Champions League:Lewandowski zieht die Lok

Sport Bilder des Tages Bayern Munich v Chelsea - UEFA Champions League - Round of Sixteen - Second Leg - Allianz Arena M

Zog gegen Chelsea den Angriff: Robert Lewandowski.

(Foto: Sven Hoppe/Imago/PA Images)

Der FC Bayern ist auch deshalb Favorit in Portugal, weil er vorne drin einen Stürmer hat, der hier und heute und nur mit diesem Klub die Champions League gewinnen möchte.

Von Christof Kneer

Hansi Flick kennt sie alle. Er wohnte bei der EM 2008 mit der deutschen Nationalmannschaft im Hotel Giardino im Tessin, und als Co-Trainer hat er natürlich mitbekommen, wie die Spieler damals über eine verblüffende Fehlplanung des Verbandes schimpften: Der DFB-Bus musste auf dem Weg vom Hotel zum Trainingsplatz immer durch einen Tunnel fahren. Hansi Flick kennt aus eigener Erfahrung auch das Velmore Grand, jenes Luxushotel-Imitat mitten im südafrikanischen Nichts, aus dessen Hotelteich der Nationalspieler Miroslav Klose bei der WM 2010 angeblich einen alten Schuh angelte. Flick kann sich auch noch an den immergrünen Olivenhof im polnischen Sopot erinnern, durch dessen Hotelgarten so viele Reporter marodierten, dass die Pressekontakte nach dieser EM 2012 reduziert wurden.

Und klar: Das Campo Bahia, das kennt sowieso jeder. Genau so wie diese schnuckelige Fähre, die Deutschlands Nationalspieler im Sommer 2014 so lange zwischen brasilianischem Festland und brasilianischem Halbinselchen hin und her fuhr, bis die Nationalspieler Weltmeister waren.

Und jetzt also, sechs Jahre später: Das Luxusresort "Cascade" in Lagos an der portugiesischen Algarve, schon auch sehr schön da, aber halt auch sehr anders. Erste Bilder von Hansi Flick zeigen ihn mit Maske, es gibt keine Reporter im Hotelgarten, dafür ein ausgefeiltes Hygienekonzept. Vereinsmannschaften spielen ja eigentlich keine Turniere, außer eben jetzt, in Corona-Zeiten, und immerhin dürfte sich Hansi Flick trotz der ungewohnten Maske ein bisschen heimisch fühlen. Er kennt das ja.

Die spanische Zeitung Sport schreibt, die Bayern seien "unersättlich"

Flick, 55, kennt die Turnierlogik aus seinen Jahren an der Seite von Jogi Löw, er weiß, wie sich solche Tage im Hotel anfühlen, wie man sie strukturiert, wie man Spannung aufbaut. Und auch, dass man manchmal Quartiere auswählen muss, die nicht in der Nähe des Spielortes liegen. Am Sonntag sind die Münchner an der Algarve angekommen, erst am Donnerstag werden sie zum offiziellen Champions-League-Finalturnier nach Lissabon aufbrechen, wo am Freitagabend der FC Barcelona wartet.

Wenn die Nationalmannschaft zu Turnieren reist, gilt sie in der Regel mindestens als Mitfavorit, aus diesem Grund: Weil Deutschland immer Mitfavorit ist. Auch die Bayern haben nach dem 4:1 gegen Chelsea große Sätze begleitet, die Bayern würden der Konkurrenz "Angst" machen, schrieb die spanische Zeitung Sport , "unersättlich" seien sie, "eine Siegmaschine".

Und Lothar Matthäus, als Siegmaschine früher sogar TÜV-geprüft, hat die Münchner in einer Kolumne auf skysport.de nur deshalb nicht zum Mitfavoriten ernannt, weil ihm gar keine anderen Klubs mehr zum Vergleichen eingefallen sind. Er sei "wirklich bemüht, die Nadel im Heuhaufen zu suchen", schrieb er, aber bei Bayern sei "gerade keine zu finden". Abgesehen davon, dass er vermutlich das Haar in der Suppe meint, will er damit wohl sagen, dass die Bayern kein Mit-, sondern der Dobbfavorid auf den Titel seien, wie Matthäus sagen würde, wenn er nicht schreiben würde.

Lewandowski verblüfft seine Mitspieler

Aber es ist ja wahr: Die Teams, die Bayern besonders fürchten müsste, haben es gar nicht nach Portugal geschafft. Jürgen Klopps FC Liverpool, der ein Dobb-Bressing spielt (so Matthäus). Oder Real Madrid und Juventus Turin, wettkampfharte, zynische Siegmaschinen. Was den Bayern nun eher gefährlich werden könnte, sind einzelne Genies: Lionel Messi, der Schöpfergeist des Viertelfinal-Gegners Barcelona; oder Pep Guardiola, Trainer des möglichen Halbfinal-Gegners Manchester City.

Tatsächlich ist eines ja bedrohlich neu in der Mechanik dieser bayerischen Siegmaschine: Dass sie inzwischen vorschriftsmäßig von vorne gezogen wird. So haben erstaunlich viele Bayern-Spieler zuletzt in offiziellem und auch inoffiziellem Rahmen ihre Verblüffung über den Tachostand von Mittelstürmer Robert Lewandowski zum Ausdruck gebracht. Sie haben das unterschiedlich intoniert, aber alle dasselbe gemeint: So viel rennt der da vorne sonst nie.

Lewandowski sei "tatsächlich ein Phänomen", sagte Mittelfeldspieler Leon Goretzka nach dem 4:1 gegen Chelsea und berichtete von dem inneren Konflikt, der ihn in der Woche vor dem Spiel umgetrieben hatte. Im Training habe er, Goretzka, sich "zwischenzeitlich gedacht, soll ich ihn mal ansprechen, warum er nicht läuft?" Lewandowski habe dann aber nur geantwortet: "Bleib ruhig! Samstag ist wichtig." Am Samstag besiegte Lewandowski unter Mithilfe des FC Bayern dann den FC Chelsea.

Boateng und Coman sind schon wieder zurück im Training

Auch von Thomas Müller waren ähnliche Sätze zu hören, listige Lobeshymnen auf den Vordermann, die gleichzeitig ein bisschen pieksten. Früher habe man sich "da vorne" manchmal ein bisschen mehr Laufleistung gewünscht, meinte Müller im SZ-Interview, "immer dann, wenn wir wieder mit rotem Kopf das Feld verlassen haben, nach 13 gelaufenen Kilometern". Unter Flick hätten nun aber "alle ein auffällig gutes Defensivverhalten, auch die Stürmer". Auch nach dem Chelsea-Spiel lobte Müller demonstrativ Lewandowskis weite Wege, die "viel wichtiger für uns" seien als die Tore, "die in der Zeitung stehen".

Vielleicht ist das ja der Grund, liebe Zeitung Sport aus Spanien, warum die Bayern gerade "Angst" verbreiten. Weil die ohnehin gut geölte Lokomotive jetzt auch noch von Lewy, dem Lokomotivführer gezogen wird. Lewandowski hat sich längst von allen Wechselgedanken verabschiedet, er will hier und heute und nur noch mit diesem Verein die Champions League gewinnen, und mit knapp 32 nimmt er sich auch das Recht, sich die Kräfte so einzuteilen, wie er das möchte. Und die Kollegen lassen ihn, sie vertrauen darauf, dass sie im Spiel genau das kriegen, was sie im Training anscheinend manchmal vermissen.

Die zuletzt angeschlagenen Jérôme Boateng und Kingsley Coman haben am Montag an der Algarve schon wieder mit trainiert, es gibt außer Benjamin Pavard gerade keine Verletzten. "Wir sagen jetzt nicht, wir sind in Portugal, in der Nähe des Meeres, und machen eine Urlaubsreise", sagte Thomas Müller am Montag.

Gut übrigens, dass er das nicht sagt. Sonst bekäme er sicher Ärger mit Robert Lewandowski.

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