Süddeutsche Zeitung

Aus in der Champions League:Pep Guardiolas dramatischstes Scheitern

  • Manchester City gewinnt in einem spektakulären Spiel 4:3 gegen Tottenham Hotspur.
  • Das Team von Pep Guardiola scheidet dennoch aus. Der Trainer verpasst es erneut, den großen Traum vom Champions-League-Titel zu erfüllen.
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Von Philipp Schneider

Was er wohl dachte? In diesem Moment, 73 Minuten waren gespielt, als dem Betrachter dieser Partie, den längst ein leichtes Augenflimmern übermannte, dämmerte, dass es nun doch ein böses Ende nehmen könnte für ihn? In seinen Kopf wollte man schon oft sehr gerne mal schauen. Seine Gedanken lesen. Seine Fußballwelt verstehen. Aber so gerne wie an diesem wilden Mittwochabend in Manchester wollte man noch nie wissen, was Pep Guardiola fühlt. Als auf beiden Seiten die Tore fielen, als sei man auf dem Bolzplatz, beim Vier gegen Vier (ohne Torwart), und nicht im Viertelfinale der Champions League. Bereitet einem Perfektionisten wie Guardiola so ein Spiel überhaupt Freude? Wenn die Anarchie jegliche Taktik verdrängt? Wenn die ersten vier Torschüsse alle ins Tor gehen? Wenn es nach 73 Minuten 4:3 steht und auch nach 95, nachdem die Führung zweimal gewechselt hat?

Wobei, vielleicht hatte Guardiola das Spiel ja so geplant. So ähnlich zumindest. Er hatte für Manchester City eine offensive Ausrichtung gewählt im Rückspiel gegen Tottenham Hotspur, seine Mannschaft lief schließlich einem 0:1 hinterher. Vorne stürmten Raheem Sterling, Sergio Agüero und Bernardo Silva anstelle von Leroy Sané, dahinter verteilte Kevin de Bruyne die Bälle so präzise, als sei sein Fuß ein Skalpell. Von Beginn an, nicht wie im Hinspiel. Vielleicht hatte Guardiola den wildesten Ansturm in der Geschichte der Champions League erwartet. Rein optisch hatte der modisch versierte Spanier vor dem Anpfiff jedenfalls die passende Jacke zum Spiel aus dem Schrank genommen. Eine silberne Strickjacke mit einer interessanten Kapuze. Interessant war die Kapuze, weil sie sich hinter seinem Nacken aufzustellen schien. Vom Wind. Oder aber vom Fahrtwind des irgendwann wilden Trainers. Die Kapuze sah aus wie eine Nackenstütze zur Abwehr aller Schläge, die auf ihn einprasselten.

Und dann war er raus aus der Champions League, der große Pep Guardiola, mal wieder. Nach einem irrwitzigen Knockout in der fünften Minute der Nachspielzeit, der wirkte, als habe ihn ein Zyniker erdacht: Sterling traf noch einmal, zum vermeintlichen 5:3. Aber das Tor wurde zurückgenommen, nach Videobeweis. Abseits von Vorlagengeber Agüero.

Ins Stadion kommt der Scheich so gut wie nie

Mehr als eine Milliarde Euro hat Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan in seinen Traum investiert, die Champions League zu gewinnen mit Manchester City. Und dafür hat er den Trainer geholt, von dem ihm viele seiner Berater erzählt hatten, er sei der unglaublichste Trainer, der jemals auf Erdens Fußballplätzen wandelte. Wenn die Mannschaft spielt, die seine ist, dann schaltet Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan den Fernseher ein. Ins Stadion kommt er so gut wie nie. Der Fußballbericht, den er am Mittwochabend womöglich aus Abu Dhabi mitansehen musste, wird den Scheich vom Divan gefegt haben.

Im Fernsehen sah der Scheich den ehrgeizigen Pep Guardiola, der sich ja schon länger nach einem Titel in der Champions League sehnt, den er als Trainer des FC Barcelona zweimal, mit dem FC Bayern aber in drei Anläufen nicht einmal gewann. Und nun hat es mit City schon im dritten Jahr wieder nicht geklappt. Aber so dramatisch hat er noch nie verloren.

Auch vier Tore in den ersten elf Minuten gab es noch nie in der Geschichte der Champions League, warum auch? Fußball ist nicht Preisboxen auf dem Jahrmarkt. Aber dann: jede Bewegung ein Treffer.

Vier Minuten waren gespielt, als es losging, als es ganz gut aussah für Guardiola. Raheem Sterling schlenzte den Ball nach wunderbarem Dribbling von Kevin de Bruyne aus schrägem Winkel ins Tor. Drei Minuten später sah es schon schlimm aus für Guardiola. Noch schlimmer sah es nur aus für seinen Verteidiger Aymeric Laporte. Der nämlich legte den Ball an der Strafraumgrenze in einem offensichtlichen Anflug einer visuellen Täuschung auf den Fuß von Heung-Min Son, als sei dieser sein liebster Anspielkumpel und nicht etwa im Team des Gegners beschäftigt - das 1:1.

City brauchte nun schon mindestens zwei weitere Treffer. Nach zehn Minuten sah es zappenduster aus für Guardiola. Von zappenduster gibt es leider keine Steigerung. Sonst wäre es für den inzwischen sehr traurigen Verteidiger Laporte noch zappendusterer gewesen. Diesmal verlor Laporte den Ball an Lucas Moura, Moura passte auf Christian Eriksen, Eriksen fand Son. Son verstand keinen Spaß - das 1:2. City brauchte nun drei Tore. Und weil drei Tore gegen die Spurs eher unwahrscheinlich sind, war die Mannschaft von Mauricio Pochettino möglicherweise kurz unaufmerksam. Sehr kurz. Aber in dieser Partie, das hatte der Beobachter inzwischen begriffen, geschah Weltgeschehen in der Dauer eines Wimpernschlags.

Eine Minute später kontert City, Sergio Agüero spielt rechts raus auf Bernardo Silva, der zu viel Platz hat und schießt, er schießt einfach, was in einer wilden Partie wie dieser schon genügt - abgefälscht, das 2:2. Guardiola steht an der Seitenlinie, macht große Augen, die selbstredend ganz wunderbar passen zu diesem Spielgeschehen. Die Nackenstütze hat Guardiola mit seinem Kopf inzwischen zusammengefaltet. Wie einen Airbag, dem Stunden nach einem Crash auch irgendwann wieder die Luft ausgeht. City braucht nun zwei Tore.

Also lässt City noch eins folgen. Nicht sofort, das nicht. Eine gefühlte Ewigkeit später, zehn Minuten müssen die inzwischen von der Toreflut sehr verwöhnten Zuschauer warten. Dann aber zieht de Bruyne einen wunderbaren Pass von der rechten Außenbahn in die Mitte. Ganz flach rollt er vorbei an der Hintermannschaft der Spurs. Dort steht Sterling auf einem Fuß, mit dem anderen schießt er ein. Manchester City führt nun 3:2. Warum, das weiß vielleicht nicht einmal Guardiola.

(Auch die Torschüsse sind übrigens sehenswert, aber mit profanen Chancen hält man sich an einem Tag wie diesem nicht auf).

Nach der Pause geht es weiter wie vorher. Die 59. Minute: de Bruyne, angespielt von Ilkay Gündogan, legt ab auf Agüero - das 4:2. Guardiola und City sind in diesem Moment weiter. Aber noch sind über 30 Minuten zu spielen. Und während Jürgen Klopps FC Liverpopol im Parallelspiel locker mit 4:1 beim FC Porto gewinnt, geht es in Manchester weiter hin und her, her und hin. Bis zur 73. Minute. Für das letzte reguläre Tor hat sich diese Partie eine Pointe ersonnen: Fernando Llorente drückt den Ball über die Linie. Mit der Hüfte. Warum auch nicht? An einem anderen Tag wäre so ein Hüfttreffer die Schlagzeile gewesen. Nicht aber am 17. April 2019. Einem Champions-League-Abend, an den sich nicht nur Pep Guardiola noch sehr lange erinnern wird.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2019/tbr
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