Süddeutsche Zeitung

Champions League: FC Schalke:Die Null kann gehen

Wem gebührt der fulminante 5:2-Sieg der Schalker im Champions-League-Viertelfinale außer den Spielern? Trainer Ralf Rangnick, der es gewagt hatte, offensiv zu spielen. Und Felix Magath? Ein bisschen vielleicht.

Philipp Selldorf

Am Mittwochmorgen spielte sich in einer Kaffeebar im Mailänder Bahnhofsviertel eine Szene ab, die sich so oder ähnlich wahrscheinlich in zahlreichen Lokalen dieser stolzen Stadt zugetragen hat: Ein Mann betritt die Bar mit boshaftem Grinsen. Er sagt kein Wort, stattdessen lacht er wie vom Irrsinn besessen den stoppelhaarigen Barmann Marco an. Er lacht und lacht, und dann gesellt sich der zweite Barmann hinzu und hält seinem Kollegen die Gazzetta dello Sport vor die Nase, auf deren Titelseite Inter Mailands "Selbstmord" während der Begegnung mit Schalke 04 bekanntgegeben wird.

Der Chefkommentator derselben Mailänder Sportzeitung hatte tags zuvor in seinem Leitartikel das Glück des FC Internazionale besungen. Alle Teilnehmer des Viertelfinales hätten sich bei der Auslosung Schalke 04 als Gegner gewünscht, und Inter sei beschert worden, dem Herrn sei Dank.

Er braucht sich deswegen nichts vorzuwerfen, er hat beschrieben, wie es wirklich war. Signore Cerruti konnte unmöglich ahnen, dass nach diesem Hinspiel in San Siro der große Samuel Eto'o Trost von Joel Matip entgegennehmen musste, und der bärenstarke Maicon die Güte seines Landsmanns Edu erfuhr. Wer sind Matip und Edu?

Die Schalker hatten sich selbst als krasse Außenseiter klassifiziert, das war ihre ehrliche Auffassung. Sie fühlten sich in dieser Rolle wohl, aber sie haben sich nicht so benommen. Ralf Rangnick hat seiner Elf den unverschämten Auftrag mitgegeben, das Meazza-Stadion zu stürmen, und das hat sie mit absurder Selbstverständlichkeit getan.

Die Schalker wussten, dass sie gegen dieses Staraufgebot objektiv im Nachteil waren, doch sie haben keine Angst gehabt. Strategie und Fußballkunst haben dieses 5:2 hervorgebracht - und die Mentalität von Gewinnern.

Wem gebührt also dieser Sieg außer den Spielern, die ihn erreicht haben? Natürlich dem neuen Trainer, der den Mut hatte, die Konvention zu ignorieren. Die meisten seiner Kollegen hätten nicht gewagt, auf Angriff zu setzen, sie hätten Dichtmachen und Beten befohlen. Wie Franz Beckenbauer dachten ja die meisten, als sie diese Aufstellung sahen: "ein bisserl offensiv!" Doch so denkt Rangnick nicht.

Dank verdient aber auch Felix Magath. Wer es gut mit ihm meint, der lobt die Wirkung seiner Konditionsarbeit. Wer es nicht so gut meint, erkennt, dass das Team eine neue Freiheit auslebt.

Helenio Herrera, Erfinder des Betonfußballs namens Catenaccio und Inter-Legende, wird sich im Grabe rumgedreht haben: Entsetzt über seinen Klub, aber auch verstört über diesen deutschen Professor und dessen Lehre. Die Null muss stehen - das war einmal in Schalke.

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Quelle:
SZ vom 07.04.2011
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