Champions League:Gegen Bayern riskiert Juve seine Identität

Italian Super Cup in Shanghai

Im Rückspiel gegen Bayern vor allem in der Offensive gefragt: Mario Mandzukic und Paul Pogba.

(Foto: Yi Wei/dpa)

Von Matthias Schmid

Gianluigi Buffon musste sich ziemlich langweilen. Anders war sein Verhalten am Dienstagabend auf dem Podium nicht zu deuten. Der 38 Jahre alte Torhüter von Juventus Turin hatte seinen Blick gesenkt und tippte teilnahmslos in sein Smartphone, während sein Cheftrainer Massimiliano Allegri die anwesenden Journalisten aus der Heimat mit staatstragenden Gesten zu beschwichtigen versuchte. Drama, er habe in den vergangenen Tagen immer zu nur von Drama gelesen, klagte der Fußballehrer. "Es ist kein Drama im Leben, wenn zwei Spieler verletzt ausfallen", fuhr Allegri im ruhigen Tonfall fort.

Das bestimmende Thema in Italien vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League beim FC Bayern an diesem Mittwochabend (20.45 Uhr, im SZ-Liveticker) waren die kurzfristigen Abwesenheiten von Paulo Dybala und Claudio Marchisio. Beide werden wegen Wadenbeschwerden fehlen. Zudem muss Allegri noch immer auf die Abwehrspieler Giorgio Chiellini und Martín Cáceres verzichten.

Der Tenor in der Presse: Mit einer Zweitbesetzung drohe ein Debakel in München. Allegri konnte mit den schwarzseherischen Schlagzeilen nichts anfangen. "Ich werde trotzdem noch eine starke Mannschaft von herausragender Qualität aufs Feld schicken", sagte er. Und sogar eine, die bereit sei, Risiko zu gehen - ganz unitalienisch.

Juventus ist vom Sieg überzeugt

Die Ausgangslage ist klar: Juventus muss in München ein Tor schießen, sonst scheiden die Italiener aus. Da wiegt der Dyballa-Ausfall besonders schwer, ist er doch ihr einziger verlässlicher Angreifer in dieser Saison. Trainer und Mannschaft scheinen trotzdem überzeugt, in München etwas reißen zu können. Sogar Buffon wachte plötzlich wieder auf und hob den Blick, als er auf die Chancen nach dem 2:2 im Hinspiel zu sprechen kam. "Natürlich sind wir Außenseiter", sagte der Weltmeister von 2006, "aber wir haben die Qualität und auch die Überzeugung, ihnen Schwierigkeiten bereiten zu können".

Dreißig Minuten haben den Turinern im Hinspiel genügt, um den Glauben an ihre Stärken und das Weiterkommen ins Viertelfinale zurückzugewinnen. Die Münchner waren bis zur 60. Minute nicht nur besser, sie hatten die Italiener in deren eigenen Stadion kunstvoll gedemütigt. "Aber dann konnten wir eine fast verzweifelte Situation noch zu unseren Gunsten drehen", fand Buffon.

Er klang in diesem Moment so beschwingt wie jemand, der endlich die DNA des Guardiola'schen Kurzpassfußballs entschlüsseln konnte. Doch im Fall Buffons liegt keine sensationelle Erkenntnis fußballerischer Genforschung vor, sondern nur die Gewissheit, dass sie mit Wucht und langen unansehnlichen Bällen Erfolg gegen die Münchner haben können. "Jetzt wissen wir, dass auch die Bayern verwundbar sind", sagte Abwehrspieler Patrice Evra.

Gibt Juventus seine Identität auf?

Auch bei Trainer Allegri klingt es fast, also ob er darüber nachdenkt, die seit einem Jahrhundert bewährte Juve-Identität aufzugeben, die sich zur obersten Maxime gemacht hat, ein Tor zu schießen und später keines mehr zuzulassen. "Wir müssen gewinnen oder 3:3 spielen", sagte Allegri doch tatsächlich.

Ob der 48-Jährige es mit der Abkehr des Turiner Verwaltungsfußballs ernst meint und den radikalen Ansatz in die Tat umsetzen wird, wird die Anfangsphase zeigen. Zumindest seine für ihn offensive Wortwahl lässt darauf schließen, dass er nicht vorhat, den Münchnern gönnerhaft und devot das Fußballspielen zu überlassen. "Wir müssen das Risiko auf uns nehmen und mindestens ein Tor erzielen", betonte Allegri.

Und so lobt sogar ein Spieler die eigenen Stürmer, der sonst Spezialist für das Verhindern gegnerischer Treffer ist: Torwart Buffon. Er hat ja hautnah mitgewirkt an der bemerkenswerten Serie, die Juventus zuletzt aufgestellt hat. Durch den 1:0-Sieg gegen Sassuolo in der Serie A blieb die Mannschaft zum zehnten Mal in Folge ohne Gegentor. Buffon hat - in der italienischen Liga - seit 926 Minuten nicht mehr den Ball aus dem Tor holen müssen.

Buffon lobt seine Stürmer

Nur noch drei Minuten fehlen ihm zum Rekord von Sebastiano Rossi aus der Saison 1993/1994. "Ich will nicht mehr über diese Bestmarke sprechen", sagte Buffon nun in München. Er und die Abwehrspieler seien nicht die Hauptverantwortlichen dafür, dass Juve über die zweibeste Defensive in ganz Europa verfüge. "Unsere Stürmer sind die ersten Abwehrspieler", sagte der 38-Jährige. Vor allem denkt er dabei an Mario Mandzukic, den ehemaligen Bayern-Spieler. "Mario ist ein Beispiel für Entschlossenheit."

Ob der Kroate mitwirken kann, will Trainer Allegri erst am Mittwochmorgen entscheiden. "Er hat zwei Tage nicht trainiert", mahnte er. Doch anders als Dybala ist Mandzukic nach München mitgekommen. Ob er spielt, als einzige Spitze oder sogar - in der gehobenen Risikovariante - zusammen mit dem Spanier Álvaro Morata, wollte Allegri nicht verraten. Zumindest ein paar Fans von Juventus Turin sind trotz der Verletzungen ähnlich hoffnungsvoll angereist wie ihr Trainer.

Sie stimmten vor dem Stadion bereits am Dienstagabend Loblieder auf ihre Mannschaft an. Nur mit einem hatten sie in München Mitte März nicht gerechnet - mit Schneefall. Sie kauften sich deshalb schnell noch einen Schal. Im Bayern-Fanshop gab es aber nur rot-weiße, Juves Vereinsfarben suchten sie vergeblich.

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