Champions League:Bayern bringt Anfield zum Schweigen

Von Claudio Catuogno

You'll never walk alone, sangen sie also an der Anfield Road, die Fußballhymne schlechthin, zelebriert von fast 50 000 Kehlen - aber das war ja keine Überraschung gewesen für die Spieler des FC Bayern. Sie schienen das sogar ein bisschen zu genießen, besonders Mats Hummels konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Überraschung kam dann bald nach dem Anpfiff.

Hatte es von den Fans des FC Liverpool nicht geheißen, dass sie immer weiter singen und toben, weiter, immer weiter, dass sie ihre Mannschaft nach vorne peitschen, und dann steht es irgendwann Mitte der ersten Halbzeit 3:0, einfach weil Team und Stadion eine Symbiose bilden, die jeden Gegner erstarren lässt?

So wie im letzten Jahr, als sie Manchester City im Viertelfinale aus dem Weg geräumt hatten?

Nun, an diesem Dienstagabend sangen sie schon bald nicht mehr, die Liverpool-Fans, stattdessen begutachteten sie dieses Hinspiel im Champions-League-Achtelfinale auf erstaunlich geräuscharme Weise. Auf den Tribünen hörte man derweil die Bayern-Fans.

Goretzka fällt aus - Martínez spielt von Beginn an

Vertauschte Rollen also, und der Grund dafür war: Respekt. Das war wahrscheinlich die wichtigste Botschaft dieses Spiels aus Münchner Sicht: dass der FC Bayern sich in Liverpool eine Menge Respekt zurückerarbeitet hat, nachdem ja einiges immer wieder aufs Neue schiefgegangen war in den vergangenen Wochen, vor allem das konsequente Verteidigen. Aber diesmal: "Taktisch gut eingestellt, klasse gemacht, mental 90 Minuten richtig da", lobte der Trainer Niko Kovac hinterher. Und auch nicht ganz unwichtig ist natürlich das Ergebnis: ein 0:0, das den Bayern alle Möglichkeiten offen hält, das Viertelfinale zu erreichen. Oder, wie Jürgen Klopp es zusammenfasste, der Trainer des FC Liverpool: "Kein Scheiß-Ergebnis, steht immer noch 0:0, weiter geht's".

Es wird auf dieser Welt zwar immerzu irgendwo Fußball gespielt und übertragen - aber Spiele, die vorher derart groß erscheinen, sind dann doch die Seltenheit. Seit 1981 hatte der FC Bayern nicht mehr in Liverpool gespielt, seit 38 Jahren also, Pokal der Landesmeister hieß der Wettbewerb damals noch. Und auch dies nicht zu vergessen: In bislang 19 Versuchen hatte noch nie eine deutsche Mannschaft in Anfield gewonnen.

Aber damit nicht genug: Nun sollte dieses Achtelfinale quasi auch noch die gesamte Bayern-Saison definieren, und die Frage, ob der Trainer Kovac der ganz großen Bühne gewachsen ist in seiner ersten Champions-League-Saison, diese Frage am besten gleich mit! Und zumindest einige Fragen erscheinen nun tatsächlich - wenigstens vorläufig - beantwortet: Ja, die Bayern mögen zwar von zuvor sechs Pflichtspielen kein einziges ohne Gegentor überstanden haben. Aber wenn es drauf ankommt, kriegen sie es hin. "Wenn wir so eine Struktur im Spiel haben wie heute", sagte Kovac, "dann ist es für jeden Gegner schwer gegen uns zu spielen."

Sollte der Trainer Kovac in den letzten Tagen gegrübelt haben, mit welchem Personal sich die Bayern den Liverpooler Kontern entgegenstellen sollen, dann erledigte sich das am Dienstagmorgen. Da meldete sich Leon Goretzka, einer der Besten der vergangenen Wochen, wegen andauernder Schmerzen an der Achillessehne endgültig ab. Damit war dann auch klar: Javi Martínez würde zusammen mit Thiago und James Rodríguez die Zentrale bilden. Martínez sollte dank seiner überragenden Zweikampfbilanz auf der Sechser-Position am Ende ein Schlüssel sein zum Erfolg. "Fantastisch", schwärmte Kovac. Kingsley Coman wiederum war laut Kovac im Abschlusstraining zwar "nicht komplett schmerzfrei" nach seiner Sprunggelenksverletzung - befand sich allerdings selbst für einsatzfähig und besetzte den linken Flügel. Außerdem? Boateng krank, Müller gesperrt, Robben weiter verletzt - so ergab sich der Rest von selbst.

Mats Hummels spielt beachtlich

Jürgen Klopp, der erstmals seit fast vier Jahren wieder mit einer Mannschaft auf die Bayern traf, hatte wiederum in der Defensive improvisieren müssen: Weil seine Stamm-Innenverteidiger fehlten, schickte er den ehemaligen Schalker Joël Matip gemeinsam mit dem gelernten Außenverteidiger Fabinho in die Schlacht, zwei, die bislang noch nie zusammengespielt hatten. Und, Überraschung: Klopp ließ James Milner zunächst auf der Bank, der doch eine Art emotionales Kraftzentrum für diese Elf darstellt, und brachte stattdessen den Ex-Leipziger Naby Keita, von dem er sich mehr spielerische Akzente erhoffte.

Die Liverpooler begannen dann, ihr Attacke-Attacke-Attacke-Programm derart konsequent durchzuziehen, dass sie zu Beginn sogar dem Bayern-Torhüter Manuel Neuer bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf den Füßen herumstanden, um ihn als Anspielstation aus dem Spiel zu nehmen. Die Bayern aber blieben ebenfalls bei ihrem Plan: Sie ließen sich nicht zu langen Bällen drängen, sondern ließen hoch konzentriert und geduldig den Ball laufen. Meistens zwar, ohne übermäßig riskante Aktionen zu starten, aber eben auch mit extrem wenigen Ballverlusten. Das wiederum durchkreuzte Liverpools Plan, nach Ballgewinnen schnell umzuschalten.

Keine Tore, aber guter Fußball

Ganz aus dem Spiel nehmen ließ sich die exquisite Angriffsabteilung der Reds erwartungsgemäß nicht: Mo Salah hatte eine erste gute Gelegenheit, als er - zwischen Süle und Kimmich postiert - einen von Hendersen in den Strafraum geschlagenen Ball noch mit der Fußspitze verwerten konnte; Neuer parierte (12.). Gleich darauf startete Gnabry einen Bayern-Angriff über die rechte Seite, flankte nach innen, und Matip rammte den Ball um ein Haar ins eigene Tor. Torwart Alisson stand zufällig noch in der Schussbahn (13.).

Dann hatten wieder die Reds weitere Möglichkeiten, die fast immer aus schnellem Umschaltspiel resultierten. Aber entweder die Münchner brachten die Situation unter Kontrolle; insbesondere Hummels tat sich mit beachtlichen Szenen hervor. Oder Liverpool führte die Aktionen nicht mit letzter Konsequenz zu Ende, "wir haben denen zu viele Bälle in die Füße gespielt", klagte Klopp. Die zweite Halbzeit begann, wie die erste geendet hatte: Liverpool wartete auf Gelegenheiten, die Bayern setzten dem ihr konzentriertes, geduldiges Ballbesitzspiel entgegen. Heraus kam am Ende: Keine Tore. Aber guter Fußball, mit letztlich bloß einem Wermutstropfen für die Münchner: Joshua Kimmich ist wegen einer gelben Karte fürs Rückspiel gesperrt. Und Anfield schwieg.

Zur SZ-Startseite
Champions League - Round of 16 First Leg - Liverpool v Bayern Munich

Reaktionen zur Champions League
:"Wir haben unser Ziel erreicht"

Bayern-Trainer Niko Kovac freut sich übers Resultat und die Leistung seiner Mannschaft. Für Liverpool-Coach Jürgen Klopp ist das 0:0 "kein Traumergebnis". Die Stimmen zum Spiel.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: