Champions League: Inter Mailand:Der Schattenmann

Verteidiger Lúcio erweist sich als wichtigster Spieler für Inter Mailand - im Halbfinale der Champions League soll er nun Barcelonas Lichtgestalt Lionel Messi bremsen.

Birgit Schönau

Von Espanyol Barcelona lernen heißt siegen lernen, glauben sie in Mailand, wobei ein Unentschieden schon ein Sieg wäre im Halbfinale Inter Mailand gegen FC Barcelona. Vielleicht sogar ein schönes 0:0, wie am Samstag beim Stadtderby in Barcelona. Da hat Espanyol Lionel Messi einfach ausgebremst, es war gar nicht so schwer, man darf ihn nur nicht spielen lassen.

Lucio Inter, Getty

Inters Lúcio soll Messi stoppen.

(Foto: Foto: Getty)

Wenn Messi den Ball nicht bekommt, wird er traurig, behauptet Claudio Gentile, einst als Verteidiger bei Juventus Turin für weniger feinpsychologische Techniken berühmt, ja berüchtigt. Gentile "neutralisierte" sie alle, inklusive Diego Maradona, er galt als wütendster Wadenbeißer der Serie A, dabei bedeutet sein Nachname: Freundlich. Die Mailänder Gazzetta dello Sport befragte den heutigen U21-Nationaltrainer Gentile und ein gutes Dutzend weitere Experten zum Thema: Wie kann man Messi aufhalten? Die Herren einigten sich auf: Manndeckung. Natürlich ganz, ganz freundlich, gentile, gentilissimo. Schluss mit Schönwetterfußball und keine Bewegung.

Außerirdische auf Augenhöhe

Aber das ist graue Theorie. In Wirklichkeit verabscheut Inter-Trainer José Mourinho ätzenden Spielverderber-Fußball ebenso wie selbstverliebtes Offensivgekünstele. In Inter Mailand hat das Traumteam des FC Barcelona einen taktisch ebenbürtigen Gegner gefunden und für Leo Messi wird im Halbfinal-Hinspiel der Champions League an diesem Dienstag kein rüder Haudegen abgestellt, sondern Lucimar da Silva Ferreira, genannt Lúcio. Das ist Defensivkönnen gegen Offensivkunst, Brasilien gegen Argentinien, ein Duell zweier Spieler, die alle Klischees überragen.

Seit seiner Ankunft im Sommer 2009 hat sich der von Bayern-Trainer Louis van Gaal verschmähte Lúcio Schritt für Schritt zum wichtigsten Mann in Mourinhos Aufgebot entwickelt. Die Symbiose mit dem Trainer ist perfekt, immer wieder lobt Mourinho den Abwehrspieler als unverzichtbar. Bei Inter zeigt der 32-Jährige mit beeindruckender Kontinuität das, was er zuletzt in München vermissen ließ: Kontrolle und Konzentration, dabei macht er manchmal durchaus noch ein Tor.

Der Spieler als allüberall funktionierende Einheit, das ist Lúcio, insofern verkörpert er perfekt Mourinhos Mannschaftstheorie. Sein Kampf gegen Messi muss ungleich erscheinen. Messi ist der Zauberer, Lúcio nur der Trickser. Es ist das alte Lied von Genie und Genüge, von Talent und Tüchtigkeit. Messi die Lichtgestalt, Lúcio der Schattenmann. Ein klassisches Duell - Ausgang ungewiss.

Zwischen Ordnung und Chaos

Und natürlich ein Duell unter vielen. Der FC Barcelona sei wie ein Bienenvolk, ja wie ein Vogelschwarm, schwärmte ungewohnt frühlingsselig der sonst so steife Corriere della Sera, eine Mannschaft auf der Grenze zwischen Ordnung und Chaos, unberechenbar in seiner hochflexiblen Zielstrebigkeit. Wie in einer Jazzband sei jeder Orchestermusiker und Solist zugleich. "Auch wenn das Team heute mit einem Bus in Mailand ankommt anstatt in einem Raumschiff - sie bleiben für uns doch Außerirdische."

Eine denkbar undankbare Aufgabe, dieses Wunderteam zu stoppen, doch Inter gedenkt seine Schurkenrolle auszufüllen. Mourinho, der vielleicht als einziger wirklich Spaß daran hat, wird sich dabei weniger am FC Chelsea des Vorjahres orientieren, dessen britisch-holländischer Catenaccio-Interpretation durch Guus Hiddink Barça im Halbfinale nur mit Unterstützung des Schiedsrichters enteilen konnte. Eher findet der Inter-Trainer Inspiration im Achtelfinale Chelsea - Barça 4:2, das im März 2005 zu einem grandiosen Fußballspiel geriet; die trickreich und kühn aufspielenden Londoner wurden damals von Mourinho trainiert.

Erstmals seit 2003 ist Inter Mailand wieder im Halbfinale von Europas Bestenliga. Bereits in der Gruppenphase war Mourinho auf Barça-Trainer Pep Guardiola getroffen, um nach einem torlosen Hinspiel in Barcelona 0:2 zu verlieren. Seither sei die Mannschaft gewachsen, wird in Mailand beteuert, allen voran von Präsident Massimo Moratti, der sich traut, lautstark von einer "Revanche" zu träumen. Tatsächlich hat nicht allein die überragende Abwehr Inter den Weg unter die letzten Vier geebnet, sondern eine beeindruckende Ensembleleistung.

Kaum Interesse am Meistertitel

Man kann sich kaum erinnern, dass dieses von Moratti Jahr um Jahr mit aberwitzigen Summen verstärkte Team derart ehrgeizig und harmonisch aufgetreten wäre. Noch in der vergangenen, im Europacup erneut vorzeitig beendeten Saison, war Inter ganz von jenem Zlatan Ibrahimovic abhängig erschienen, den Moratti schließlich für gutes Geld nach Barcelona verkaufte - um im Gegenzug auch noch Samuel Eto'o zu bekommen.

An der Tabellenspitze nach dem 2:0 gegen Juventus erneut vom AS Rom (2:1 gegen Lazio) überholt worden zu sein, war für Inter eine bittere Pille vor dem Match des Jahres. Aber Mourinho interessiert der fünfte Meistertitel seit 2006 nicht übermäßig. Er will schaffen, was der Mailänder Internazionale seit über 40 Jahren nicht mehr gelang: Den begehrtesten Europapokal zu gewinnen. Zuletzt hatte das 1965 Helenio Herrera erreicht, der Hohepriester des in der Schweiz erfundenen Catenaccio. Herrera, genannt "Der Magier", trainierte auch Barcelona, vor und nach Inter. Er wäre vor wenigen Tagen 100 Jahre alt geworden und war Argentinier. Wie Messi.

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