Start der Champions League:Und Bayern ist gleich wieder Favorit

Final Football UEFA Champions League FC BAYERN MUENCHEN - PARIS SAINT GERMAIN (PSG) 1-0 Lisbon, Lissabon, Portugal, 23rd

Dürfen die Bayern gleich noch einmal die Hand an den Henkelpott legen? Wird der Sieg im Finale von Lissabon der Beginn einer Ära? Kapitän Manuel Neuer und Kollegen feiern im August in Portugal.

(Foto: Peter Schatz/imago)

Die Münchner starten als Titelverteidiger - aber von Madrid bis Liverpool werden die europäischen Topteams versuchen, die Bayern vom Champions-League-Thron zu schubsen. Eine Europareise, trotz Corona.

Von Javier Cáceres, Sven Haist, Christof Kneer und Oliver Meiler

Kann das sein, dass die Champions League schon wieder losgeht, hat der FC Bayern die nicht gerade erst gewonnen? Die Antworten auf diese beiden Fragen lauten: Ja, kann sein. Und ja. Noch haben die Münchner die Bilder aus der feierlichen Nacht von Lissabon nicht aus dem Kopf, schon müssen sie sich wieder auf den Alltag einer Vorrunde einstellen. Der coronabedingt komprimierte Terminkalender macht die Unterscheidung zwischen alter und neuer Saison ja tatsächlich so schwer wie nie zuvor. Unverändert ist dagegen der alte Reflex der Branche: Der Titelverteidiger geht gleich wieder als Favorit an den Start.

Ist der FC Bayern also in der Lage, das zu schaffen, was zuletzt Real Madrid schaffte, das den größten Titel des europäischen Vereinsfußballs sogar dreimal hintereinander gewann (2016, 2017, 2018)? Zwar haben die Münchner den Mittelfeldspieler Thiago an den Konkurrenten FC Liverpool verloren, ansonsten aber starten sie mit ihrem hierarchisch gefestigten Siegerkader in die neue Champions-League-Saison. Wer kann Bayern gefährlich werden? Welches europäische Topteam hat sich am besten verstärkt? Wer hat Sorgen, und wenn ja, wie viele? Trotz Corona: eine kleine Rundreise durch Europa.

Gift in Paris

Belächelt wird man nach der Lissaboner Finalnacht nicht mehr, und das ist schon viel wert: Paris Saint-Germain gehört nun zum glamourösen Kreis natürlicher Pokalanwärter - ein Prädikat, das sich die katarischen Klubbesitzer in elf Jahren sehr viel Geld kosten ließen. Und doch: Viel hängt nun wieder am Atmosphärischen. Im Finalturnier im August schauten die Franzosen mit einiger Verwunderung zu, wie sich das zusammengekaufte Team aus Ego-Shootern einen Kollektivsinn zulegte. Neymar, Kylian Mbappé, Ángel Di María & Co. spielten, als ginge es ihnen auch emotional ums Ganze, ums Projekt, um Paris sogar. Das war so verblüffend, dass die knappe Niederlage gegen den FC Bayern selbst vielen Millionen - sagen wir mal - nicht so PSG-affinen Franzosen wenigstens eine Respektnote abnötigte.

Aber das Atmosphärische ist nun mal flüchtig. Am wenigsten gut leiden können sich ausgerechnet zwei der wichtigsten Männer: Vom brasilianischen Sportdirektor Leonardo und dem deutschen Trainer Thomas Tuchel schreibt L'Équipe, sie hätten nicht dieselbe Vision fürs Team und seien nicht die besten Freunde der Welt. Gemeint war das als Euphemismus. "Wenn nicht noch ein Wunder passiert, das niemand für möglich hält, geht es nach dieser Saison nicht mehr weiter mit den beiden."

Er oder ich, ich oder er. Tuchel findet, Leonardo habe den Transfermarkt verschlafen. Und weil er das nach zwei Niederlagen zu Saisonbeginn direkt kundtat, als trüge der Rivale alle Schuld am Fehlstart, war das Klima schnell vergiftet. "Ich habe das nicht geschätzt", sagte Leonardo, "der Klub hat das auch nicht gemocht." Oder anders: Der Emir aus Doha steht hinter mir.

Tatsächlich lässt sich über den Transfermarkt diskutieren. Paris verlor seinen langjährigen Abwehrchef und Kapitän Thiago Silva an den FC Chelsea. Und obschon Tuchel auf die Verpflichtung eines Innenverteidigers pochte, blieb dieser Wunsch ungehört. Weggegangen sind auch Stürmer Edinson Cavani (Manchester United), Außenverteidiger Thomas Meunier (Dortmund) und Angreifer Eric Maxim Choupo-Moting (FC Bayern). Leonardo holte Alessandro Florenzi vom AS Rom für den rechten Flügel. Fürs Kreative kam Rafinha, der Bruder von Thiago Alcántara, Sohn Mazinhos, eines alten Freunds und Kameraden des Sportdirektors. Und dann kam noch der Portugiese Danilo Pereira, der mal Kapitän des FC Porto war. Alles ganz ehrbar, aber nicht galaktisch.

Wahrscheinlich ist es nämlich das letzte Mal, dass Neymar und Mbappé gemeinsam dem Pokal hinterherrennen. Vielleicht ist es deshalb für lange Zeit die letzte Chance auf den Pott, für Paris und Katar.

Humpeln auf der Insel

Wahrscheinlich hätte der FC Liverpool die Diagnose für Virgil van Dijk am liebsten für immer unter Verschluss gehalten. Zu schlimm sahen die Szenen am Samstag im Stadtduell mit dem FC Everton (2:2) aus, um noch einmal daran erinnert werden zu wollen. Everton-Torwart Jordan Pickford haute (anders lässt sich das nicht sagen) auf wüsteste Art in der sechsten Spielminute den Niederländer einfach um.

Champions League, 1. Spieltag

Gruppe A

RB Salzburg - Lokomotive Moskau Mi. 18.55

FC Bayern - Atlético Madrid Mi. 21.00

Gruppe B

Real Madrid - Schachtjor Donezk Mi. 18.55

Inter Mailand - Bor. Mönchengladbach Mi. 21.00

Gruppe C

Manchester City - FC Porto Mi. 21.00

Olymp. Piräus - Olympique Marseille Mi. 21.00

Gruppe D

Ajax Amsterdam - FC Liverpool Mi. 21.00

FC Midtjylland - Atalanta Bergamo Mi. 21.00

Gruppe E

FC Chelsea - FC Sevilla Di. 21.00

Stade Rennes - FK Krasnodar Di. 21.00

Gruppe F

Zenit St. Petersburg - FC Brügge Di. 18.55

Lazio Rom - Borussia Dortmund Di. 21.00

Gruppe G

Dynamo Kiew - Juventus Turin Di. 18.55

FC Barcelona - Ferencvaros Budapest Di. 21.00

Gruppe H

RB Leipzig - Basaksehir Istanbul Di. 21.00

Paris St.-Germain - Manchester United Di. 21.00

Erstmals seit seinem Wechsel im Winter 2018 konnte der für 84 Millionen Euro vom FC Southampton geholte van Dijk für Liverpool in einem Pflichtspiel nicht weitermachen. Die Diagnose: Verletzung am Kreuzband, baldige Operation, vermutlich das Saisonende - und ein bitterer Schlag für die Ambition des Klubs, die Champions League nach 2019 erneut zu gewinnen. Einziger Trost: Die Diagnose bei Thiago, der ebenfalls bretthart gefoult worden war, soll keine strukturelle Verletzung ergeben haben.

Das Drama um van Dijk

In van Dijk hat es den zentralen Spieler im Team von Jürgen Klopp erwischt. Nur einmal musste Liverpool überhaupt ohne den Kommandeur antreten: beim 0:0 im Achtelfinal-Hinspiel gegen den FC Bayern im Februar 2019. Nun könnte sich eine Kaderlücke auftun, denn zur Finanzierung der Offensivgeister Thiago (vom FC Bayern) und Diogo Jota (aus Wolverhampton) verzichtete der Klub auf den Kauf eines Innenverteidigers. Die Idee: Neben van Dijk boten sich Joel Matip und Joe Gomez als Alternative an. Für den Notfall sah der Plan vor, Fabinho nach hinten zu ziehen.

Nun aber herrscht früh in der Saison schon Not am Mann - auch das 2:7 jüngst in der Liga bei Aston Villa war ein Alarmsignal. Um auf van Dijk in der Champions League überhaupt noch zurückgreifen zu können, müsste Liverpool wohl gleich das Finale am 29. Mai 2021 in Istanbul erreichen. Sollte sich der Klub über die Vorrunde retten (wovon auszugehen ist), bliebe Klopp die Chance, im Winterschlussverkauf noch einmal tätig zu werden.

Ligakonkurrent Manchester City hat im Sommer zugekauft. In Nathan Aké (AFC Bournemouth) und Rúben Dias (Benfica Lissabon) kamen für circa 115 Millionen Euro die Innenverteidiger Nummer drei und vier auf Geheiß des seit 2016 angestellten Trainers Pep Guardiola. In seinem vorerst letzten Vertragsjahr in Manchester kann Guardiola seinem Münchner Ex-Verein wohl nur gefährlich werden, wenn endlich mal auch seine Defensive greift.

Komplettiert wird die Delegation aus der Premier League durch Manchester United und den FC Chelsea. Bei Letzteren liegt der Fokus auf der Offensive - die deutschen Nationalspieler Timo Werner und Kai Havertz sind zu integrieren. Zum Favoritenkreis zählen beide Klubs nicht. Zusammenfassend: Die Premier League, die sich unter dem Markenzeichen "Stärkste Liga der Welt" verkauft, humpelt gerade, da es von der Insel wieder aufs Festland geht.

Zittern in Barcelona

Spanien hat in den vergangenen Jahrzehnten das fußballerische Äquivalent zu seinem "Siglo de Oro" erlebt, zum "Goldenen Zeitalter", das dem Land ab Mitte des 16. Jahrhunderts zu einer beispiellosen kulturellen Blüte verhalf. Ideologisch und ästhetisch gab es kaum Mannschaften, die den Spaniern das Wasser reichen konnten.

Aber: Es war einmal. Dass den Bayern nun ausgerechnet aus Spanien Gefahr droht, darf bezweifelt werden. Nicht einmal das Bild vom Fußball als Palliativ in Zeiten der Pandemie wird noch bemüht, "La Liga dankt in Europa ab", schrieb El País am Montag. Atlético Madrid? Okay, hat den Uruguayer Luis Suárez beim FC Barcelona abgestaubt. Aber der Klub gilt in der Champions League als verflucht, seit Georg "Katsche" Schwarzenbeck im Landesmeister-Finale 1974 durch ein Tor in der Verlängerung ein Wiederholungsspiel erzwang; bei den beiden folgenden Finalteilnahmen unterlag Atlético dem Nachbarn Real Madrid auf ähnlich tragische und vorherbestimmte Weise.

Der FC Sevilla? Weiß nur (das allerdings wie kein anderer), wie man die Europa League gewinnt. In der Champions League fühlen sich die sechsmaligen Europa-League-Champions so gut aufgehoben wie ein Pantherchamäleon aus Madagaskar in einer Pinguinherde in Feuerland. Im Grunde müssen die Andalusier darauf bauen, die Vorrunde auf Platz drei abzuschließen, um das Exil in der Königsklasse zu beenden und als lucky loser in der Europa League zu spielen. Im sogenannten Verlierercup, den sie aber meistens gewinnen.

Der FC Barcelona? Wird spätestens im Winter unter den Debatten um Lionel Messi und dessen möglicher Abwanderung erzittern, und womöglich auch von der Frage, ob Trainer Ronald Koeman der richtige ist. Bleibt Serienmeister Real Madrid. Dreizehn Mal haben die Madrilenen den Pokal gewonnen. Aber: Der FC Bayern war immer schon Reals Angstgegner (Stichwort: "la bestia negra"); außerdem hat Vereinsboss Florentino Pérez in letzter Zeit etwas gespart. Erstens, um im kommenden Jahr entweder Kylian Mbappé von Paris Saint-Germain zu holen oder Erling Haaland von Borussia Dortmund. Zweitens, um die Modernisierung des Estadio Santiago Bernabéu voranzutreiben und sich damit selbst zu Lebzeiten ein Denkmal zu setzen.

Was ein bisschen an die Zeiten rund ums "Siglo de Oro" erinnert, als das Edelmetall, das die Spanier in Lateinamerika geklaut hatten, auch zur Verzierung von Kirchen und Palästen verpulvert wurde.

Hoffen auf Bergamo

Juve, Juve, immer nur Juve? Nach neun Meistertiteln in Serie, einer fast schon epochalen Herrschaft, könnte leicht vergessen werden, dass nicht Juventus Turin den schönsten Lorbeer besitzt unter Italiens Traditionsklubs: Mit zwei Pokalen in der Königsklasse liegt Juve hinter Inter Mailand (3) und dem AC Mailand (7). Und der letzte Triumph ist eine Ewigkeit her - 1996. "Baustelle Juve", schreibt der Corriere dello Sport, und das liegt auch am neuen Coach. Andrea Pirlo, 41, den sie noch immer "Maestro" nennen, weil er einst wie ein Meister Fußball auf den Rasen malte, hat noch nie eine Mannschaft trainiert, auch keine kleine. Eigentlich hätte er den Nachwuchs übernehmen sollen, dann kam der Sommer, und plötzlich war er Chef.

Wie schlägt sich Pirlo als Trainer?

Die ersten Meisterschaftsspiele unter Pirlos Leitung waren nicht viel mehr als zufälliges, recht steriles Gekicke. Die Verjüngungskur der Alten Dame, die nun wirklich in die Jahre gekommen ist, mit Großtalenten wie Federico Chiesa, 22, und dem Schweden Dejan Kulusevski, 20 - sie hat eben erst begonnen. Garantien bietet die Jugend nicht, wie auch? Keiner hat je auf der ganz großen Bühne gespielt. Juve wollte den beim FC Barcelona ausgemusterten Uruguayer Luis Suárez holen, man erzwang sogar eine schnelle Einbürgerung. Doch am Ende kam der Spanier Alvaro Morata, höchstens ein halber Pistolero.

Und so liegt wieder alle Hoffnung auf Cristiano Ronaldo, der beim Start in Kiew gegen Dynamo noch fehlt, wegen Corona. Alles auf CR7? Auch daran könnte Pirlos Rundumerneuerung scheitern.

In Italien traut man deshalb Atalanta fast mehr zu, der schönen "Dea" aus Bergamo, der Göttin mit dem wallenden Haar, wie man sie wegen ihres Wappens nennt. Man traut ihr auch mehr zu als Inter Mailand, das sich zwar mit Arturo Vidal (Barcelona) und Achraf Hakimi (Dortmund) verstärkt hat, aber nur leidlich überzeugt seit Saisonbeginn. Mehr auch als Lazio Rom, das nach dem Lockdown spektakulär einbrach und sich im Sommer trotz eklatanter Mängel im Kader nicht verstärken mochte.

Allerdings fragt man sich bei Atalanta auch, wie lange der Zauber anhält. Normalerweise sind Märchen Kurzgeschichten, dieses dauert schon einige Jahre. Wieder haben sie in Bergamo das Team mit seinen Automatismen zur neuen Saison kaum verändert, nur Mittelfeldspieler Alexey Miranchuk von Lokomotive Moskau kam als Prominenter dazu. Doch genau dafür sind sie bekannt: gezielte Feinreparaturen, kein ständiges Revolutionsgebrüll. "Da coppa", findet jetzt die Gazzetta dello Sport, Atalanta sei fähig, den Pott zu holen - und überschätzt die "Dea" damit wohl ein bisschen.

Außenseiter aus Deutschland

Am Wochenende hat der Stürmer Yussuf Poulsen ein wunderschönes Tor geschossen, aber bei seinem Arbeitgeber RB Leipzig sind sie realistisch genug, um zu wissen: Das schöne Tor bedeutet leider nicht, dass der zum FC Chelsea übergelaufene Stürmer Timo Werner damit ersetzt wäre. Leipzigs Kaderplanung fällt durch Mut zur Lücke auf, in der Bundesliga spielte am Wochenende der Mittelfeldspieler Emil Forsberg Mittelstürmer, ehe dann Poulsen ins Spiel kam.

Vom neu verpflichteten Norweger Alexander Sörloth ist noch nicht absehbar, ob er das Potenzial hat, Leipzigs Angriff auf dem gewohnten Niveau zu halten, und so gehen die Leipziger, zuletzt immerhin Halbfinalist, eher als Außenseiter ins Rennen. Topfavorit wäre dagegen wohl eine Elf, die das Beste der beiden sog. FC-Bayern-Jäger kombiniert. Leipzigs aggressives Spiel plus der feine Ansatz von Lucien Favres Borussia Dortmund plus Dortmunds Angreifer Erling Haaland: Damit könnte man weit kommen.

Der BVB dürfte ähnlich wie RB in jene Kategorie der Herausforderer gehören, die man sich bei optimalem Verlauf auch im April noch im Wettbewerb vorstellen könnte. Ähnliches gilt auch für Borussia Mönchengladbach, allerdings dann eher in der Europa League: In der könnten die Gladbacher weiterspielen, wenn sie in ihrer Champions-League-Gruppe Dritter werden.

Der geheime Ausbilder

RB Salzburg wird den Wettbewerb auf offiziellem Weg vermutlich nicht gewinnen, die Österreicher sind schon froh, dass sie nach jahrelangem Scheitern zum zweiten Mal hintereinander dabei sind. Dennoch sind die Salzburger so etwas wie der Champions-League-Sieger, der nie die Champions League gewinnt. Zumindest verdienen sie einen globalen Scouting-Titel, sie haben für die Spitzenklubs die Spieler ausgebildet - von Liverpools Sadio Mané bis zu Dortmunds Haaland. Und sollten sie jetzt in der Vorrundengruppe des FC Bayern überzeugen, müssen sie vielleicht wieder ganz tapfer sein: Dann kommt vielleicht schon in der Winterpause ein Topklub und kauft ihnen den besten Spieler weg.

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