Champions League: Inter Mailand:Leichtfüßig und verletzlich

Vor dem Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Bayern wirkt Inter Mailand müde und taktisch verwirrt. Dabei spielt Inter so wie Bayern-Trainer Louis van Gaal es vor einem Jahr gerne gehabt hätte.

Birgit Schönau

Man kann ein Spiel natürlich auch so gewinnen, aber beruhigend ist es nicht: mit einem Eigentor im Abseits. In der siebten Spielminute der Begegnung Inter Mailand gegen Cagliari Calcio stieß der Marokkaner Houssine Kharja den Ball in das allgemeine Gewimmel in Cagliaris Strafraum, dort stand in klarer Abseitsposition - noch hinter dem Torwart Inters - Andrea Ranocchia und erzielte mit Unterstützung des Sarden Michele Canini das 1:0.

Inter Milan Ranocchia celebrates after scoring against Cagliari during their Serie A soccer match at San Siro stadium in Milan

Erzielte das Abseitstor zum 1:0 gegen Cagliari: Inters Andrea Ranocchia (Bildmitte).

(Foto: REUTERS)

"Wie es aussieht, war es wohl mein Tor", behauptete später Ranocchia und machte dazu das, was man in Italien ein Bronzegesicht nennt: den maskenhaften Ausdruck von einem, der eine glatte Lüge als Wahrheit verkauft und genau weiß, dass das auch alle wissen. Denn natürlich hatten alle gesehen, dass dieses Tor eine Kombination regelwidriger Umstände war, alle außer dem Linienrichter und Inters Trainer Leonardo, der eine weitere Bronzemedaille mit der Behauptung gewann, er sei, als das Tor fiel, gerade abgelenkt gewesen und habe deshalb "nicht so genau hingeschaut".

Weil es beim 1:0 blieb, konnte Inter sich zumindest für eine Nacht in dem Gefühl wiegen, den Abstand zum Spitzenreiter AC Mailand auf zwei Punkte verkürzt zu haben. "Es macht Spaß auf die Tabelle zu schauen", stichelte Leonardo, weniger erfreulich dürfte es für Inter sein, auf den Kalender der nächsten Woche zu linsen, da steht nämlich: Mittwoch, Achtelfinale gegen den FC Bayern.

Leonardo hatte Wesley Sneijder und den Rekonvaleszenten Lúcio gegen Cagliari geschont und stattdessen erstmals alle vier Zugänge aus dem Winter eingesetzt, neben Kharja und Ranocchia auch den Japaner Yuto Nagatomo in der Abwehr und Giampaolo Pazzini im Sturm. Die Neuen zeigten dann eine überzeugende Vorstellung, Ranocchia kontrollierte mühelos den sonst so unberechenbaren Cagliari-Spieler Roberto Acquafresca und bewies einmal mehr, dass er den Argentinier Walter Samuel durchaus würdig vertreten kann.

Inters Problem sind derzeit eher jene Stammspieler, die im vergangenen Jahr so souverän das Triple gewannen. Im Mittelfeld zeigte sich der frischgebackene italienische Nationalspieler Thiago Motta ideenlos, ja ausgelaugt mit einer Besorgnis erregenden Fehlerquote und wurde viel zu spät gegen den ebenfalls nicht taufrischen Esteban Cambiasso ausgetauscht.

Taktische Verwirrung

Die Stellung hielt Kapitän Javier Zanetti, der 37-Jährige dirigierte seine mit drei Stürmern eigentlich stark offensiv ausgerichtete Mannschaft nach hinten und sorgte im Verbund mit Kharja, Ranocchia und Maicon dafür, dass Inter den Minimalvorsprung über die Zeit retten konnte. Vorn zeigten Samuel Eto'o und Pazzini einmal mehr, dass sie miteinander nichts anzufangen wissen, und Goran Pandev ließ sich nach zwei schön herausgespielten Torchancen von der Lethargie der Kollegen anstecken.

Zum Glück für Inter blieb Cagliari harmlos, nach dem Abgang des Torjägers Alessandro Matri zu Juventus ist das von Roberto Donadoni trainierte sardische Team in der Offensivgestaltung fast zahnlos geworden. Nach der Pause sahen die 48000 Zuschauer im Meazza-Stadion eine langweilige Mischung aus Verwaltungsfußball (Inter) und ängstlichem Mauern (Cagliari), 20 Minuten vor Schluss wechselte Leonardo dann auch noch den fahrigen Eto'o aus ("Er musste mal ...") und machte mit dem Serben Dejan Stankovic den Deckel zu.

Die Helden sind müde, ganz eindeutig. "Schließlich spielen wir seit Januar alle drei Tage", klagte Leonardo. Hinzu kommt eine gewisse taktische Verwirrung, die das Team nicht mehr wie aus einem Guss spielen lässt wie noch zu den Zeiten des Trainers José Mourinho. Die gegen Cagliari erstarkte Abwehr schien sich nicht nach Plan zu bewegen, ausschlaggebend sind eher die technische Bravour und der Einsatzwillen der Spieler. Das mag gegen die Nummer neun der Serie A ausreichend sein, aber wer weiß, ob es für die Bayern reicht. Inters Probleme sind ein Mittelfeld, das nicht so recht weiß, wo es lang geht, und ein Sturm, der sich neuerdings selbst im Wege steht.

Unter Leonardo ist das Team leichter geworden, aber es erscheint auch fragiler, weniger selbstbewusst. Erstmals seit Jahren muss Inter in der Liga den anderen hinterher laufen, das bedeutet eine ganz neue psychologische Situation. Eine Mannschaft, die lange Zeit nahezu unbestritten zumindest die Serie A dominierte, muss sich nun an mehreren Fronten beweisen. "Die Bayern haben viele gute Spieler", so Leonardo, "aber sicher haben sie auch Angst vor uns."

Gerade darauf aber kann Inter in dieser Saison nicht zählen. Die Mannschaft ist zäh, furchteinflößend ist sie sicher nicht. Sie spielt an guten Tagen schöneren Fußball als die Elf von Mourinho, das macht jedoch die Resultate weniger sicher als früher. Über Leonardos Mannschaftsaufstellung spottet der Lokalrivale Milan: "4-2-Fantasia", vier hinten, zwei im Mittelfeld und vorn ist alles offen. Paradoxerweise spielt Inter also heute so, wie Louis van Gaal es im letzten Jahr gern gehabt hätte. Leichtfüßiger und verletzlicher. Eine Mannschaft auf der Suche, die ihr eigenes Scheitern nicht mehr für schier unmöglich hält.

"Es ist ein gutes Signal, wenn wir schlecht spielen können und trotzdem gewinnen", fand Leonardo nach der Hängepartie gegen Cagliari. Genau da irrt der Brasilianer.

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