Süddeutsche Zeitung

Champions League:Lewandowski ist Bayerns Starkmacher

Der FC Bayern im Jahr 2020 wird angetrieben von frischen Kräften wie Leon Goretzka und Joshua Kimmich. Doch die meiste Energie verströmt gerade der bald 32-jährige Robert Lewandowski.

Von Benedikt Warmbrunn

Ganz am Ende dieses letzten Fußballabends der Saison in der Münchner Arena knarzte und rauschte es noch einmal. Die meisten Spieler hatten das Feld verlassen, auf den Tribünen hockten noch ein paar Funktionäre, Journalisten und Ersatzspieler. Da war aus den Lautsprechern plötzlich eine Stimme zu vernehmen, allerdings nicht die fröhlich glucksende von Stadionsprecher Stefan Lehmann.

Es war für die erfahrenen Besucher der Arena keine unbekannte Stimme, aber wer da ein paar schwer verständliche Anweisungen ins Mikrofon krächzte, das war zunächst nicht zuzuordnen. Dann aber lachte der Mann aus dem Off, und nun war es nicht mehr zu überhören, wer sich da einen Scherz erlaubt hatte. Javier Martínez kam unter dem Dach der Ersatzbank hervor, wo er sich der Stadiontechnik bemächtigt hatte. Er lief auf den Platz raus. Er hatte nun alles vorbereitet für einen letzten kleinen, großen Auftritt.

Und der, den Martínez ausgerufen hatte, der hatte auch verstanden. Martínez reichte sein Smartphone weiter an Lucas Hernandez, dann stellte er sich auf den Rasen, unten die Badelatschen, oben ein Grinsen, und so blickte er empor auf die Tribünen, von denen aus sie ihm jahrelang zugejubelt hatten, die nun aber leer waren und auf die Martínez vielleicht nie wieder blicken wird. Dann machte Hernandez, der teuerste Spieler der Bundesliga, ein Foto von dem Spieler, der einst der teuerste Spieler der Liga war und einer der besten.

Ein paar alte Helden sind immer noch nicht wegzudenken

Die Reise zum Finalturnier der Champions League nach Lissabon, für die sich der FC Bayern am Samstag durch ein weitestgehend lässig herausgespieltes 4:1 im Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Chelsea qualifiziert hatte, wird für Martínez wohl zur Abschiedsreise; wohin es den bald 32 Jahre alten Basken ziehen könnte, ist noch offen; der kicker berichtete zuletzt, Stade Rennes sei interessiert. Sportlich werden sie Martínez kaum vermissen, gegen Chelsea wurde er wenige Minuten vor dem Abpfiff eingewechselt, als alles entschieden war. Der Mann, der beim Champions-League-Titelgewinn 2013 als entscheidendes Puzzleteil gefeiert worden war, wird in Lissabon nur noch als einfaches Delegationsmitglied dabei sein.

Aber eben auch als eine Erinnerung daran, was für Typen es braucht für den ganz großen Triumph.

Die Bayern werden gerade oft mit ihren Vorgängern von vor sieben Jahren verglichen, um den Martínez der Gegenwart geht es dabei kaum noch. Ein paar alte Helden sind immer noch nicht wegzudenken, in der Offensive läuft Thomas Müller immer noch seine Thomas-Müller-Wege, im Tor hält Manuel Neuer wieder wie Manuel Neuer (außer beim Gegentor durch Tammy Abraham am Samstag, da war ihm der Ball entglitten wie ein glitschiges Stück Seife), in der Abwehr verteidigt Jérôme Boateng wieder mit der wuchtigen Autorität seiner früheren Jahre (dass er gegen Chelsea angeschlagen ausgewechselt wurde, beunruhigte Trainer Hansi Flick am späten Samstagabend nicht; er weiß, dass Boateng zäh sein kann).

Doch so wie die Bayern von 2013 auch angetrieben wurden von frischen Kräften wie dem damals für 40 Millionen Euro geholten Martínez, so werden auch die Bayern von 2020 angetrieben von ein paar frischen Kräften. Vom kraftvollen Leon Goretzka, vom flinken Alphonso Davies und natürlich von dem in Ehrgeiz getauften Joshua Kimmich. Doch die entscheidendste frische Kraft in diesem August ist ein Spieler, der seit 2014 für Bayern spielt und der zwei Tage vor dem auf den 23. August terminierten Finale in Lissabon 32 Jahre alt wird. Robert Lewandowski ist in diesen Wochen für den FC Bayern so wichtig wie nie zuvor.

Gegen Chelsea hatte Lewandowski zum 1:0 vom Elfmeterpunkt aus getroffen (nachdem er natürlich höchstpersönlich den Elfmeter herausgeholt hatte). Das 2:0 durch Ivan Perisic hatte er vorbereitet mit einer cleveren Verzögerungstaktik. Das Zuspiel zum 3:1 kam ebenfalls von Lewandowski, und zwar in Form einer Flanke (!) von der linken Seite (!!). Den Endstand erzielte er zur Sicherheit wieder selbst, mit einem präzisen Kopfball. Schon beim 3:0 im Hinspiel im Februar hatte Lewandowski ein Tor erzielt und die beiden anderen vorbereitet.

Insgesamt 13 Tore hat der Angreifer in dieser Champions-League-Saison erzielt, zum Rekord von Cristiano Ronaldo fehlen ihm vier Treffer - allerdings hatte Ronaldo 2013/14 mehr Zeit, da sich damals Viertel- und Halbfinale aus Hin- und Rückspiel zusammengesetzt hatten, anders als beim Turnier in Lissabon. "Wir hätten nix dagegen, wenn er so weitermacht", sagt Trainer Flick. Der Rekord von Ronaldo aber, sagt Lewandowski, "ist nicht mein Ziel". Mit Blick auf das Viertelfinale gegen Barcelona betonte er: "Wir müssen als Mannschaft gut spielen."

Plattitüden, ja, Sätze auch, die Lewandowski schon seit Jahren sagt. Aber in diesem Sommer lebt er sie auch auf dem Platz. Und das macht ihn so wertvoll.

Auch gegen Chelsea, nach knapp einem Monat ohne Pflichtspiel, hatten die Bayern nichts von dem verloren, was sie in der Liga zuletzt so stark gemacht hat: Bei jedem Angriff, aber auch bei jeder Defensivbewegung hatte nichts geknarzt und nichts gerauscht, alle Spieler waren durchgehend auf Sendung, mit bestem Empfang. Nach vorne öffneten sie gemeinsam Lücken, nach hinten verdichteten sie die Räume, und wenn sich einer mal nicht mitbewegte, gab er entsprechende Anweisungen.

Gegen das stille Chelsea holten sich die Bayern durch ihre pausenlose Abstimmung auch einen akustischen Vorteil. Und zu all denen, die sich verschoben, nach hinten, nach vorne, nach links, nach rechts, zählte eben auch Robert Lewandowski, bei dem sich früher allenfalls die linke oder die rechte Schulter nach unten verschoben hatte, manchmal auch beide auf einmal, dann, wenn ein Angriff nicht nach seinem Willen (also mit einem Pass auf ihn) zu Ende gegangen war.

Lewandowskis Tore, sagte Thomas Müller, das sei das, "was ihn weltweit bekannt gemacht hat, was in der Zeitung steht". Das andere aber, die Wege zur Seite, die anderen einen Raum aufreißen, die Wege nach hinten, die gegnerische Angriffe unterbinden, bevor sie überhaupt erst so richtig in Schwung kommen, das stehe zwar nicht in der Zeitung, behauptete Müller etwas voreilig, aber all das "ist viel wichtiger für uns". Über den mitarbeitenden Lewandowski sagte Müller: "Das macht uns stark, und ich hoffe, dass uns das bis Ende August stark macht."

Dann, am 23., findet das Finale in Lissabon statt, und sollte der FC Bayern es bis dahin durchs Turnier schaffen, hätte der dann frischeste 32-Jährige der Welt ja auch noch ein drittes Spiel, um einen Rekord einzustellen, der ein ganz kleines bisschen doch auch ein Ziel von ihm ist.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2020/ska
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