Champions League:Bayern zeigt eine menschliche Seite

Champions League: Geschafft: Alaba, Müller und Süle (von links nach rechts) stehen im Finale

Geschafft: Alaba, Müller und Süle (von links nach rechts) stehen im Finale

(Foto: AP)

Die Münchner haben gegen Lyon zu kämpfen, ziehen aber verdient ins Finale ein. Trainer Flick will auch gegen Paris Saint-Germain die riskante Spielweise fortsetzen.

Von Tim Brack

Es war schon beim Einlaufen zu merken, dass die Bayern einen ungemütlichen Abend gegen Olympique Lyon erwarteten. Die Spieler hatten ernste Mienen aufgesetzt. Nur zwei Akteure widersetzten sich dem einheitlichen Schauspiel: Thomas Müller, der vermutlich auch beim Gang zum Schafott ein Lächeln auf den Lippen tragen würde, und Serge Gnabry, der den Einzug ins Champions-League-Finale mit seinen zwei Toren maßgeblich bestimmen sollte. Es sei ihm also verziehen.

Die Demonstration der Ernsthaftigkeit war nach der Galavorstellung im Viertelfinale gegen den großen FC Barcelona nötig. Doch das 3:0 (2:0) gegen Lyon hinterließ den zu erwartenden Eindruck: Alles, was auf ein 8:2 folgt und kein 8:2 ist, sieht zwangsläufig etwas glanzlos aus. Aber das war an diesem Mittwochabend im Estadio José Alvalade in Lissabon auch in Ordnung. Die Bayern zeigten im Champions-League-Halbfinale gegen Lyon eine menschliche Seite, mussten kämpfen, beißen, hatten Schwierigkeiten. Aber sie setzten sich durch und das spricht für die enorme Qualität der Mannschaft von Hansi Flick: Gegen die Künstler aus Barcelona demonstrierten sie die größere Kunst, gegen die Kämpfer aus Lyon den größeren Kampf. "Wir haben gezeigt, dass wir auch dagegenhalten können", sagte David Alaba bei Sky, "nicht nur körperlich, sondern auch mental."

Die Franzosen hatten erneut bewiesen, wie unbequem sie für die mächtigen Klubs Europas sind - und wie wohl sie sich in der Rolle des David fühlen. Zuvor hatten sie ja schon die Goliaths aus Turin und Manchester aus dem Wettbewerb geworfen. Gegen beide Spitzenmannschaften, die über eine ähnlich hohe individuelle Qualität wie Bayern verfügen, ließen sie in drei Spielen nur drei Tore zu. Trotzdem sah sich Flick, nachdem seine Elf drei Treffer in 90 Minuten gegen die athletischen Franzosen erzielt hatte, dazu bemüht klarzustellen: "Das war immerhin ein Halbfinale in der Champions League. Dass es da nicht immer so optimal läuft, ist auch normal." Die Bürde eines 8:2 eben.

Hohes Anlaufen als Schlüssel zum Erfolg

Flicks Bayern hatten mehrfach Glück, dass die Franzosen es mit ihrer Chancenverwertung nicht ganz so ernst nahmen. Memphis Depay vergab freistehend, Toko Ekambi traf den Pfosten, Manuel Neuer hielt einmal famos. Dann stellte sich ein Phänomen ein, das oft in der Bundesliga zu beobachten ist: Wenn ein kleinerer Gegner seine Gelegenheit nicht nutzt, treffen die Münchner eben selbst. Als wollten sie eine Lehrstunde erteilen: Schaut her, so funktioniert Kaltschnäuzigkeit. "Lyon hatte Chancen in der ersten Halbzeit und hat in der zweiten Halbzeit auch eine liegen lassen, das wird auf diesem Niveau dann bestraft", sagte Alaba.

Dass die ersten beiden Treffer von Serge Gnabry (18./33.) jeweils in einem günstigen Moment fielen, ist fast schon bezeichnend für diese Bayern-Mannschaft, der alles gelingt, auch wenn manchmal weniger zu gelingen scheint. "Es war ganz wichtig, dass die Schüsse von Serge reingingen", sagte Neuer. "Der Zeitpunkt war dafür sehr gut, weil wir nicht ganz so top gestartet und ins Spiel gekommen sind." Das 3:0 durch Robert Lewandowski (88.) kam gelegen, weil es Robert Lewandwoski immer gelegen kommt, wenn er trifft. Schlüssel für den Erfolg war wieder einmal das hohe Anlaufen, das Hansi Flick in seiner Mannschaft tief implementiert hat. Die frühen Attacken führten zu Ballgewinnen, die wiederum zu Toren führten.

Allerdings birgt diese Taktik ein Risiko, weil Bayern mit der Abwehr weit aufrücken muss, um das intensive Pressing lückenlos durchzuführen. Die Chancen von Lyon resultierten immer aus Pässen hinter die hoch stehende Viererkette. Eine Schwachstelle, die prädestiniert ist für schnelle Spieler wie Kylian Mbappé von Finalgegner Paris Saint-Germain. "Wir werden die Dinge analysieren und wissen natürlich schon, dass Paris sehr schnelle Spieler hat. Wir müssen also schauen, dass wir die Defensive noch ein bisschen anders organisieren", sagte Flick. Auf seine charakteristische Spielweise will er deswegen im Endspiel aber nicht verzichten. "Unsere große Stärke ist es, dass wir den Gegner unter Druck setzen. Das wird uns, denke ich, gegen Paris auch gelingen und wenn wir Ballgewinne haben, ist das eine Stärke von uns. Wir wissen, dass wir ein hohes Risiko gehen."

Flick schaut so intensiv wie seine Mannschaft anläuft

Flick verkörpert das bodenständige Selbstbewusstsein einer Mannschaft mit solchen Worten perfekt. Auf der Trainerbank schaut er mindestens so intensiv wie seine Spieler auf dem Feld pressen und nach der Partie spricht er so geerdet und abgeklärt wie seine Mannschaft sich gibt. "Was ihn auszeichnet, ist die Ruhe und die Besonnenheit, die er und sein Trainerteam ausstrahlen", lobte Kapitän Neuer bei Dazn, "egal, gegen welchen Gegner wir spielen: Wir waren immer top vorbereitet."

Die Einwechselspieler überzeugen

Dank dieser Mischung hofft der FC Bayern auf das zweite Vereins-Triple nach 2013. Neuer, der damals dabei war, sieht die aktuelle Bayern-Mannschaft im Vergleich zu der 2013er-Auswahl sogar überlegen. "Wir sind in der Breite besser aufgestellt, haben Klasse-Spieler über den 18er Kader hinaus." Der Torhüter geriet regelrecht ins Schwärmen: "Fantastisch, was für eine Mannschaft wir haben, ohne Stinkstiefel im Team."

Die gut besetzte Ersatzbank zahlte sich auch gegen Lyon aus. Nachdem Lyon der Startelf einiges an Kraft und Konzentration geraubt hatte, belebten Süle, Pavard, Coman, Tolisso und Coutinho die müde gewordene Elf. Stellvertretend sei der Brasilianer Philippe Coutinho erwähnt, der die Angewohnheit hat, den Ball lange zu halten und Tempo zu verschleppen. Gegen Lyon war es exakt das, was die Mannschaft brauchte.

Die Mienen der Bayern-Spieler entspannten sich nach dem Schlusspfiff kurz. Aber Ausgelassenheit war nicht zu erkennen. Die Mannschaft hatte schon das Finale im Kopf.

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