Manchester City in der Champions League:Guardiola und die elf Roboter

Manchester City in der Champions League: Zwei Protagonisten eines rauschhaften Fußballabends: Erling Haaland und Bernardo Silva.

Zwei Protagonisten eines rauschhaften Fußballabends: Erling Haaland und Bernardo Silva.

(Foto: Mark Cosgrove/News Images/Imago)

Das 4:0 gegen Real Madrid zeigt, dass aus den Zauberfüßen von Manchester City auch eine widerstandsfähige Mannschaft geworden ist. Ihr Trainer hat seinen Stil verfeinert - und womöglich ein neues fußballerisches Leitbild erschaffen.

Von Sven Haist, Manchester

Auf der Ehrenrunde war Pep Guardiola unter seinen Spielern nicht zu finden. Dafür blendete die Stadionregie ein Porträtbild des Trainers von Manchester City auf den Videomonitoren ein. Der für Guardiola typische Rollkragenpullover bildete den Kontrast zum abstrakten Hintergrund; seine Gesichtshälften leuchteten rosa und blau, wodurch Guardiola nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut wirkte. Eher wie ein von künstlicher Intelligenz erschaffenes Superhirn.

Unterdessen sangen die Zuschauer in Dauerschleife eine Hommage an ihren Trainer, eine Art imaginäres Ruf-und-Antwort-Spiel zwischen Guardiola und dem City-Volk. Zur Melodie des Hits "Glad all over" (Rundum glücklich) der Dave Clark Five heißt es da: "Sagt, dass ihr mich wollt / Die ganze Zeit / Sagt, dass ihr mich braucht / Immer mein seid / Denn wir haben Guardiola / Wir haben Guardiola!"

Eine Heldenverehrung - und die hatte sich Guardiola am Mittwochabend wohl auch verdient. Seine Mannschaft spielte Fußball wie von einem anderen Stern, vielleicht so vollkommen wie nie zuvor ein Team in der Champions League: ästhetisch, fast fehlerlos, unaufhaltsam. Als basierten die Spielaktionen tatsächlich auf künstlicher Intelligenz; als wäre City mit elf Robotern statt mit elf Spielern angetreten.

Die Einseitigkeit des 4:0 (2:0) über Titelverteidiger Real Madrid fühlte sich bisweilen unwirklich an. Vor allem in der ersten Halbzeit konnten einem die Zuschauer hinter City-Torwart Ederson geradezu leidtun, weil sie die durchgehend in der gegenüberliegenden Spielhälfte beschäftigten Profis kaum zu Gesicht bekamen. City steht jetzt zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte im Finale der Champions League und misst sich dort am 10. Juni in Istanbul mit Inter Mailand. Als FA-Cup-Finalist und designierter Premier-League-Meister könnte der Klub in dieser Saison sogar das historische Titel-Triple des Stadtrivalen United aus dem Jahr 1999 nachstellen. Nach dem Abpfiff feierten die City-Spieler so ausgelassen, als hielten sie den Henkelpott bereits in Händen. Es war ihnen nachzusehen angesichts dieser Dominanz. Entsprechend hoch eingehängt: Sie könnten mit ihrer Spielweise fast schon ein neues Zeitalter im Fußball eingeläutet haben.

Bisher galt der ebenfalls von Guardiola entworfene 2011er-Finalsieg des FC Barcelona gegen Manchester United (3:1) als das Maß aller Dinge in diesem Jahrhundert: der Höhepunkt des von Guardiola verfeinerten Ballbesitzfußballs. Viele Trainerkollegen orientierten sich daran. Andere entwickelten strategische Gegenmittel.

Guardiola selbst wollte seinen Stil zunächst beim FC Bayern und dann bei Manchester City perfektionieren - und scheiterte trotz zahlreicher nationaler Erfolge zehn Mal in Serie in der Champions League jeweils kurz vor dem Ziel. Erst jetzt scheint Guardiola wirklich bereit zu sein, sein Prinzip der elf Zauberfüße auf dem Platz zu überdenken und auch das Gegenteil beizumischen: Eisenmänner, mindestens ein paar.

Herausgekommen sind nun, um im Bilde zu bleiben, elf Zaubermänner. Die Zeitung Manchester Evening News fand, Guardiola habe den perfekten Mix aus "Köpfchen und Muskeln" gefunden. Und nun? Müsste diese Feinabstimmung aus Abwehr und Angriff eigentlich zu einem neuen Leitbild im internationalen Spitzenfußball werden.

Citys Widerstandsfähigkeit im Duell mit Madrid speiste sich zum einen aus den Enttäuschungen der Vorsaisons in der Königsklasse, vor allem dem bitteren Halbfinal-K.o. gegen ebenjenes Real vor einem Jahr. Damals habe seine Mannschaft "Gift schlucken" müssen, was die Gruppe mit einer einzigartigen Motivation versehen habe, bilanzierte Guardiola. Das Leben biete einem immer "eine zweite Chance", sofern man nur nicht aufgebe.

Guardiola hat inzwischen die Gewissheit, sich auf seine Spieler verlassen zu können

Zum anderen hat Guardiola zuletzt eine Defensivbesetzung gefunden, die der gesamten Mannschaft Halt verleiht. Ihm selbst gibt sie offenbar die Gewissheit, sich auf seine Spieler verlassen zu können und mutmaßliche Schwächen nicht mit überraschenden Personal- und Taktikänderungen ausgleichen zu müssen - wie im fast legendär verlorenen 2021er-Finale gegen Chelsea, als er plötzlich unerprobt auf einen Mittelfeldabräumer verzichtete. Oder wie in diversen anderen wichtigen Spielen zuvor.

Stattdessen muss sich nun sein Trainerkollege Carlo Ancelotti fragen lassen, warum er zunächst auf seinen physisch stärksten Spieler verzichtete, den DFB-Abwehrhaudegen Antonio Rüdiger. Und warum er wie schon mehrmals in dieser Saison den Mittelfeldspieler Eduardo Camavinga als Linksverteidiger aufbot - obwohl in dem als Innenverteidiger eingesetzten David Alaba eine bessere Alternative zur Verfügung gestanden hätte. Prompt verlor Camavinga bei den ersten beiden Gegentoren in Minute 23 und 37 jeweils den City-Torschützen Bernardo Silva aus den Augen. Der körperliche Unterschied zwischen beiden Teams wirkte sich vor allem beim Spieltempo und bei den Zweikämpfen aus. Gleich sechs City-Startelfspieler waren größer als 1,85 Meter. Bei Real war es in Éder Militão, der einen Kopfball von Manuel Akanji unglücklich zum 3:0 abfälschte (76.), nur ein Feldspieler.

Und bei den eigenen Offensivaktionen macht dem von Guardiola jahrelang auf Geduld im Spielaufbau getrimmten Manchester City ohnehin niemand etwas vor. Allerdings wirken die Angriffszüge mittlerweile weitaus weniger verwinkelt als noch in der Vergangenheit. Es überwiegen Vorsicht und Zielstrebigkeit. Das lässt sich schon allein daran erkennen, dass Guardiola die spielstärksten (und torgefährlichsten) Verteidiger in seinem Kader zur Konkurrenz ziehen ließ. Zu Saisonbeginn wechselte Sintschenko zum FC Arsenal, im Winter dann Cancelo auf Leihbasis zum FC Bayern. Und erst als das Duell mit Real in den Schlussminuten entschieden war, durften die hochbegabten Phil Foden und Julián Álvarez noch mitwirken. Nach einem herrlichen Zusammenspiel mit Foden gelang Álvarez in der Nachspielzeit das schönste Tor des Spiels zum 4:0.

Die Zeitungen in England waren sich einig, dass die Partie den Höhepunkt der siebenjährigen Guardiola-Amtszeit in Manchester abbildete. Auch Guardiola selbst sah die Leistung als eine der besten in seiner Trainerlaufbahn an. Blieb nur die Frage, ob dieser Peak nicht ein paar Spiele zu früh kommt, weil die Pokalfinals noch ausstehen. Gleich nach Abpfiff warnte er seine Spieler jedenfalls eindringlich. Ein Finale gegen eine italienische Mannschaft sei immer "das Schlimmste", was einem passieren könne.

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