Zunächst die Fakten: Der FC Bayern hat gegen Girondins Bordeaux mit 0:2 verloren und kann das Achtelfinale nicht mehr aus eigener Kraft erreichen. Sollte Juventus Turin am kommenden Spieltag gegen das bereits qualifizierte Bordeaux gewinnen, dann wären die Münchner zum ersten Mal seit der Saison 2002/2003 in der Vorrunde eines internationalen Wettbewerbs gescheitert.
18 Pflichtspiele hat der FC Bayern in dieser Spielzeit absolviert, neun Siegen stehen fünf Unentschieden und vier Niederlagen gegenüber. Das ist gleichbedeutend mit Platz sechs in der Bundesliga, Platz drei in der Champions-League-Gruppe und dem Erreichen des Viertelfinales im DFB-Pokal. In der vergangenen Saison unter Jürgen Klinsmann waren es nach 18 Spielen elf Siege bei fünf Unentschieden und nur zwei Niederlagen.
Neben diesen Fakten gibt es die Wahrnehmung des Trainers Louis van Gaal. Vergleicht man die Aussagen des Trainers nach den Partien, dann hat seine Mannschaft 18 von 18 Pflichtspielen klar dominiert und jeweils eindeutige Punktsiege eingefahren. Ein typischer Van-Gaal-Satz - wie er ihn auch nach dem Spiel gegen Bordeaux in die Mikrofone diktierte - lautet so: "Wir haben das Spiel kontrolliert, wir haben Chancen kreiert - aber wir haben keine Tore erzielt." Am Mittwoch ergänzte er, dass diesmal auch noch das Glück gefehlt habe.
Der ehemalige Trainer Ottmar Hitzfeld wollte diese Einschätzung nicht teilen. "Das war Rasenschach und kein Tempofußball", urteilte er über die erste Halbzeit. Und mit Philipp Lahm gab es nun auch einen Spieler, der der Wahrnehmung des Trainers widersprach. "Wir können uns nicht immer nach den Spielen hinstellen: Wir sind die bessere Mannschaft gewesen."
Die Spieler haben das System des neuen Trainers grundsätzlich verinnerlicht, das ist zu erkennen. Es beruht auf Ballbesitz, noch mehr Ordnung und der Vermeidung von Fehlern - und auf der Verwertung der Handvoll Torchancen, die sich scheinbar zufällig ergeben. Torreiche und überzeugende Siege wie im DFB-Pokal gegen Frankfurt scheinen nicht der Trend, sondern die Ausnahme zu sein.
Van Gaal verwies in den vergangenen Wochen immer wieder darauf, dass er Zeit brauche, dass der ihm zur Verfügung gestellte Kader nicht unbedingt seinen Wünschen entspräche und dass die Transfers einiger Spieler (Anatolij Timoschtschuk, Mario Gomez) nicht die seinen waren. Edson Braafheid und Danijel Pranjic indes wurden auf Wunsch des Trainers geholt - und gäbe es das Wort unterragend, dann müsste man es auf die Leistung der beiden am Dienstag anwenden.
Nach 18 Pflichtspielen scheint es, als habe der FC Bayern weniger ein Trainerproblem als vielmehr ein Identitätsproblem. Die Frage lautet: Welche Art von Mannschaft möchte der Verein haben? Eine forsch nach vorne spielende Truppe mit begeisterndem Offensivfußball oder doch eher ein Team aus Pragmatikern, das Partien kontrolliert und auf das Ausnutzen weniger Torchancen hofft? Der aktuelle Kader bietet von beidem ein wenig: Die forschen Arjen Robben und Franck Ribéry, ohne die kaum ein kreativer Moment entsteht, sind derzeit angeschlagen oder verletzt, die Pragmatiker Anatolij Timoschtschuk und Mark van Bommel verwalten Partien, können sie aber nicht entscheidend prägen.
Die Frage nach der Identität müssen die Verantwortlichen schleunigst klären. Der FC Bayern muss nun in der Bundesliga gegen Schalke 04 (Platz vier) und Bayer Leverkusen (Platz eins) antreten, danach spielen die Münchner gegen Maccabi Haifa um den Verbleib in der Champions League. Diese Aufgaben kann nur eine Mannschaft bewältigen, die weiß, wie sie erfolgreich spielen kann.