Renato Sanches beim FC Bayern:Das war sein Abend

Von Jonas Beckenkamp, Lissabon

Das Schicksal muss es so gewollt haben, dass dieser Abend in Lissabon sein Abend wurde. Seine Stadt, sein alter Verein, sein versammelter Freundeskreis auf der Tribüne - und mitten drin ein junger Strahlemann mit Dreadlocks, dem selbst beim x-ten Interview noch die Lippen bebten vor Aufregung, Freude, vor Rührung und jener Emotion, die sie vielleicht nur in Portugal so empfinden können: Saudade.

Renato Sanches hatte ein ganzes Stadion in Wallung versetzt und sich selbst gleich mit, das war ihm anzusehen, wie er dastand und vor den Reportern aus seiner Heimat um Worte rang.

Saudade, dieses höchste der Gefühle der portugiesischen Volksseele, die Sehnsucht nach dem Zurückgelassenen, die einen auch in der Fremde nie verlässt. Es manifestierte sich plötzlich, war überall spürbar und erleuchtete das Gesicht des 21-Jährigen wie ein Scheinwerfer. Renato Sanches hatte beim 2:0 (1:0) des FC Bayern zum Auftakt der Champions League gegen Benfica Lissabon für den Saudade-Overload gesorgt. Wer das Konzept dieser Empfindsamkeit nach dieser Nacht noch nicht verstanden hatte, musste schon ein Herz aus Krupp-Stahl in sich tragen.

Sanches entschuldigte sich für sein Tor

Es ist ja auch ein langer Weg gewesen für Sanches, den Kerl aus dem Lissaboner Nordwesten, wo das Leben ihm den Fußball als Ausweg aus verzwickten Verhältnissen anbot. Und es brauchte eine solche Comeback-Show zum Auftakt dieser Champions-League-Saison, um der Welt seine Geschichte vor Augen zu führen: Der Junge aus der Benfica-Jugend, aufgewachsen im Viertel Amadora, weit weg vom Glanz des restlichen Lissabons, ist jetzt in München angekommen.

Sanches musste dafür nur in seine Heimat zurückkehren - und im Spiel seines Lebens eine große Geste zeigen: Er entschuldigte sich für sein Tor. "Ein Zeichen der Liebe und des Respekts für Benfica", wie er sagte. Und auf Portugiesisch klang das natürlich gleich noch viel schöner.

Zehn Jahre verbrachte er bei dem Klub, der ihn vor mehr als zwei Jahren für 35 Millionen Euro (und reichlich Sonderprämien) nach München ziehen ließ. Seine Wiederkehr hätte nicht triumphaler sein können. Denn Sanches hatte nicht nur jenes 2:0 in der 54. Minute erzielt, als er einen Angriff selbst eingeleitet hatte und dann eine Flanke von James über die Linie drückte. Er hatte auch ansonsten vieles von dem gezeigt, was sich der FC Bayern von ihm erhofft. Dynamik, Wucht, diese unwiderstehlichen Märsche mit dem Ball am Fuß. "Genau so brauchen wir ihn auf der Position des Achters", schwärmte Mats Hummels, "er hat sich in den richtigen Räumen bewegt und man hat gemerkt, dass er gelöst ist."

"Der Junge hat einen guten Charakter", lobt Salihamidzic

Dass die Bayern Benfica weitestgehend beherrschten, lag auch an kleinen Kostbarkeiten, die Sanches anders als in seiner Anfangszeit als Münchner plötzlich für sich entdeckte: Er ließ das Spiel mehr auf sich zukommen, passte sich dem Tempo an und nutzte seine Physis in den entscheidenden Momenten. Auch das 1:0 von Robert Lewandowski (10.) hatte er mit einem öffnenden Pass auf den Weg gebracht. "Was wir heute gesehen haben, ist kein Märchen, sondern einfach ein richtig guter Fußballer", erklärte Sportdirektor Hasan Salihamidzic, "der Junge hat einen guten Charakter, er ist fit und hat sich jetzt bei uns eingefunden."

Spätestens bei seinem Treffer waren all die Probleme der Vergangenheit vergessen, als man in München nicht mehr so sicher war, ob es dieser schüchterne, von Heimweh geplagte Junge noch mal packen würde. Klar, es war nur ein Spiel und die Ausfallliste der Bayern (Tolisso, Thiago, Coman) lang, aber für Sanches schien sich ein ganzer Komplex zu lösen. Sein Tor traute er sich kaum zu feiern, er faltete verlegen die Hände über dem Kopf, ein paar Tränen kullerten und dann schenkte ihm das Estádio da Luz ein ganzes Meer an Gefühlen, wie man es selten erlebt im Profi-Geschäft, schon gar nicht als Spieler der Auswärtsmannschaft.

Menschen erhoben sich, Applaus brandete aus allen Ecken der Arena, die Saudade ergriff einfach alle, die da waren. Sanches wurde von den Portugiesen für sein Erwachsenwerden gefeiert. Weil er eben auch in der Ferne im kalten Alemanha immer noch einer von ihnen ist: ein Lisboeta sowie ein Kind des stolzesten Klubs des Landes mit seinen fast 200 000 Vereinsmitgliedern. "Das waren sehr schöne Szenen", fand auch Manuel Neuer, "so was kennt man aus der Bundesliga nicht."

Und während ausnahmslos alle aus der Bayern-Belegschaft ins Schwärmen gerieten über das Gespür der Fans und ihren neuen Ankurbler, traute sich Renato Sanches selbst sogar ein paar Sätze in einwandfreiem Englisch zu. Er sei sehr happy über diese Art der Heimkunft, sagte er. "Ein tolles Gefühl, so hierher zurückzukommen. Es war sehr emotional für mich." Es war sein Abend. Und nichts anderes.

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