Süddeutsche Zeitung

Champions League:Das Scheitern der Arroganz

Nach dem Aus in der Champions League prägen Wahnwitz und Delirium die Gegenwart Real Madrids. Selbst Frau Kaká meldet sich zu Wort.

Javier Cáceres

Die Folgeschäden des jüngsten Desasters bei Real Madrid waren noch nicht mal ansatzweise überrissen, da verlagerte sich die Debatte um die Aktualität in die virtuelle Welt. Dutzende Sportjournalisten, die am Kabinenausgang des Bernabéu-Stadions auf die Protagonisten des Achtelfinalrückspiels zwischen Real und Olympique Lyon (1:1, Hinspiel 0:1) warteten, zückten ihre Handys mit Internetzugang und fahndeten: nach dem Update von Carolina Ceciko alias Frau Kaká im Sozialnetzwerk Twitter.

Irgendjemand hatte in die Welt gesetzt, dass sie die Auswechslung ihres Gatten durch Trainer Manuel Pellegrini (78.) kommentiert hatte, und auch wenn sich nach näherer Betrachtung herausstellte, dass sie sich bloß die Worte von Kakás Presseagenten zu eigen gemacht hatte - die kalte Nacht war da schon längst in Brand gesetzt. Denn das Gezwitscher von Frau Kaká nach der größtanzunehmenden Pleite Reals, dem K.o. in der Champions League, es lautete: "Ein feiger Trainer holt immer einen Neueinkauf vom Feld, um vom eigenen Unvermögen abzulenken."

Nun brauchten Spaniens Sportjournalisten gewiss nicht Frau Kaká, um die Debatte auf den Trainer Pellegrini zu lenken. Die Reflexe der Branche funktionieren auch ohne externe Impulse vortrefflich: "Adiós Pellegrini. Raus!", schrieb das Sportblatt Marca. Eine gewisse Pointe hatte das ganze aber schon, denn für das Verständnis der von Wahnwitz und Delirium geprägten realen Gegenwart ist Frau Kaká durchaus von Belang. Vor ein paar Monaten behauptete sie in ihrer Rolle als christliche Freizeit-Predigerin, der Herr persönlich habe das viele Geld, das im Laufe der Wirtschaftskrise plötzlich irgendwohin verschwunden sei oder bloß bei den Banken klemme, doch glatt in die Hände Real Madrids gelegt, auf dass der Klub ihren Göttergatten und weitere Stars wie Cristiano Ronaldo verpflichte. Für insgesamt rund 250 Millionen Euro.

Lyons taktische Meisterleistung

Und dann kommt der Tabellen-Fünfte der französischen Liga namens Olympique daher, der nicht mal das Geld hatte, um seinen nunmehr ebenfalls bei Real Madrid beschäftigten Stürmer Karim Benzema zu halten, und durchkreuzt mit einer taktischen Meister- sowie einer kompakten Mannschaftsleistung Reals quasi göttliche Mission, die darin bestand, am 22. Mai im Bernabéu-Stadion die Champions League zu gewinnen.

Stattdessen scheiterte Real Madrid zum sechsten Mal in Serie in der ersten K.o.-Runde der Champions League. In diesem Zeitraum hat Real 760 Millionen Euro in neue Spieler investiert und bloß zwei Meistertitel und einen Supercup gewonnen, nicht aber die zehnte Champions-League-Trophäe der Vereinsgeschichte. Im nationalen Pokal, doch das nur am Rande, schied Real diesmal gegen Drittligisten Alcorcón aus. "Titel kauft man nicht, man gewinnt sie", kommentierte die Zeitung El País. Denn: "Der Fußball hat keinen Preis."

Was sich am Mittwoch vollzog, war das große Scheitern der Arroganz, im Großen wie im Kleinen. Die Megainvestitionen, die nun im Orkus verschwunden sind, weil die Chance, die Champions League auf eigenem Grund zu gewinnen, erst einmal nicht wieder kommt, sind nur die eine Seite der Medaille des Fiaskos. Die andere ist, dass Madrider Medien und Spieler sich der fortgesetzten Verachtung des Gegners schuldig machten. "Und? Was ist mit dem 3:0?", brüllten die Lyoner Lissandro und Delgado den Spielern Madrids nach der Partie zu - in Anspielung auf die großspurigen Ankündigungen von Sergio Ramos und anderen in der Sportpresse. Handgreiflichkeiten konnten nur knapp vermieden werden. Spieler wie Sergio Ramos und Guti fühlten sich doch glatt beleidigt.

Und nun? Dürfte Trainer Pellegrini tatsächlich gehen müssen. Seit Beginn seiner Zeit in Madrid besteht der Verdacht, Präsident Pérez hätte lieber einen Startrainer wie José Mourinho oder Arsène Wenger geholt und nicht den Ingenieur aus Chile. Dem hat daher auch wenig bis gar nicht geholfen, dass Real in der Liga die beste Punkt- und Torausbeute der letzten 15 Jahre (39 Punkte/44 Tore), allmählich sogar einen erkennbaren Stil vorweisen kann. Die zweite Frage in der Pressekonferenz an ihn lautete: "Treten Sie zurück?" Allein "den Gedanken" nannte Pellegrini "absurd". Doch dass sein Appell an die Vernunft ("Ein so großes Projekt kann man nicht nach sechs Monaten bewerten") irgendetwas bewirken könnte, darf man getrost bezweifeln.

Guti beklagt Mangel an Teamgeist

Denn obwohl Reals Cristiano Ronaldo nach sechs Minuten die Führung erzielte: Das Resultat war eine "Catástrofe", wie die Zeitung As gellte. Unter anderem, weil bloß Millimeter zum 2:0 fehlten, als Stürmer Gonzalo Higuaín nur den Pfosten traf. Auch Higuaín steht zur Disposition; die Medien, die Klubchef Pérez nahestehen, haben ihn bereits zum Abschuss freigegeben. Kein gutes Zeichen.

Äußerungen, in denen Mittelfeldmann Guti anonym über einen Mangel an Teamgeist und einem Exzess an Individualismus klagte, wurden nämlich flugs auf Higuaín gemünzt, dieser hatte es nämlich bei einer weiteren Großchance versäumt, dem freistehenden Cristiano Ronaldo den Ball aufzulegen. Er zeterte ähnlich wie Kaká bei seiner Auswechslung.

Und so ähnlich wie das Publikum, als der vorzügliche, 19-jährige bosnische Mittelfeldregisseur Miralem Pjanic (75.) den souveränen Vortrag Olympiques in der zweiten Halbzeit mit einem Tor krönte, das die alte Weisheit eines früheren jugoslawischen Trainers von Real Madrid bewahrheitete: "Fútbol es fútbol", Fußball ist Fußball. Mag man noch so viele Stars einkaufen.

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SZ vom 12.03.2010/dop
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