Kurz nach dem Schlusspfiff rollten die Treuesten der Treuen in der Dortmunder Arena ein Transparent aus, auf dem zu lesen war: "Am Samstag zählt es: Alles für den Derbysieg". Wenige Meter davor versammelte sich die Mannschaft von Borussia Dortmund auf dem Rasen in einer Reihe, um sich gemeinsam mit den Fans auf das Spiel einzuschwören, das im Ruhrgebiet seit Jahr und Tag einen besonderen Stellenwert besitzt.
Wer den Fokus auf diese Szene verdichtete, konnte den Eindruck gewinnen, es sei trotz der Krise noch gut bestellt um das Binnenklima beim BVB. Die Reihen schließen, Kräfte sammeln und einen Jetzt-erst-Recht-Effekt herstellen. Doch ein kurzer Schwenk nach rechts und links offenbarte: So einfach ist es nicht. Rings um das Epizentrum der Dortmunder Fußballkultur herrschte gähnende Leere, die größte Stehplatztribüne der Welt hatte sich in Windeseile zu 90 Prozent geleert.
Nur ein Sieg aus den letzten neun Pflichtspielen, und der auch lediglich im Pokal gegen den Drittligisten aus Magdeburg - das hat Spuren hinterlassen bei der stolzen Borussia. Der BVB taumelt - und fahndet nach Dingen, die irgendwie Erfolg zu versprechen scheinen. Die Suche wurde aber auch gegen Tottenham Hotspur nicht belohnt. Das Spiel ging trotz eigener Führung in der ersten Hälfte noch mit 1:2 Toren verloren. Drei Niederlagen und auch gegen das europäische Leichtgewicht Apoel Nikosia nur zwei magere Unentschieden - der BVB ist in der Champions League krachend durchgefallen. Im abschließenden Gruppenspiel bei Real Madrid geht es für das börsennotierte Fußballunternehmen nur noch darum, den dritten Platz zu sichern, der wenigstens das Überleben in der Europa League garantieren würde.
Unfähig, sich gegen die drohende Niederlage aufzubäumen
All die Symptome der Dortmunder Krise wurden auch an diesem nasskalten Novemberabend offensichtlich. Es fehlen Sicherheit und Leichtigkeit, die das Dortmunder Spiel zu Saisonbeginn auszeichneten, als die Mannschaft mit fulminantem Angriffsfußball auf Rang eins der Bundesliga stürmte. Geblieben ist eine rätselhafte Verkrampfung, die sich in vielen individuellen Fehlern und in einer vollkommenen Unfähigkeit äußern, sich gegen drohende Niederlagen aufzubäumen.
Gegen einen Gegner aus London, der über weite Strecken bieder agierte, verspielten die Dortmunder noch eine 1:0-Führung. "Wir hatten doch alles unter Kontrolle", sagte Nationalspieler Mario Götze achselzuckend, um ratlos hinzuzufügen: "Und dann kriegen wir das Tor. Das darf uns nicht passieren."
Eine wahre Erkenntnis, und doch passiert es den Dortmundern immer wieder. Die Mannschaft ist sich selbst nur noch ein Rätsel. Die Abwärtsspirale ist längst bedrohlich geworden, und ein Ende des negativen Laufs ist nicht in Sicht. Trainer Peter Bosz fehlen offenbar die Mittel, die Wende herbeizuführen, er kann nur den Ist-Zustand beschreiben: "Da ist wohl die Angst in der Mannschaft, nach vorne zu spielen", meinte der Niederländer: "Es ist doch logisch, dass das Vertrauen nicht mehr da ist."
Champions League:Ein furchtbarer Geburtstag
Peter Bosz ändert das System, sein Team geht in Führung - und verliert dennoch 1:2 gegen Tottenham. Der BVB-Trainer sagt nach dem Spiel selbst, dass es gegen Schalke um seinen Job geht.
Doch es scheinen nicht nur gravierende mentale Unpässlichkeiten zu sein, die den BVB limitieren. Wie zuletzt in Stuttgart war auch gegen Tottenham auffällig, dass die Borussia nach dem Seitenwechsel seltsam saft- und kraftlos agierte. Da ist kein Stehvermögen, kein Punch, die Mannschaft wirkt, als sei sie nicht in der Lage, über 90 Minuten auf höchstem Niveau zu spielen. Die Frage, ob das Team nicht austrainiert sei, verneinte Bosz: "Es fehlt nicht an Kondition", bekräftigte der Niederländer. Eine Aussage, die Kapitän Marcel Schmelzer bestätigte. "Es ist eine mentale Sache, wenn du dir Woche für Woche die Dinger selber reinhaust."
Am Samstag kommt der FC Schalke
Wie auch immer man die Dinge betrachtet: Es sieht nicht gut aus für Borussia Dortmund. Und mitten in einer veritablen Herbstdepression ereilt den BVB auch noch eine Botschaft, die alle im schwarz-gelben Lager mehr als nachdenklich stimmt: Mit Sven Mislintat verliert der Klub seinen Talentscout und damit einen der wichtigsten Mitarbeiter an den FC Arsenal. Mislintat entdeckte Spieler wie Lewandowski, Kagawa, Aubameyang, Dembélé und Pulisic, die ihren Marktwert bei der Borussia vervielfachten.
Doch den Klub plagen im Moment noch viel größere Probleme als der Abschied des Chefscouts: Wann holt der BVB mal wieder einen Sieg? Trainer Bosz rückt da natürlich in den Vordergrund. Als ehemaliger Profi kennt Bosz die sogenannten Gesetzmäßigkeiten der Branche, sein Arbeitsplatz ist wegen der anhaltenden Erfolglosigkeit stark gefährdert. Ausgerechnet in dieser hochbrisanten Phase empfängt Dortmund nun am Samstag seinen größten Rivalen FC Schalke, der sich im Aufschwung befindet und in der Liga auf den zweiten Tabellenplatz geklettert ist: "Wir müssen das Derby gewinnen", sagte Bosz an seinem 54. Geburtstag, der alles andere als ein Feiertag war. Er weiß genau, um was es geht: "Das Spiel ist auch wichtig für meine Position."