendären Flatterhaftigkeit genannt wird, den Kopf beisammen - nüchtern und konkret.

Kann sich Juventus Ronaldo überhaupt noch leisten? Und: Will es ihn sich noch leisten? Andrea Agnelli, der Präsident des Klubs und Vorsitzender der European Club Association, klagt bei jeder Gelegenheit über die prekäre Finanzlage vieler Vereine. Er träumt von einer Super-Champions-League, 225 Spiele statt wie bisher 125, und von den Einnahmen, die eine solche Erweiterung generieren würde. Aber ob dann die Chance größer wäre, den Henkelpott zu gewinnen, ist eher ungewiss, frei nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

"Wir müssen diesen verdammten Pokal gewinnen, das ist das Ziel", sagte Pirlo nach dem Ausscheiden. Er dürfte wohl trotzdem Trainer bleiben. Sein Projekt sei auf mehrere Jahre angelegt, man stehe erst am Anfang. Aber ob Ronaldo, 36, der gerne alles um sich herum organisiert sieht und damit jede Neugestaltung des Spiels verhindert, da noch hineinpasst? Pirlo operiert gerade an einer Gesamtüberholung der Mannschaft, zieht junge Spieler nach, die dem Standing von Juve genügen - einen hat er schon gefunden: Federico Chiesa, 23, im Sommer von der Fiorentina übernommen, schickt sich gerade an, sein viel gelobtes Talent zu beweisen. Gegen Porto gelangen ihm drei Tore, zwei davon im Rückspiel.

Juventus muss sein Kader verjüngen. Plötzlich ist auch nicht mehr so sicher, ob sie den Vertrag von Gianluigi Buffon noch einmal verlängern wollen. Neulich sagte der, er werde "höchstens bis 2023" spielen. Er wäre dann 45. Auch Buffon hat die Champions League noch nie gewonnen, obschon er doch schon immer da war.

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