Süddeutsche Zeitung

Leroy Sané beim FC Bayern:Künstler in Bob Bayern II

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Im internen Ranking der Flügelspieler beim FC Bayern liegt Kingsley Coman deutlich vorn, weil er sich kolossal entwickelt hat. Zugang Leroy Sané kämpft um den Anschluss.

Von Christof Kneer, München

An diesem Mittwoch haben die Bayern wieder ein Spiel, bei dem "Mister Singh" mitmachen könnte. So hat Thomas Müller den jungen Mitspieler aus der zweiten Mannschaft vor laufender Kamera mal genannt, und man wusste nicht genau, ob das nun ein anerkennender Spaß war, mit dem der junge Mann quasi offiziell in die Gruppe aufgenommen wurde - oder ob dem Mister Müller nur der Vorname des Kollegen (Sarpreet) nicht einfiel. An diesem Mittwoch spielen die Bayern gegen Lokomotive Moskau in der hochherrschaftlichen Champions League, dennoch sollten sie sich bei der Anreise in die Arena im Zweifel nicht erwischen lassen. Denn ob dieses Spiel tatsächlich ein "triftiger Grund" wäre, um eine behördliche Ausgangssperre zu umgehen, ist umstritten; immerhin könnten sich die Bayern auf jene doch sehr irre Prämie von 2,7 Millionen Euro rausreden, die für jeden Sieg in der Gruppenphase ausgelobt ist. Ansonsten geht es für beide Teams sportlich um eher nichts - wobei Trainer so etwas ja immer anders sehen.

Kein Spiel ist zu klein, als dass ein Trainer nicht doch Erkenntnisse daraus ziehen könnte, und so werden Partien wie gegen Moskau gerne in gut bezahlte Testspiele umgewandelt, Test im wahrsten Sinne des Wortes. Trainer möchten in solchen Momenten gerne ihre Ersatz- oder Nachwuchsspieler sehen, junge Burschen wie den Mister Singh, der aktuell allerdings nicht in Frage kommt; der Neuseeländer ist an den Zweitligisten 1. FC Nürnberg ausgeliehen. Aber Trainer Hansi Flick wird in seinem Kader gewiss noch den einen oder anderen Reservisten finden, den er auf Mister Singhs Flügel einsetzen könnte, Leroy Sané zum Beispiel.

"Wir haben im Moment vier Außenstürmer, die eine sehr gute Qualität haben", hat der Trainer Flick nach dem 3:3 gegen Leipzig gesagt, wobei er einem der vier eine besonders sehr gute Qualität zuerkannte. Im Moment, meinte Flick, sei Kingsley Coman "der, der Akzente setzt, der Tore macht, der Torgefahr ausstrahlt, der Tore vorbereitet, der einen guten Blick für den Raum hat". Coman habe "ein sehr gutes Spiel gemacht, das ist das Niveau, das wir uns von allen wünschen".

Von allen, das heißt also auch von Serge Gnabry und Douglas Costa, aber vor allem heißt es natürlich: von Leroy Sané. So wird es drinnen und draußen jedenfalls wahrgenommen.

Man kann natürlich sagen, Sané habe es nicht anders gewollt. Er ist im Sommer sehr demonstrativ von Manchester City zum FC Bayern gewechselt, er hat die Ablösesumme von etwas mehr als 50 Millionen Euro mit klaren Absichten flankiert. Er hat sich bewusst zurück auf den deutschen Markt begeben, im klaren Wissen, dass ihm nicht nur jeder Zuschauer, sondern auch jeder Kicker-Kolumnist und Sport1-Doppelpass-Experte genau auf die Füße schauen würde. Musste dieser Übersteiger wirklich sein? Hätte er in dieser Szene nicht mit zurücklaufen müssen? Oder umgekehrt: Wer waren noch mal Ribéry und Robben? Mia san Sahne!

Sané, 24, wollte nicht mehr der sein, der einen Lammfellmantel in bedenklichen Farben trägt, er wollte nicht mehr der schrille Artist sein, den sich der Zirkus gelegentlich leistet. Sané wollte Pflicht werden statt Kür, ein ernsthafter junger Künstler inmitten eines seriösen Ensembles aus vielen Gleichaltrigen. Es hat dann auch ausgezeichnet angefangen. Nach dem ersten Saisonspiel, einem 8:0 gegen Schalke 04, hat Hansi Flick dann auch gleich eine Art Kunststück vollbringen müssen, er musste gleichzeitig bremsen und beschleunigen, gleichzeitig hoch heben und am Boden halten.

Sané habe mit einem Tor und zwei Assists "gut rein gefunden" in die Saison und zusammen mit dem Flügelpartner Gnabry "einen gewissen Maßstab gesetzt, aber wir haben jetzt das erste Spiel, da machen wir jetzt einmal ganz langsam". Eher nicht so langsam zogen die ersten Boulevarddichter die Nachnamen der beiden aber schon zu Sabry zusammen - eine kleine, in Wahrheit ziemlich große Reminiszenz an Robbery.

Hansi Flick muss die Akrobaten bei Laune halten

Kingsley Coman, der ein paar Wochen zuvor noch das Siegtor im Champions-League-Finale erzielt hatte, beobachtete all das aus der Quarantäne. Und natürlich hat er da auch mitbekommen, wie ihn die Experten sahen: als ersten und besten Back-up, für Sa- oder -bry, je nachdem.

Wenn aber, was allgemein erwartet wird, Coman an diesem Mittwoch gegen Moskau draußen bleiben wird, dann aus anderen Gründen. Selbst Flick, der aus Prinzip zurückhaltend formuliert, hat Coman nach dem Leipzig-Spiel zur Benchmark erklärt, wie sein Klubchef Rummenigge vermutlich sagen würde; tatsächlich kann im Moment jeder Kicker-Kolumnist, jeder Sport1-Doppelpass-Experte und überhaupt jeder Mensch sehen, wie kolossal sich der 24-jährige Franzose entwickelt hat.

Als Coman kam, galt er als reiner Flügelsprinter, der spätestens mit dem zweiten Ballkontakt vermasselt, was er mit dem ersten angefangen hat; später galt er als reiner Flügelsprinter, der seine Ballkontakte deutlich besser im Griff hat; inzwischen ist er ein kompletter Flügelspieler, der viel rumkommt auf dem Platz und Sieg bringende Flanken oder Pässe auch aus den Halbräumen oder der Zentrale versendet. Allein in den vergangenen drei Bundesliga-Spielen hat Coman vier Tore vorbereitet und zwei selbst erzielt.

Hansi Flick hat gerade die anspruchsvolle, aber auch schöne Aufgabe, Sortierungsarbeiten im historischen Gelände vorzunehmen. Dort, wo Ribéry und Robben ein Jahrzehnt prägten, kann er je nach Form und Fitness seine Flügelpaare zusammenstellen. Im Moment, das weiß auch Sané, sind Coman/Gnabry so etwas wie Bob Bayern I, Sané fährt mit Douglas Costa hinterher. Durch verbales Bremsen, Beschleunigen, Hochheben und Auf-dem-Boden-halten versucht Flick, jeden seiner Flügelakrobaten scharf und bei Laune zu halten, und er weiß natürlich, dass für seinen teuersten Zugang mildernde Umstände gelten. Es waren ja wirklich knifflige Startbedingungen: Sané war in Manchester lange verletzt und kam von dort direkt in eine vor Tatkraft und Selbstgewissheit strotzende Triplesieger-Elf, deren automatisierten, hoch intensiven Spielstil er sich erst mal drauf schaffen muss.

Um seine Integration im Team muss sich Sané aber keine Sorgen machen, er ist Angehöriger der Kimmich/Gnabry/Goretzka/Süle-Generation, die sich lange kennt. Joshua Kimmich wollte ihn unbedingt in München haben, er gilt als Sané-Anhänger, und Kimmich sollte man nie widersprechen.

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