FC Liverpool in der Champions League:"Verdammte Mentalitätsgiganten"

  • Der FC Liverpool schafft gegen den FC Barcelona ein 4:0 im Rückspiel und erreicht das Champions-League-Finale.
  • Nach einer furiosen Nacht sagt Trainer Jürgen Klopp: "Ich bin stolz, Trainer dieses Teams zu sein."
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Von Javier Cáceres, Liverpool

Sie wussten, bei wem sie sich zu bedanken hatten. Dafür, dass sie am Dienstagabend nicht nur den FC Barcelona mit 4:0 besiegt, sondern gleich einen Triumph über die Realität erzielt haben, in unwirklicher Art ins Finale der Champions League eingezogen sind. Lange hatten sie einander umarmt, sich geherzt, der deutsche Trainer Jürgen Klopp berichtete, dass er gesehen habe, wie sogar James Milner geweint hat, ein Mann, der von seiner ganzen Aura her auch in den Docks von Liverpool arbeiten könnte. In einer Reihe stand die Belegschaft des FC Liverpool vor The Kop, der womöglich berühmtesten Tribüne des Fußballs, und sang Arm in Arm das nicht minder famose "You'll Never Walk Alone", das Lied, das für den FC Liverpool seit Jahrzehnten so sinnstiftend ist.

Später, als Klopp sich noch immer nicht wirklich gefangen hatte oder auch nur die Wirklichkeit nicht fassen konnte, sagte er das, was er schon nach der 0:3-Niederlage aus dem Hinspiel gesagt hatte: "Ich bin stolz, Trainer dieses Teams zu sein." Es war nun genauso angebracht wie eine Woche zuvor.

4:0 gegen den FC Barcelona, Finaleinzug nach einem unmöglich zu biegenden Hinspiel-Resultat, Barcelona geradezu zertrümmert: "Was ist nur geschehen? Was auf Erden ist nur geschehen?", fragte das Liverpool Echo am Mittwoch, und lieferte die Antwort sogleich nach: "Liverpool geschah. Anfield geschah, Alexander-Arnold geschah. Und dieses bemerkenswerte Team ist in einem weiteren Champions-League-Endspiel. Was für eine Nacht."

Wie Trent Alexander-Arnold ganz Barcelona narrte

Alexander-Arnold, das stand für Trent Alexander-Arnold, und damit für einen dieser Spieler, die sonst eher untergehen, eine Rolle am Rande der Stars wie Mané, Salah, Firmino oder van Dijk spielen, und am Dienstag zu den "verdammten Mentalitätsgiganten" heranwuchsen, wie Klopp sie nannte. Die Tore Liverpools schossen Spieler der gleichen Kategorie: der Belgier Divock Origi (7./79.) und der Niederländer Georginio Wijnaldum (54./56.). Doch für den "genialen Moment" der magischen Nacht sorgte eben Alexander-Arnold, vor dem Treffer zum 4:0, der nun das Prädikat "unvergesslich" trägt.

Alexander-Arnold hatte sich den Ball zurechtgelegt, um einen Eckstoß auszuführen. Der eigentlich für diese Aufgabe eingeteilte Spieler, Xherdan Shaquiri, lief schon hinaus und Alexander-Arnold wieder weg, da überlegte es sich Alexander-Arnold neu. Er sah, dass die Abwehr Barcelonas noch dabei war, sich zu sortieren, rannte unvermittelt zurück - und spielte den Ball scharf auf Origi, der am Fünfmeterraum stand. Völlig unbehelligt. Origi, der später von einer einstudierten Variante sprach, lenkte den Ball ins Tor, noch ehe irgendjemand realisiert hatte, was da vor sich ging.

Barcelonas Trainer Ernesto Valverde und auch Klopp sollten später sagen, dass sie nicht gesehen hatten, wie das Tor gefallen war. "Ich sah den Ball ins Netz fliegen und wusste weder, wer die Ecke ausgeführt noch wer geschossen hatte", gestand Klopp, "es war so unglaublich smart." Und der Abend für Liverpool perfekt.

Er hatte im Grunde bar jeder Hoffnung begonnen. Der Brasilianer Roberto Firmino war ausgefallen, Mohammed Salah ebenfalls; der Ägypter saß mit einem T-Shirt auf der Tribüne, das absurd wirkte und nun wohl zu einem Verkaufsschlager werden dürfte: "Never give up", gib niemals auf. Auf der anderen Seite: Barcelona mit Lionel Messi, und ein Zwischenstand, der in der Geschichte der Königsklasse nur zwei Mal in einem Halbfinale aufgeholt worden war, zuletzt 1986. "Vor dem Spiel habe ich zu den Jungs gesagt: Ich glaube nicht, dass es möglich ist. Aber weil ihr es seid, haben wir eine Chance", erzählte Klopp.

"Sie haben uns überrollt", klagt Valverde

Dann begann das Spiel, und Liverpool drängte die Katalanen ohne Unterlass gegen das eigene Tor, angestiftet von 52 000 Zuschauern, die ohne Rücksicht auf die Aussichtslosigkeit sangen, träumten, anfeuerten, einstige Helden wie Luis Suárez oder Philippe Coutinho, die nun das Trikot des Gegners trugen, gnadenlos auspfiffen. "Sie haben uns überrollt", sagte Barcelonas Trainer Valverde. Barcelona hatte Chancen, die besten davon machte aber Reds-Torwart Alisson Becker zunichte.

Und all die Effektivität, die Liverpool im Hinspiel von Barcelona hatte vermissen lassen, kam in einer wundersamen Nacht mit derart unbändiger Wucht zum Tragen, dass Barcelonas Rückgrat irreparabel zerbrach. Wie ein Zündholz. "Wir wissen, dass dieser Klub eine Mischung ist aus Atmosphäre, Emotion, Verlangen - und Fußball", sagte Klopp: "Für mich ist dieser Klub wie ein großes Herz, und heute hat es geschlagen wie verrückt. Man konnte es in der ganzen Welt spüren."

Er steht mit seiner Mannschaft zum dritten Mal in vier Jahren in einem europäischen Finale - und zum zweiten Mal nacheinander im Champions League-Endspiel. Er wisse, dass die Leute sagen würden, er gewinne keine Endspiele, gerade in Europa ist das der Fall: Mit Liverpool verlor Klopp nicht nur vergangenes Jahr im Finale von Kiew gegen Real Madrid, sondern 2016 auch gegen den FC Sevilla im Europa-League-Finale. Mit Borussia Dortmund zog er 2013 in einem weiteren Champions-League-Endspiel den Kürzeren, gegen den FC Bayern. Und ja, man kann das so sehen. So kleinlich, wenn man will.

Denn die Wahrheit ist: Klopp hat eine grandiose Mannschaft geformt, die in der englischen Liga wahrscheinlich nur Zweiter wird, obwohl sie nur eine Niederlage hinnehmen musste - und die nun eine neuerliche Chance bekommt, zum sechsten Mal die wichtigste Trophäe des europäischen Vereinsfußballs zu holen, am 1. Juni in Madrid, gegen den Sieger der Partie Ajax Amsterdam-Tottenham Hotspur.

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