Chelsea in der Champions League:Spektakulär wie die Harlem Globetrotters

Chelsea v Juventus - UEFA Champions League - Group H - Stamford Bridge Chelsea s Callum Hudson-Odoi celebrates scoring

Chelseas Callum Hudson-Odoi freut sich diebisch nach seinem Treffer gegen Juventus.

(Foto: Adam Davy /PA Images/imago)

Chelsea dominiert Juventus beim 4:0 nach Belieben. Beim Team von Thomas Tuchel hat sich nach einer schwierigen Phase einiges zusammengefügt - dank eines Kniffs des deutschen Trainers.

Von Sven Haist, London

Wahrscheinlich könnte es der FC Chelsea momentan auch mit den Harlem Globetrotters aufnehmen. Das legendäre Basketball-Showteam aus Chicago tourt seit 95 Jahren mit dem immer gleichen Theaterprogramm aus beeindruckender Spiel- und Unterhaltungskunst um die Welt. In den ewigen Duellen mit den Washington Generals gelten die Globetrotters aufgrund ihrer überlegenen Technik und Athletik als unbezwingbar. Vor jedem Event steht quasi fest, wer gewinnen wird - und so ähnlich verhält es sich derzeit mitunter bei den Spielen der Londoner.

Als wären die Blues die Harlem Globetrotters des Fußballs, spielt Chelsea seit der Anstellung des Trainers Thomas Tuchel im Januar reihenweise die Gegner her. Mittlerweile kriegt sich selbst der schwer zufriedenzustellende Deutsche am Seitenrand vor Freude kaum ein. Nach dem zweiten und dritten Tor seines Teams beim 4:0 (1:0) über Juventus Turin am Dienstagabend fand sich Tuchel jeweils auf dem Spielfeld wieder. Dort bejubelte er ausgiebig den Doppelschlag durch Reece James (55. Minute) und Callum Hudson-Odoi (58.) - flankiert von den Treffern der Kollegen Trevoh Chalobah (25.) und Timo Werner (90.+5) -, aber vor allem die jeweilige Entstehung der Tore. Die wunderbaren Spielzüge seines Teams schienen den 48-Jährigen dermaßen zu entzücken, dass er seine Begeisterung nicht nur für sich behielt, sondern mit den 39 513 Zuschauern im Stadion teilte (und vermutlich auch mit der ganzen Welt).

Champions League - Group H - Chelsea v Juventus

Hat sich Lob von Trainer Thomas Tuchel verdient: Torschütze Reece James.

(Foto: Hannah McKay/Reuters)

Nie zuvor kassierte Juventus, die Grand Dame des Fußballs, eine höhere Niederlage in der Champions League. Zuletzt verlor der für seine Abwehrkunst häufig gerühmte italienische Rekordmeister mit dem gleichen Ergebnis im Februar 2004. Für Tuchel wiederum bedeutete der Kantersieg das 31. Zu-null-Spiel (bei nur 24 Gegentoren) mit Chelsea im 50. Pflichtspiel. Eine Marke, die vor ihm kein anderer Trainer aus den Topligen erreicht hat. "Eine großartige Leistung des Teams", fand Tuchel, und vor allem ein "sehr schönes" Jubiläumsspiel.

Mit zwölf Zählern ist Chelsea (ebenso wie das punktgleiche Turin) nun vorzeitig fürs Achtelfinale qualifiziert und führt sowohl in der Königsklasse die Tabelle an als auch in der Premier League - mit jeweils der besten Abwehr. Die Times schrieb, dass Chelseas "völlige Dominanz bis hin zur Zerstörung" gereicht habe. Am meisten stürzten sich die Medien auf die drei in der Chelsea-Nachwuchsschule ausgebildeten Torschützen Chalobah, 22, James und Hudson-Odoi, beide 21. Im Stadion an der Stamford Bridge in Blau aufzulaufen, sei der "größte Traum" dieser Spieler, sagte Tuchel. Deren Leistungen wertete er als einen "weiteren ausgezeichneten Tag" für die eigene Akademie: "Ich glaube fest daran, dass diese Mischung aus einheimischen Talenten und Topspielern aus dem Ausland ein großer Teil unseres Erfolgs ist." Das Massenblatt Sun titelte: "Baby Blues!"

Thomas Tuchel gewährt Chelseas Talenten mehr Spielzeit - und wird belohnt

Die Integrierung der Jungprofis basiert auf Tuchels Kniff, nach zwei Niederlagen in Serie im September (darunter ein 0:1 in Turin) die Startelf neu auszurichten. Tuchel war nach dem Champions-League-Sieg im Mai und dem erfolgreichen Saisonstart zu dem Schluss gekommen, dass einige Kaderspieler ihre Einsätze für Chelsea zunehmend für selbstverständlich erachteten. Um einem Leistungsabfall vorzugreifen, gewährte Tuchel den Talenten mehr Spielzeit. Und die Jungen, dankbar über jede Einsatzminute, verhinderten mit ihrem Enthusiasmus einen Alltagstrott im Team - und erhöhten den Konkurrenzkampf.

Dabei gelang es Tuchel, ein Arbeitsklima in der Mannschaft aufrechtzuerhalten, in dem sich die Spieler respektiert fühlen und miteinander statt gegeneinander kämpfen. Am erstaunlichsten ist, dass unter den häufigen Personalwechseln, die Chelsea vornimmt, das taktische Gruppenverhalten nicht leidet. Die Bewegungen jedes Spielers wirken immer noch genauso auf den Nebenmann abgestimmt - egal, wer da auf dem Platz steht. So, als würden alle elf Spieler über einen Knopf im Ohr jeweils mit ständigen Anweisungen des Trainerstabs versorgt werden.

Zu Chelseas vollkommenem Glück fehlt gerade eigentlich nur, dass sich Roman Abramowitsch im Stadion mal wieder die Ehre gibt. Der russische Oligarch, der sich den Klub im Sommer 2003 anschaffte, hat mittlerweile seit mehr als dreieinhalb Jahren keine Partie an der Stamford Bridge verfolgt. Seine Abwesenheit muss weiterhin als stiller Protest gegen die britische Regierung gedeutet werden, die im Frühjahr 2018 zögerte, sein Visum zu verlängern. Daraufhin zog er seinen Antrag verärgert zurück und holte sich die israelische Staatsbürgerschaft.

Obwohl Abramowitsch, 55, dieser Tage in London weilte, verzichtete er auf einen Stadionbesuch am Dienstag. Wie zu hören war, wie zu hören war, weil er zeitgleich an einer Wohltätigkeitsveranstaltung teilnahm. Immerhin ließ er sich bereits am Wochenende in der leeren Arena blicken, als er dort Israels Präsidenten Isaac Herzog im Rahmen der Vereinsinitiative "Say No To Antisemitism" (Nein zu Antisemitismus) begrüßt hatte. Allzu lange dürfte Abramowitsch jedoch der Verlockung eines Heimspiels nicht mehr widerstehen können. Denn trotz Chelseas titelreicher Vergangenheit hat der Klub noch kaum einen so raffinierten und mitreißenden Fußball angeboten wie aktuell. Sogar einen, der dem Spektakel der Harlem Globetrotters wohl in nichts nachsteht.

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