Champions League:Chelsea mauert sich in die Favoritenrolle

José Mourinho FC Chelsea Champions League

"Ich wollte im Rückspiel keinem Rückstand hinterherlaufen": José Mourinho

(Foto: REUTERS)

Gnadenlos clever oder gnadenlos langweilig? Die Zement-Taktik von Chelseas José Mourinho beim torlosen Halbfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Atlético Madrid empört viele Beobachter. Dabei kann man dem Trainer der Engländer kaum einen Vorwurf machen.

Ein Kommentar von Johannes Knuth

José Mourinho machte nach Spielende dort weiter, wo seine Mannschaft kurz zuvor im Champions-League-Halbfinale bei Atlético Madrid aufgehört hatte: im Verteidigungsmodus. "Ich wollte kein torloses Unentschieden", kommentierte der Trainer des FC Chelsea, dann sagte er: "Ich wollte im Rückspiel aber auch keinem Rückstand hinterherlaufen."

Es war eine zähe Partie, dieses Halbfinal-Hinspiel zwischen Atlético und Chelsea. Die Engländer verzichteten mehr oder weniger auf Offensive, sie verbarrikadierten sich gefühlt mit zehn Mann hinter dem eigenen Elfmeterpunkt. Atlético umzingelte zwangsläufig das gegnerischeTor, zirkulierte den Ball wie eine Handballmannschaft, schlug genau 39 Flanken in den Strafraum - 39 Mal ohne Ertrag.

Entsprechend gespalten reagierte die Fußballgemeinde. Ein Lager attestierte Mourinhos Chelsea großartigen Ergebnisfußball, das andere großartige Langeweile. "Schwerverdaulich", schrieb der Kicker. Die Daily Mail befand spöttisch: "Mourinho parkt den Bus". As urteilte: "Ein frustrierendes Ergebnis, nachdem Atlético eineinhalb Stunden einen Gegner attackierte, dessen einziges Ziel es war, dass nichts passieren möge." Und La Marca ätzte: "Widerlich, abstoßend, abscheulich, unsympathisch (...) Das war kein Fußballspiel mehr."

Tatsächlich war das, was beide Mannschaften aufführten, kein Spiel für Fußball-Feinschmecker, kein Spiel für das Massenpublikum, es war auch kein Spiel für sogenannte Taktikfreunde; Taktik hat nicht automatisch etwas mit Defensivgeschiebe zu tun. Beide Mannschaften klammerten, traten, foulten, meckerten. Man könnte auch sagen: Es war einfach stinklangweilig.

Eines kann man Mourinho aber nicht zur Last legen: seinen Matchplan. Es gibt im Fußball nun einmal keine B-Note, keinen Preis für Ästhetik. Die Engländer waren auch nicht dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit mit Offensivfußball zu unterhalten. Der FC Chelsea hat, nach allem, was bekannt ist, von seinen Fans und der Klubführung den Auftrag, die Champions League gewinnen. Dazu muss das Team im Halbfinale die derzeit wohl unbequemste Mannschaft der Welt rauswerfen. Und Mourinho steht es zu, diese Aufgabe so zu lösen, wie er seine Aufgaben in Europa stets löst: gnadenlos pragmatisch.

Weil Chelsea sich im eigenen Strafraum verbarrikadierte, konnte Atlético kaum sein vertikales Umschaltspiel vorführen. Weil Chelsea Atlético den Ball überließ, entfiel das gefürchtete Offensivpressing der Spanier fast völlig. Als Chelseas Kapitän John Terry nach rund 70 Minuten verletzt vom Platz humpelte, sah Mourinho wenig Veranlassung, von seiner Strategie abzurücken, im Gegenteil. Er wollte nicht gewinnen, sondern das Hinspiel schadlos überleben. Mit mutigen Ausflügen in die gegnerische Hälfte wäre das wohl nur bedingt geglückt. Also zementierte sich Chelsea ein. Das war wenig appetitlich. Aber effektiv und legitim.

Theoretisch hat sich Mourinho für das Rückspiel in die Favoritenrolle gemauert. Praktisch birgt die Betontaktik Risiken. Ein Tor oder ein Unentschieden mit einem Tor genügt Atlético zum Finaleinzug - die Ausgangslage für Chelsea könnte durchaus schlimmer sein, hätte sich das Team im Hinspiel bereits zu sehr in die Offensive gewagt. Chelsea wird den Bus im eigenen Stadion früher oder später aus dem Strafraum entfernen müssen.

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