Champions League:Das BVB-Spektakel ist nur die halbe Wahrheit

Lesezeit: 3 Min.

  • Borussia Dortmund erreicht bei Real Madrid ein 2:2-Unentschieden und damit den Gruppensieg in der Champions League.
  • Mit 21 Toren in sechs Spielen stellt der BVB zudem einen neuen Rekord auf.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen.

Von Felix Meininghaus, Madrid

Nirgendwo in Europa sind sie sich ihrer Tradition und ihrer Bedeutung so sehr bewusst wie im legendären Estadio Santiago Bernabéu: "Real Madrid, nada más" heißt es im mit riesigem Pathos vorgetragenen Vereinslied und in der Choreografie kurz vor Spielbeginn werden die elf Landesmeister-Trophäen dargestellt, die der größte und mächtigste Klub in seiner ruhmreichen Vereinsgeschichte gesammelt hat. "Rey de Copas", König der Pokale, so lautet das Selbstverständnis eines Vereins, der seinesgleichen sucht.

Ganze Generationen von Gegnern sind vor dem Stolz und der Wucht dieser Mannschaft in die Knie gegangen. Um bei einem solchen Kontrahenten gegenzuhalten und sich zu behaupten, müssen schon einige Komponenten zusammenkommen. Klasse, Beharrungsvermögen und auch ein bisschen Glück. So wie am Mittwochabend, als Borussia Dortmund beim Branchenriesen vorspielte und ein Unentschieden ertrotzte, das sich wie ein Sieg anfühlte. Als die Spieler in weiß längst in den Katakomben des Bernabéu verschwunden waren, tanzten die Spieler in gelb noch vor ihren Fans und zelebrierten die Welle.

21 Tore in sechs Gruppenspielen

Kein Zweifel, dieses 2:2 war ein besonderes Erlebnis für eine Mannschaft, die in der Champions League eine großartige Gruppenphase absolviert hat: "Es fühlt sich absolut top an", sagte Trainer Thomas Tuchel, als er nach dem Abpfiff von Kamera zu Kamera gereicht wurde: "Das ist alles andere als selbstverständlich. Nach dem 0:2 auswärts in Madrid haben wir uns nicht hängen lassen. Wir haben unser Ding durchgezogen und uns ins Spiel reingefressen. In den 90 Minuten haben wir eine tolle Entwicklung genommen." Er sei auch deshalb überglücklich, "weil sich dieses Ergebnis verdient anfühlt".

Tuchel und seine Mannschaft haben in der Vorrunde der diesjährigen Champions League einen Crash Test abgeliefert, der an Spektakel nichts zu wünschen übrig ließ. Allein die Zahlen belegen, wie wuchtig das Auftreten einer Mannschaft ist, die immer noch am Anfang ihrer Entwicklung steht, wie Entscheidungsträger wie Tuchel, Sportdirektor Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke immer wieder betonen. Vier Siege gegen Warschau und Lissabon sowie die beiden Unentschieden gegen Real Madrid brachten den Gruppensieg. Doch viel mehr werden die 21 Tore in sechs Partien in Erinnerung bleiben. Häufiger hat in der Gruppenphase bislang noch kein Verein getroffen, der bisherige 20-Tore-Rekord von Manchester United (1998/1999), dem FC Barcelona (2011/2012 sowie 2016/2017) und Real Madrid (2013/2014) ist Vergangenheit.

Champions League
:Marco Reus infiziert den BVB

Dank einer starken zweiten Halbzeit in einem Spiel auf höchstem Niveau schafft Borussia Dortmund ein 2:2 gegen Real Madrid und ist nun Gruppenerster.

Von Javier Cáceres

"So viele Tore musst du in der Champions League erst einmal schießen", sagte Stürmer Marco Reus, der beim BVB mit seinem späten Treffer für beste Laune sorgte. Beim achtfachen Deutschen Meister wollte sich niemand die Feierstimmung verderben lassen, auch wenn die Protagonisten des Abends den Blick vor den vielen Unzulänglichkeiten nicht verschließen mochten: "Wenn wir in diesem Wettbewerb weit kommen wollen", so Reus, "müssen wir es in erster Linie schaffen, besser zu verteidigen."

Borussia Dortmund im Herbst dieses Jahres, das ist eine Mannschaft, die viele Emotionen freisetzt. Sowohl das 2:2 im Hinspiel gegen Real als auch das ereignisreiche Remis im zweiten Kräftemessen beim erfolgreichsten Klub Europas beflügeln die Fantasie. Grenzen scheint es nicht zu geben mit dieser Ansammlung an Ausnahmetalenten. Wenn Hochgeschwindigkeits-Fußballer wie Aubameyang, Dembélé, Pulisic und Reus ihr volles Potential auf den Rasen bringen, ohne sich durch Schludrigkeiten selbst zu limitieren, dann kann der BVB nach den Sternen greifen.

Doch das ungeheure Offensivpotenzial ist nur die halbe Wahrheit. Die andere lautet, dass sich Borussia Dortmund mit vielen Unzulänglichkeiten in der Defensive und einer schlampigen Spieleröffnung häufig genug selbst im Weg steht. Selten hat eine Mannschaft im Bernabéu streckenweise so dominant agiert und mehr Ballbesitz gehabt. Und doch musste der BVB am Ende froh sein, dem Favoriten durch den Lucky Punch von Reus noch ein Remis abzutrotzen.

Pressestimmen
:"Weigl, Pulisic, Dembélé ... was für Frechdachse"

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Beim BVB wissen sie ziemlich genau, woran sie arbeiten müssen

Haarsträubende Fehler und mitreißende Sequenzen stehen bei dieser Mannschaft im steten Wechsel. Wer dieses Ensemble agieren sieht, entwickelt ein gewisses Verständnis, warum der ehrgeizige Übungsleiter Thomas Tuchel immer wieder an die Grenzen seiner Geduld gelangt. Weil er die riesigen Möglichkeiten dieser Mannschaft tagein, tagaus vor Augen hat, um sich dann ob der dilettantischen Fehler die Haare zu raufen. "Es stimmt, dass mit dieser Mannschaft immer was los ist", weiß Tuchel: "Das ist toll, aber auch nervenaufreibend."

Es ist die Aufgabe des Trainers, seinem Team beizubringen, die Spielfreude, das enorme Tempo und den Esprit zu optimieren und dabei die Fehler in der Rückwärtsbewegung zu reduzieren. Die 90 Minuten von Madrid zeigten exemplarisch, wie weit die Borussia auf ihrem Weg schon ist - und wie viel noch fehlt. Bis zum 0:2 "haben wir durch einfache Fehler unser Gefühl für das Spiel verloren", sagte Tuchel. Um dann zu betonen, wie besonders es sich anfühle, "nach solch einem Rückstand so zurückzukommen. Und das auch noch vollkommen verdient."

Beim BVB wissen sie ziemlich genau, woran sie arbeiten müssen, damit die Abenteuerreise durch Europa noch ein bisschen weitergeht. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir 90 Minuten stark spielen, nicht nur 60", sagte Abwehrchef Sokratis. Und Torhüter Roman Weidenfeller, der eine beeindruckende Vorstellung ablieferte, ergänzte: "Wir wissen, dass wir vieles verbessern müssen." Um dann ein für einen 36-Jährigen erstaunliches Fazit folgen zu lassen: "Wir sind noch jung genug, um das zu schaffen."

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