Champions League:Mit kühlen Köpfen ins Finale

Champions League: Dank ihm ist Inter Mailand auch im Halbfinal-Rückspiel der Sieger: Lautaro Martínez feiert sein Tor zum 1:0 in der Fankurve.

Dank ihm ist Inter Mailand auch im Halbfinal-Rückspiel der Sieger: Lautaro Martínez feiert sein Tor zum 1:0 in der Fankurve.

(Foto: Oliver Weiken/dpa)

Auch das Euroderby II entscheidet Inter Mailand gegen den Stadtrivalen AC für sich und zieht damit auf eine Art und Weise ins Champions-League-Endspiel ein, die an den großen Triumph von 2010 erinnert.

Von Felix Haselsteiner

In Stadt, Land und Kontinent wurde dieser Begegnung zwischen Inter Mailand und dem AC Milan so viel Bedeutung zugemessen, man konnte die banalen Tatsachen beinahe übersehen. Die Bilder des Inter-Mannschaftsbus, der sich Meter für Meter durch die Fans in Richtung des Giuseppe-Meazza-Stadions schob, die Geschichten der geteilten Stadt, die Fabeln von der Rückkehr des italienischen Fußballs zu alter Glorie, sie überlagerten und überhöhten dieses Champions-League-Halbfinale in einer Art und Weise, dass es fast schon enttäuschend banal schien, dass auch dieses Spiel nur 90 Minuten dauerte - wo es doch um so viel mehr ging, um mille emozioni, um tausende Emotionen außerhalb des Feldes.

Und doch beschreibt genau das die Qualitäten dieses gnadenlosen Inter Mailand, dem ersten Champions-League-Finalisten des Jahres 2023: In all der Aufregung war es über die Dauer von zwei Partien die große Qualität der Mannschaft von Simone Inzaghi, dass sie kühle Köpfe bewahrte, dass sie sich nicht von Emotionen leiten ließ, sondern schlichtweg besser Fußball spielte. Das galt beim dominanten 2:0 im Hinspiel und noch mehr beim 1:0 im Rückspiel, in dem Inter Mailand das Finale auf eine Art und Weise erreichte, die sehr an 2010 erinnerte - jenes Jahr, in dem die Champions-League-Trophäe zuletzt an den schwarzblauen Teil Mailands vergeben worden war. Im Endspiel trifft Inter entweder auf Real Madrid oder Manchester City.

Man hätte freilich die Emotionen schon vor Anpfiff ins Reich des Wahnsinns verabschieden können, bei dieser eindeutigen Ausgangslage. Milan hatte nach dem 0:2 am Wochenende auch noch in La Spezia verloren, beim Abstiegskandidaten, und sich dort eine Predigt der Ultras mit auf den Weg geben lassen können - während Inter seine Hochform in der entscheidenden Saisonphase fortgesetzt hatte. Und überhaupt: Mit drei Toren Abstand hatte Milan das Stadtderby zuletzt im Jahr 2016 gewonnen.

Inter überlässt dem Rivalen zwar den Ball, verliert aber trotzdem zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle

Allein die Interisti schienen dem Braten noch nicht zu trauen. Sie bereiteten diesem Euroderby II nicht nur beim Bus-Empfang den erwartet elektrisierenden Rahmen, sondern auch in ihrem geteilten Heimstadion - in dem Milan aber immerhin so begann, wie sich das der neutrale Zuschauer gewünscht hätte, wäre so jemand vor Ort gewesen. Bereits in der elften Minute bot sich die Chance, auf die die Rossonieri gehofft hatten: Sandro Tonali setzte sich auf der linken Seite im Zweikampf durch, drang in den Strafraum ein und legte zurück auf Brahim Diaz, dem allerdings im Moment des Abschlusses klar zu werden schien, dass dieses frühe Tor alles umdrehen hätte können. Diaz vergab nervös.

Milan hatte sichtlich Hoffnung auf seiner Seite, sie trug sogar eine Trikotnummer. Linksaußen lief Rafael Leão mit der 17 auf, Italiens Fußballer des Jahres 2022, der im Hinspiel noch mit Adduktorenproblemen gefehlt hatte. Stefano Pioli erhoffte sich von ihm die genialen Momente der Freiheit, die bei der ersten Halbfinal-Begegnung noch gefehlt hatten. Einen einzigen Moment hatte Leão allerdings nur, in der 38. Minute: Im Eins-gegen-Eins gegen Matteo Darmian setzte er sich durch, sein Abschluss rauschte aus spitzem Winkel knapp am Außenpfosten vorbei.

Milans große Chancen blieben somit an zwei Fingern abzuzählen. Inter überließ dem Rivalen zwar den Ball, verlor aber trotzdem zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle. Wie schon im Hinspiel wirkte es, als würde bei den Schwarz-Blauen der Ball feiner als beim Gegner durch die Reihen laufen, als würde sich in Inzaghis Dreierketten-System die nächste Anspielstation leichter finden.

In den meisten Fällen hieß sie Nicoló Barella, der das Mittelfeld sortierte und so ubiquitär durch die Reihen tanzte, dass es völlig absurd wäre, ihn auf nur eine Position im Mittelfeld zu beschränken. Die beste Chance auf die Vorentscheidung hatte Inter nach einem Freistoß in der 39. Minute: Hakan Calhanoglu trat den Ball scharf in Richtung Tor, Edin Dzeko verlängerte, nur eine schnelle Reaktion von Torwart Mike Maignan verhinderte die Führung.

Milans Mittellosigkeit gegen ein perfekt eingestelltes, defensives Inter setzte sich auch nach der Pause fort. Wenn überhaupt hätte noch Gefahr bestanden, wenn sich in der 52. Minute der Videoschiedsrichter eingeschaltet hätte: Einen Fußtritt abseits des Balles von Innenverteidiger Francesco Acerbi gegen Tonali übersah Clement Turpin, doch auch der VAR meldete sich nicht, weshalb die Szene statt eines Platzverweises nur eine fortgesetzte Inter-Dominanz zur Folge hatte. Inzaghi nutzte schließlich auch noch die Stärke aus, die seine Mannschaft in gewisser Weise schon von vornherein zum Favoriten gemacht hatte: Die Inter-Bank bot eine Ansammlung hervorragender Spieler, von der Pioli auf der anderen Seite nur träumen konnte. Nach 66 Minuten kamen Robin Gosens und Romelu Lukaku, letzterer trug seinen Teil zur Entscheidung bei: In der 74. Minute sicherte er den Ball herausragend ab und legte zu seinem kongenialen Partner Lautaro Martinez, der satt ins kurze Eck abschloss.

Die tausend Emotionen verwandelten sich daraufhin in nur zwei ganz wesentliche: In die Erkenntnis der eigenen Grenzen auf Seiten von Milan - und in eine Euphorie bei den Schwarzblauen, die das San Siro in den finalen Spielminuten in einen gigantischen Chor verwandelte, der das Finale von Istanbul besang.

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