Süddeutsche Zeitung

Champions League:Havertz krönt Chelsea und Tuchel

In einem hochklassigen Finale erzielt Kai Havertz das Tor des Tages und macht den FC Chelsea zum Champions-League-Sieger. Pep Guardiola wählt eine ungewöhnliche Aufstellung - und ist mit City erneut der Geschlagene.

Von Javier Cáceres, Porto

Am Ende seiner ersten Saison in der Premier League hat sich DFB-Stürmer Kai Havertz mit goldenen Lettern in die Geschichte des FC Chelsea eingetragen. Der ehemalige Profi von Bayer Leverkusen erzielte am Samstag im Estádio do Dragao der portugiesischen Hafenstadt Porto den einzigen Treffer eines in all seiner Dramatik prachtvollen Champions-League-Finales. Für den FC Chelsea war es der zweite Triumph in der Königsklasse nach dem Sieg in München 2012, für seinen deutschen Trainer Thomas Tuchel die Krönung einer unwahrscheinlichen Reise. Im vergangenen Jahr hatte er mit Paris Saint-Germain im Finale gegen den FC Bayern verloren, im Dezember wurde er bei PSG entlassen, im Januar übernahm er Chelsea auf Platz 9. Nun schlug er City - und dessen Trainer Pep Guardiola, der zehn Jahre nach dem Sieg mit dem FC Barcelona gegen Manchester United in Wembley immer noch auf einen Königsklassengewinn wartet.

Es war nicht das Hirn-Spiel, das einige angesichts der strategischen Wucht der beiden Trainer befürchtet hatten. Im Gegenteil: Das Finale war in Sachen Dramatik, Tempo und Klasse eine deliziöse Darbietung - und um Längen besser als das bis dato letzte englische Finale, das Duell zwischen dem FC Liverpool mit Jürgen Klopp und Tottenham Hotspur von 2019 in Madrid. Es war vor allem auch der neuerliche Beleg dafür, das in der Premier League der Fußball auf dem höchsten Stand der Wissenschaft gespielt wird.

Manchester City sei die "Benchmark", die "wahrscheinlich beste Mannschaft der Welt", hatte Chelseas Trainer Thomas Tuchel auch am Vorabend des Finales gesagt. Zum wiederholten Male und in Anerkennung der Tatsache, dass City die soeben beendete Premier League gewonnen hat. Aber Chelsea steht City in nichts nach. Auch das: im Gegenteil. Unter Tuchel ist Chelsea seit Januar drei Mal auf City getroffen. Er siegte drei Mal. Diesmal vor 16 000 Zuschauern, die dem Triumph ein nach Monaten der leeren Stadien gigantisch wirkendes Bühnenbild lieferten.

Guardiolas Aufstellung wird für Diskussionen sorgen

Die Aufstellung Guardiolas überraschte und wird in den kommenden Tagen für Diskussionen sorgen. Er verzichtete auf Rodri und auf Fernandinho - und damit auf seine klassischen defensiven Mittelfeldspieler. Als "Sechser" agierte - erstmals in dieser Saison - DFB-Mittelfeldspieler Ilkay Gündogan. Vor ihm reihten sich um Kapitän Kevin De Bryune lauter Offensive auf, die den Ball möglichst rasch zirkulieren lassen - und damit den Chelsea-Spielern möglichst wenige Angriffsfläche zu bieten. Das Pressing von N'golo Kanté und Jorginho sollte ins Leere laufen. Doch: Es gab Pläne in der Geschichte Guardiolas, die besser aufgegangen sind.

Sie hatten zwar die erste Chance der Partie, doch in ihrer Entstehung wich sie vom Libretto ab: City lockte Chelsea aus der Höhle, und Torwart Éderson jagte einen Ball in den Rücken der Abwehr, den der beschämend schnelle Raheem Sterling erlief. Danach aber stand die blaue Abwehr. Und verwandelte sich in das Fundament, auf dem Tuchels Elf Angriff um Angriff baute.

Es war DFB-Stürmer Timo Werner, der gleich zwei gute Einschussmöglichkeiten hatte - und die die zuletzt immer wieder aufkommende Kritik an seiner Chancenverwertung neu befeuerten. Nach einer Hereingabe seines Landsmanns Havertz bekam er die Beine nicht richtig geordnet; in der 14. Minute parierte Citys Torwart Éderson einen weiteren Schuss aus aussichtsreicher Position. City kam erst zur 28. Minute wieder gefährlich vors Tor Chelseas. Doch DFB-Innenverteidiger Antonio Rüdiger rettete mit einer grandiosen Grätsche vor Phil Foden.

Kurz danach hatte Chelsea einen Schock zu verdauen. Innenverteidiger Thiago Silva, der im vergangenen Jahr mit Tuchel und PSG im Finale von Lissabon gestanden hatte, verspürte nach einem Sprung Schmerzen im Adduktorenbereich und musste gegen den Dänen Andreas Christensen ausgewechselt werden (36.). Doch Chelsea ordnete sich nicht nur problemlos neu. Sondern schlug durch Kai Havertz zu.

Nach zwei schnellen Pässen landete der Ball im Mittelfeld bei Mason Mount, der sah, wie Havertz in der Innenverteidigung ein gigantisches Loch entdeckt hatte: Citys Innenverteidiger waren deplatziert, Linksverteidiger Oleksandr Zinchenko weit weg, so dass Havertz den Ball an dem herausstürzenden Torwart Éderson vorbeilegen - und mit links ins leere Tor schießen konnte (43.). Thomas Tuchel jagte an der Seitenlinie mit geballter Faust entlang und brüllte wie vielleicht noch nie in seinem Leben. Guardiola verdrückte sich auf die Trainerbank, nippte an einer Wasserflasche und schien in sich zusammenzusinken. Oder er versuchte nur, Kräfte zu sammeln für die Halbzeitansprache.

De Bruyne muss unter Tränen ausgewechselt werden

Die zweite Hälfte, sie begann mit zwei großen Aufregern. Rüdiger und der bis dahin blasse De Bruyne rasselten beim Kopfballduell zusammen - mit gravierenden Folgen für den Belgier. Er lag danieder wie nach einer Kollision mit einem stehenden Sattelschlepper. Nach einer längeren Behandlung musste De Bruyne ausgewechselt werden, der frühere Bundesligaspieler verließ den Platz unter Tränen und saß später mit Eis auf der Tribüne, das Auge blau unterlaufen. City war damit seines besten Spielers beraubt, es kam Gabriel Jesús. Eine Minute später reklamierte das Team einen Handelfmeter: Ein scharfer Schuss von Sterling prallte, so die Wahrnehmung des Schiedsrichters, vom Oberkörper an den Oberarm von Chelsea-Verteidiger Reece James. Kein Strafstoß.

Es war das Fanal für eine Belagerung des Chelsea-Strafraums, die nicht mehr abebben sollte. Guardiola brachte nun den "Sechser" Fernandinho, um Gündogan fürs Offensivspiel zu befreien.

Mahrez vergibt Citys letzte Chance

Doch die klarste Chance hatte Chelsea, bei einem sagenhaften Konter. Havertz setzte zu einem epochalen Solo über den halben Platz an - und bediente im richtigen Moment den kurz zuvor für Werner eingewechselten Ex-Dortmunder Christian Pulisic. Er lupfte den Ball an Torwart Éderson - aber auch am Tor vorbei. Und draußen an der Seitenlinie sank Tuchel auf die Knie, bohrte die Stirn in den Rasen und hielt sich den Hinterkopf mit beiden Händen fest.

Was City blieb, war der Glaube an einen Talisman, den sie bald verlieren: Stürmer Sergio Kun Agüero, der bald für den FC Barcelona stürmen wird. Es gab noch sieben Minuten Nachspielzeit, und die eine oder andere Szene, die nach einer Wende roch. Nach einem Moment, wo alles kippen könnte. Ein letzter Schuss von Mahrez zum Beispiel, als noch Sekunden auf der Uhr waren. Aber es reichte nicht: Havertz krönte Chelsea - und Tuchel.

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