Süddeutsche Zeitung

Champions League:In der Umkleidekabine entscheidet Zlatan

Lesezeit: 4 min

Von Oliver Meiler

Klar datierte Vorgaben bieten den Vorteil, dass man sie überprüfen kann. Fünf Jahre! Das war die gewagte Vorgabe. Fünf Jahre sollten reichen, sagten die Katarer, als sie Paris Saint-Germain kauften, um aus diesem mittelprächtigen Verein aus der superprächtigen Stadt eine Größe in Europa zu machen - eine Referenz, eine strahlende Marke. Das war 2011, vor fünf Jahren eben. Und so erwartet die Welt des Fußballs an diesem Winterabend im Pariser Parc des Princes, wenn PSG im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Chelsea antritt, eine erste Antwort auf eine der ganz großen Fragen: Kann Geld alles - sozusagen aus dem Stand, aus dem Nichts?

Finanziell ist man schon mal ganz oben dabei. Mit einem Budget von 481 Millionen Euro, das zeigen die neuesten Zahlen des Schweizer Wirtschaftsprüfers Deloitte, ist PSG mittlerweile das viertgrößte Unternehmen unter den Klubs der Welt. Hinter Real Madrid, dem FC Barcelona, Manchester United. Und vor dem FC Bayern, Manchester City, dem FC Arsenal und Chelsea.

Damit der europäische Fußball-Verband Uefa mit seinem Financial Fairplay nicht allzu viel aussetzen konnte, hat der Emir aus Katar immer neue Schatullen geöffnet, von denen er behauptete, sie gehörten ihm nicht direkt. Eine Verrenkung wie eine Zirkusnummer. Hunderte Millionen Euro schoss der Emir schon in neues Personal: Zlatan Ibrahimovic, Ángel Di María, Edinson Cavani, Marco Verratti, Thiago Silva, David Luiz und viele mehr.

PSG, heißt es, wurde für Europa gebaut. Es soll international hell glänzen, damit auch Katar hell glänzt - möglichst bis 2022, wenn dort die viel diskutierte Weltmeisterschaft stattfinden wird. Der Fünfjahresplan hat zunächst mindestens so viel mit Marketing zu tun wie mit Sport.

Paris hat in dieser Saison noch nicht verloren

Das Experiment treibt unterdessen groteske fußballerische Blüten. Paris dominiert die französischen Meisterschaft, die Ligue 1, mit solcher Macht, dass die Medien mit der Beschwörung immer neuer, unnützer Rekorde versuchen, das Publikum einigermaßen bei Laune zu halten: Nach 26 Spieltagen liegt PSG mit 70 Punkten und einer Tordifferenz von plus 51 vorne - 24 Zähler vor dem Zweiten, vor der AS Monaco. Die Pariser haben in dieser Saison noch überhaupt nie verloren. Bleibt PSG in der Meisterschaft ungeschlagen? Unlängst schrieb die Zeitung Libération: "Der sportliche Wettbewerb ist tot." Es war ein angekündigter Tod. Von allen Vereinen der Ligue 1 bringt es die Hälfte nicht einmal auf ein Zehntel des Umsatzes der Pariser.

PSG ist der nationalen Konkurrenz derart entrückt, dass die Mannschaft mit Motivationsproblemen kämpft. Immer wieder kam es vor, dass sich die Herrschaften ihre Siege im Schleichgang erspielten, uninspiriert und süffisant. Als wähnten sie sich in Showmatches, in Exhibitionen. Es reichten jeweils kleine Nummern. Und nun also Champions League, von hundert auf tausend gewissermaßen.

Für ganz oben reicht der Schwachstrom nicht aus. Da würde es ein Umschalten brauchen, und das gelang bisher noch nie wie gewünscht. In den vergangenen drei Jahren scheiterte Paris immer im Viertelfinale, im Jahr davor schon in der Gruppenphase. Nun also läuft das fünfte Jahr mit katarischem Geld, die Geschichte entwickelt sich zur Geduldsfrage.

Bei aller Überlegenheit pfeifen die Fans im Prinzenpark selbst nach Siegen, wenn ihnen das Spektakel nicht genügt. "Was pfeifen die Leute?", fragte Ibrahimovic einmal, "vor uns war hier ja nichts." Die Wüste, das schwarze Loch.

Ganz falsch ist das nicht, aber etwas übertrieben: Paris Saint-Germain, gegründet 1970, gab es schon vor Zlatan Ibrahimovic und den Katarern. Und es gab sogar schon einmal eine Zeit, Mitte der Neunziger, da strahlte PSG ein bisschen über die Landesgrenzen hinaus. Doch so richtig groß war man nie, jedenfalls nicht so groß, wie es die Stadt gern in allem wäre. Gemessen am eigenen Selbstverständnis war man also tatsächlich nichts. Nur sagen sollte das niemand. Außer Ibrahimovic natürlich - man verzieh ihm sogar, dass er in der Wut über einen Schiedsrichter Frankreich ein "Scheißland" nannte.

Noch immer hängt nämlich alle Hoffnung am Schweden mit dem unbescheidenen Mundwerk. Er ist jetzt 34, sagt aber von sich, er sei eben erst auf dem Höhepunkt seiner Künste angelangt. Solche Sätzen dienen wohl auch dazu, den Marktwert zu frisieren. Das Salär ließ er sich zum Jahresbeginn von 800 000 auf 1,5 Millionen Euro pro Monat anheben. Und da es den Anschein hat, als ließe sich Real Madrid nicht überzeugen, Cristiano Ronaldo nach Paris ziehen zu lassen, offenbar nicht einmal für sagenhafte 140 Millionen Transfer-Euro, dürfte "Ibra" noch etwas länger bleiben als vertraglich ausgemacht.

Er trifft auch noch immer häufiger ins Tor als alle seine Kameraden - auch häufiger als Edinson Cavani, der für 64 Millionen Euro vom SSC Neapel geholt wurde, um ihn dereinst zu beerben. Die beiden gerieten auch schon aneinander. Als Cavani vor Weihnachten zwei Tage früher als geplant nach Uruguay fuhr und ein Spiel ausließ, berief Ibrahimovic einen Weisenrat ein, der befand, der Reisende habe seine Verletzung vorgetäuscht. Seither spielt Cavani nur noch selten in der Startelf.

Die Autorität des Trainers ist ebenfalls erschüttert

Etliche Persönlichkeiten im Team führen sich so auf, als langweilten sie sich, als fühlten sie sich zu gut für die zugedachte Aufgabe. David Luiz zum Beispiel weigerte sich im Spiel gegen Marseille, ausgewechselt zu werden: Er blieb einfach auf dem Platz stehen, als er gerufen wurde. Laurent Blanc stellte ihn danach zur Rede, doch die Autorität des Trainers ist schon lange erschüttert. In der Umkleidekabine entscheidet Zlatan. Und vielleicht entscheiden auch noch ein bisschen die beiden Thiagos - Silva und Motta. Blanc bemüht sich gar nicht erst, den Eindruck zu widerlegen.

Einer aber schraubte seine Disziplinlosigkeit nun wahrscheinlich einen Dreh zu weit. Bei einem Live-Chat mit seinen Fans nannte Serge Aurier, der ivorische Außenverteidiger, Blanc eine "Schwuchtel", die etwas mit Ibrahimovic habe. Man kann sich das Video im Netz anschauen, Aurier ließ sich auch über andere Kameraden aus. Später gab er sich zerknirscht und beschrieb seinen Auftritt als "unentschuldbar".

Er trug dazu noch den Dress von PSG; gefilmt wurde er von der Kommunikationsabteilung des Vereins. Gegen Chelsea spielt er nicht, wenn er denn überhaupt je wieder für PSG spielen wird. Auch darüber gibt es nun Umfragen: Reicht eine Zurechtweisung? Oder eine Suspension? Oder muss Serge Aurier sofort entlassen werden?

Wenn schon alle sportliche Spannung weg ist, möchte man wenigstens mit Klatsch etwas unterhalten werden. Zwischen den Daten der Champions League, zwischen den Auftritten auf der großen, europäischen Bühne - der einzigen, die zählt.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2016
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