Champions-League-Finale: José Mourinho:Fünf gegen Robben

Die Italiener huldigen Inter-Trainer José Mourinho wegen seiner siegbringenden Taktik im Finale gegen Bayern. Dafür dreht sich schon alles um seinen Wechsel zu Real Madrid.

Johannes Aumüller, Madrid

Ein Sieger darf schon einmal auf sich warten lassen. Normalerweise kommen nach einem Spiel die Trainer ziemlich zügig in die Pressekonferenz, doch Inters José Mourinho ließ sich Zeit. Viel Zeit. Erst um 0.33 Uhr, rund zwei Stunden nach Spielende, kam er, um sich den Fragen der Journalisten zu stellen. Aber weil im Trainerleben des José Mourinho so gut wie nichts normal ist, lief auch dieser Auftritt nicht normal ab. Noch nie musste der Trainer eines frischgebackenen Champions-League-Siegers so viele Fragen zu einer Mannschaft beantworten, die gar nicht mitgespielt hatte.

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Gewann als dritter Trainer mit zwei Vereinen die wetvollste europäische Klub-Trophäe: José Mourinho. Zuvor war das nur Ernst Happel und Ottmar Hitzfeld gelungen.

(Foto: afp)

José, wie hältst du's mit Real Madrid? Das war die Gretchenfrage des Abends, und der Portugiese präsentierte sich beim Lavieren um die Antwort kreativer als die meisten Akteure zuvor auf dem Spielfeld. Von mehreren wunderbaren Optionen sprach er, von der Zeit, die er jetzt für eine Entscheidung bräuchte, von dem besonderen etwas, das es zwischen ihm und Inter Mailand gebe.

Nur einmal entfuhr ihm eine verräterische Bemerkung, wobei ein Verb wie "entfahren" bei einem Taktiker wie Mourinho natürlich völlig unangebracht ist. Also, einmal sagte er jedenfalls: "Zwischen Inter und mir, das war eine wunderbare Verbindung. Sollte ich den Verein in diesem Jahr verlassen, werde ich nächstes Jahr gegen Inter spielen. Und wenn ich dann in San Siro spiele, ist es, als ob ich nach Hause komme."

Offiziell steht noch immer nicht fest, ob Mourinho im neuen Jahr Real Madrid übernimmt. Aber wer solche Sätze in einer Pressekonferenz nach dem Champions-League-Sieg formuliert, der muss sich nicht wundern, dass die Nachrichtenagenturen den Wechsel bereits als perfekt vermelden. Mourinho will zu Real, das hat er mehrfach betont. Und Real will Mourinho, den Mann, der im Halbfinale den Erzrivalen FC Barcelona bezwang und ganz Madrid somit die große Schmach ersparte, dass die Katalanen in der Landeshauptstadt die Champions League gewinnen könnten.

Ob die Real-Fans und -Macher Mourinho auch für seinen Fußballansatz mögen werden, würde die zentrale Frage des Wechsels sein. Der Inter-Trainer hatte für dieses Finale ein taktisches Konzept gewählt, das den Liebhabern der "Galacticos", des spielverliebten "weißen Balletts" eher nicht passt - mit dem die Bayern aber nur schwer zurechtkamen. Ganz engmaschig knüpfte er ein Defensiv-Netz, nur Wesley Sneijder und Diego Milito agierten mit Zug zum Tor, alle anderen konzentrierten sich aufs Verteidigen.

Selbst Samuel Eto'o und Goran Pandev, formal die Außenstürmer, gingen stets weit mit zurück. Mit Kraft und Wucht, mit vielen kleinen Fouls und notfalls auch mit rausgedroschenen langen Bällen die Münchner vom Tor weghalten - und vorne auf schnelle Konter und die Fähigkeiten von Sneijder und Milito vertrauen, das war Inters Plan. Dieser war ebenso simpel auszudenken wie schwer umzusetzen. "Das war fußballtechnisch gesehen eine Provokation", gestand Mourinho nach dem Spiel, aber es war eine erfolgreiche Provokation.

Neuer Stil bei Real?

Zudem hatte der Portugiese seine Mannschaft ganz auf Arjen Robben ausgerichtet. Neben Linksverteidiger Cristian Chivu befand sich auch Pandev stets in der Nähe des Niederländers, und wenn die Not besonders groß schien, eilte auch noch Esteban Cambiasso herbei. Einmal kam es tatsächlich vor, dass während eines FCB-Angriffs fünf Inter-Spieler näher an Robben standen als der nächste Münchner. Dass sich der Niederländer überhaupt die eine oder andere Torsituation erspielte, muss ihm hoch angerechnet werden. "Inter hat so gespielt, wie wir es erwartet haben" sagte Bayern-Trainer Louis van Gaal. "Inter spielt mit einer guten Organisation und so mussten wir in einem engen Raum angreifen."

Die Folge dieser Ausrichtung war eine signifikante Spielerballung auf der linken Seite. Für ihren Report nach Spielende erstellt die Uefa ja jede wichtige und unwichtige Statistik, unter anderem berechnet sie sie mit Hilfe der modernen Technik, auf welcher Position des Spielfeldes sich ein Spieler im Durchschnitt befunden hat. Wer in dieser Grafik eine Linie von Inter-Torwart Julio Cesar zu Bayerns Schlussmann Jörg Butt einzeichnet, der sieht: Gleich sechs Spieler von Inter Mailand hielten sich mehrheitlich auf der linken Seite, der Robben-Seite auf.

Da aber selbst Mourinho nicht in der Lage ist, mehr als zehn Feldspieler zu nominieren, entstanden auf der anderen Abwehrseite zwangsläufig kleinere Lücken. Doch es schien ihm fast egal zu sein, dass Altintop und Schweinsteiger dort in der einen oder anderen Situation relativ große Räume hatten - solange Robben gedoppelt, getrippelt, gequadruppelt oder gequintuppelt war, war die Welt in Ordnung. So mancher Zuschauer dürfte sich gefragt haben: Was wäre nun eigentlich gewesen, wenn auf der anderen Seite nicht der brave Altintop gespielt hätte, sondern der kreative Franck Ribéry? Diese Einseitigkeit hätte sich Mourinho jedenfalls nicht leisten können.

Ohne Ribéry aber entwickelte sich ein Spiel, in dem Inter nur halb so viel Ballbesitz und nur halb so viele Torschüsse hatte wie der FC Bayern - und trotzdem verdient gewann. "Jeder Trainer hat die Wahl, so zu spielen, dass er gewinnt", sagte Louis van Gaal, aber in diesem Moment klang nicht nur der Champions-League-Final-Verlierer van Gaal resigniert, sondern auch der Offensivfußballverfechter van Gaal.

Dass aber im kommenden Jahr wieder eine von José Mourinho trainierte Mannschaft mit einem solchen Spielstil die Champions League gewinnt, das scheint fraglich. Real Madrid als kompakte Einheit, die auf Konter lauert? Das scheint in etwa so wahrscheinlich wie der Friedensnobelpreis für den in der Schlussphase eingewechselten Marco Materazzi.

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