Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in der Champions League:Neues aus Hollywood

Die Münchner Offensive überstrahlt beim 6:2 in Salzburg manche Schwächen. Rund um das Spiel geht es auch darum, wie das Team mit den Querelen um Alaba umgeht - Trainer Flick ist sichtbar genervt.

Von Sebastian Fischer, Salzburg

David Alaba hatte etwas entdeckt, das ihn gleichermaßen empörte und amüsierte, und das wollte er nicht für sich behalten. Es ging auf Mitternacht zu im leeren Salzburger Stadion, in dem der FC Bayern mit 6:2 (2:1) auch sein drittes von drei Champions-League-Spielen dieser Saison gewonnen hatte. Doch der Abwehrchef hatte noch nicht Feierabend, er drehte im Regen beim Auslaufen seine Runden, wie fast alle seine Mitstreiter. Fast alle, das war der Grund für seinen Protest: Alaba zeigte, lachend, auf seinen Verteidiger-Kollegen Jérôme Boateng, der nicht mitlief, sondern am Spielfeldrand Interviews fürs Fernsehen gab.

Die Szene verriet am Ende eines turbulenten Abends drei wesentliche Dinge über die Gegenwart beim deutschen Rekordmeister. Erstens: Regeneration ist wichtig, da am Samstag die Spitzenpartie bei Borussia Dortmund in der Bundesliga ansteht - das 6:2 gegen Österreichs Meister mit vier siegbringenden Toren in der Schlussviertelstunde war ja nicht zuletzt auch ein Erfolg der Fitness. Zweitens: Die Abwehr stand bei diesem Erfolg auch im Mittelpunkt, deshalb sprach im Fernsehen Boateng, der an beiden Gegentoren ebenso wie an der Schlussoffensive entscheidend beteiligt war. Drittens: Alaba wirkte eigentlich recht gut gelaunt.

Die Zukunft des österreichischen Nationalspielers ist ja trotz des anstehenden Topspiels das große Thema beim FC Bayern. Das geht Trainer Hansi Flick so sehr auf die Nerven, dass er in der Pressekonferenz nicht einmal versuchte, daraus ein Geheimnis zu machen, sondern auf Nachfrage nur mit einem Halbsatz antwortete: "absolut, zu hundert Prozent" verhalte sich David Alaba, 28, professionell.

Alaba steht unter besonderer Beobachtung

Der FC Bayern hat das Thema selbst auf die Agenda gesetzt durch die Verkündung von Präsident Herbert Hainer, der Klub habe die Verhandlungen mit Alaba über eine Verlängerung des im Sommer auslaufenden Vertrags abgebrochen. Vor dem Spiel am Dienstag wiederholte dies Sportvorstand Hasan Salihamidzic - in einer Wortwahl, aus der man noch mehr Zuspitzung deuten konnte: "Ich weiß jetzt nicht mehr, wie wir zusammenfinden sollen", sagte er bei Sky: "Wir müssen uns damit beschäftigen, dass uns David verlassen wird."

Nun ist im Fußballgeschäft für gewöhnlich jedes öffentlich gesprochene Wort auch ein bisschen Verhandlungstaktik. Dass es sich noch nicht unbedingt um eine finale Absage gehandelt haben muss, war am Mittwoch in der Sport-Bild zu lesen, der wiederum Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte: "David Alaba muss nun für sich eine Entscheidung fällen."

All das trägt jedenfalls dazu bei, dass Alaba nun unter besonderer Beobachtung steht. Geht es nach Thomas Müller, ist das aber gar nicht so schlimm: "Es ist ja schön, wenn's ein bisschen knistert", sagte er. Früher, als Fan, habe er solche Geschichten "gerne gelesen. Wenn es mal wieder hieß: FC Hollywood. Da waren wir live dabei." Und als der FC Bayern in den Neunzigerjahren FC Hollywood genannt wurde, gewann der Klub ja auch meistens. Alaba, findet der Kollege Müller, lasse sich auf dem Platz von der Unruhe nicht beeinflussen.

Nimmt man das Spiel gegen Salzburg als Beispiel, wirkte die Münchner Abwehr, die der frühere Linksverteidiger Alaba seit rund einem Jahr in der Mitte organisiert, allerdings durchaus ein paar Mal recht konfus - gegen wild und früh störende, drauflosstürmende Gastgeber. Beim ersten Gegentor nach vier Minuten ließen Alaba und Boateng den Salzburger Sekou Keita dribbeln und schießen, Rechtsverteidiger Benjamin Pavard ließ den Torschützen Mergim Berisha unbewacht. Beim zweiten Gegentor zum 2:2 (66.) reichte ein Pass von RB-Verteidiger André Ramalho nach Ballverlust von Robert Lewandowski aus, um dem Torschützen Masaya Okugawa die Bahn zum Tor frei zu machen. Boateng sah dabei nicht ganz so gut aus.

Der neutrale Zuschauer könne mit dem Spiel sehr zufrieden sein, sagte Hansi Flick später. Doch als parteiischer Zuschauer ärgerte er sich natürlich über die Gegentreffer, zu denen noch mindestens ein dritter hätte hinzukommen können: Zweimal hielt Manuel Neuer, einmal hätte man ein Handspiel von Corentin Tolisso im Strafraum durchaus als solches mit einem Elfmeter ahnden können.

Der FC Bayern hat in der Bundesliga, die er als Tabellenerster anführt, nach sechs Spielen bereits neun Gegentore kassiert. Gerade mal deren zwei bekam der Tabellenzweite Dortmund. In Salzburg war es einmal mehr Rechtsverteidiger Pavard, der etwas unsicher wirkte. Lucas Hernández machte links einen guten Eindruck und schoss zum 6:2 sein erstes Tor für den Verein. In der Mitte schienen angesichts des zwischenzeitlich großen Raums für flinke Salzburger nicht immer die Abstände zu stimmen.

Trainer Flick gefällt die Mentalität

Aber das war schließlich nicht spielentscheidend. Der FC Bayern hat in zwölf Pflichtspielen auch bereits sagenhafte 44 Tore erzielt. Das 2:1 (44.) in Salzburg, ein von Müller provoziertes Eigentor, stand unter Abseitsverdacht. Die schönsten Tore, die hinzukamen, waren das 4:2 durch den eingewechselten Leroy Sané, ein Schlenzer in den Winkel, und das 5:2, ein Kopfball, für den sich Robert Lewandowski in der Luft artistisch verrenkte. Und Boatengs wegweisender Kopfball zum 3:2, 13 Minuten nach Salzburgs Ausgleich, drückte am besten aus, was Flick später lobte: Nach dem 2:2, sagte er, habe ihm die Mentalität gefallen. Über Mentalität im weitesten Sinne sprach auch Boateng, dessen Leistung durch sein Tor schließlich eine gute war. Natürlich sei das "ein Thema" im Team, die Unruhe um Alaba. Aber: "Nicht so groß, wie es gemacht wird." Alaba habe "wieder ein super Spiel gemacht". Und: "Wir als Mannschaft stehen absolut hinter ihm." Boateng kann die Situation beurteilen. Vor eineinhalb Jahren empfahl ihm der damalige Präsident Uli Hoeneß öffentlich, sich einen neuen Klub zu suchen. Boateng ist immer noch da, zur Freude aller Beteiligten.

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SZ vom 05.11.2020/tbr
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