BVB in der Champions League:Das System Hummels

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Goldköpfchen: Wie wertvoll Mats Hummel für den BVB ist, bewies zuletzt auch dieses Tor zum 2:0 in Bielefeld - jetzt ist er verletzt. (Foto: Martin Rose/Getty)

Wie zuletzt unter Jürgen Klopp prägt Mats Hummels das Spiel des BVB. In Brügge fehlt der Hauptdarsteller aber - um seinen Einsatz am Samstag gegen den FC Bayern nicht zu gefährden.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Julian Brandt drehte mit einem Lachen ab. "Der hat gutes Heilfleisch, der kriegt das schon hin", prophezeite der Mittelfeldspieler, nachdem sich sein Kollege Mats Hummels mit Muskelproblemen hatte auswechseln lassen. Drei Tage später, am Dienstagmittag, meldete Trainer Lucien Favre das Gegenteil: "Es reicht nicht, Mats kann in Brügge nicht spielen." Es gab Zeiten, da hätte man mit ein, zwei Spielen Pause von Hummels gut leben können. Aber nicht jetzt. Im Moment ist Hummels der einzige Profi von Borussia Dortmund, der unersetzlich zu sein scheint.

Hummels hatte schon am Samstag, nach dem 2:0-Sieg bei Arminia Bielefeld, zu dem der Abwehrchef beide Tore beisteuerte, erklärt, dass es "ein Wettrennen gegen die Zeit" werde. Genau genommen: zwei Wettrennen. Denn drei Tage nach dem Champions-League-Gruppenspiel beim FC Brügge (Mittwoch) erwartet der BVB die Bayern zum Bundesliga-Topspiel - der Erste beim Tabellenzweiten. Diese Partie gegen den aktuell punktgleichen Meister, ohne Stadionpublikum, ist für beide Vereine der Form- und Gradmesser. Laut Favre bestehen für Hummels noch Chancen, bis zum Samstag das zweite Wettrennen zu gewinnen. Man müsse halt sehen ...

Manche im Umfeld der Borussia sehen es auch so: Hummels hat in Bielefeld offenbar keinen Muskelfaserriss erlitten, er hätte mit einem gewissen Risiko vielleicht sogar in Belgien spielen können. Aber Hummels, der mit seinen 31 Jahren zum Gutteil selbst entscheidet, ob er sich einsatzfähig fühlt, soll sich für einen relativ sicheren Einsatz gegen die Bayern und gegen einen riskanten in Brügge entschieden haben.

In Dortmund reden sie hauptsächlich von Mats Hummels

Zu Saisonbeginn sprachen in Dortmund alle nur von den jungen Wilden und welchen Angriffswirbel sie erzeugen würden: Haaland, Reyna, Sancho, Bellingham, dazu Brandt, Reus, Hazard. Namen, die für eines der interessantesten Offensivexperimente in Europas Fußball stehen. Die Erstgenannten bilden ein Quartett der 17- bis 20-Jährigen. Hinzu gesellt sich in Kürze Youssoufa Moukoko, der ab 20. November einsatzbereit ist, am Tag seines 16. Geburtstags.

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Doch derzeit reden sie beim BVB hauptsächlich von Mats Hummels, 31. Und von der Null, die stehen müsse. Nach nur sechs Spieltagen beherrscht der Abwehrchef den Diskurs - und das Spiel. "Er ist im Moment praktisch unersetzlich", sagt Lizenzspieler-Chef Sebastian Kehl: "Er ist in bestechender Form. Und jetzt macht er auch noch Tore." Hummels steht bei drei Treffern, zwei gegen Bielefeld, einer gegen den Erzrivalen Schalke. Das sind so viele, wie Sancho, Reyna und Reus zusammen erzielt haben. Dabei geht es in seiner Jobbeschreibung nicht primär ums Toreschießen.

Dortmund, dessen juvenile Angriffsspitze unter der Last der Erwartungen fast ein wenig betäubt wirkt, hat in der Defensive bislang erst zwei Bundesliga-Gegentore kassiert, beim FC Augsburg (0:2). Trainer Favre, offenbar müde von der Kritik, die immer dann aufkommt, wenn seine Elf mal wieder keine Mittel gegen abgrundtief verteidigende Gegner findet und sich dann Konter fängt, hat fast unbeachtet umgestellt: auf seine alte Lieblings-Aufstellung, eine 4-2-3-1-Formation, also klassisch mit zwei Innenverteidigern und zwei Außen. "Wir dachten, dass wir gegen tief stehende Gegner einen offensiven Spieler mehr gebrauchen könnten", bestätigte Hummels seinen Trainer in der Analyse.

Im Prinzip, heißt es in Dortmund, spiele der BVB jetzt das System Hummels. Ein bisschen wie früher, wie bei Jürgen Klopp, als der damals noch deutlich jüngere Hummels das Spiel nach Belieben aus der Defensive heraus aufbauen durfte. Ähnlich wie am Samstag, als er einmal von der Mittellinie den Ball mit dem Außenrist über Bielefelds komplette Abwehr hinweg auf Jadon Sancho zirkelte: ein Pass aus der Historie, wie aus Netzers und Overaths Zeiten.

Hummels steht jetzt in seinem zweiten BVB-Jahr, nach einem dreijährigen Ausflug zu seinen Münchner Wurzeln. Er wirkt in den Zweikämpfen so stark wie seit Jahren nicht. Er kompensiert seine bisweilen mangelnde Schnelligkeit durch kluges Antizipieren. Der Mats, heißt es, habe halt "ein Auge". Wie in der Klopp-Ära tut er gerade mehr für den Spielaufbau als das Personal im Mittelfeld. So spielt Hummels halt, der zu schwer und zu schwerfällig wäre, um selbst ein Stürmer zu sein. Der aber am liebsten einer wäre, wäre er nicht gefangen im bulligen Körper eines Verteidigers. Nicht jeder kann schließlich ein Erling Haaland sein. Man kann sich denken, dass Hummels gerne so einer wäre. Aber welcher Fußballer wollte das nicht?

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Fehlt Hummels jetzt, hat Dortmund nur noch einen gelernten Innenverteidiger, den Schweizer Manuel Akanji. Der zur Defensivkraft umgeschulte Emre Can ist weiterhin krankgeschrieben wegen seiner Corona-Infektion. Dan-Axel Zagadou, nach Hummels der im Spielaufbau begabteste BVB-Verteidiger, fehlt weiterhin verletzt. Für Favre bleiben noch Lukasz Piszczek oder Thomas Delaney zur Aushilfe.

Sicherheitsleute, Köche, alles wurde eingeflogen

Am überaus schwachen 1:3 im ersten Champions-League-Auswärtsspiel bei Lazio Rom konnte auch Hummels nichts ändern. Zwei Wochen später sind die Corona-Infektionszahlen dermaßen in die Höhe geschnellt, dass Dortmund ohnehin mit sehr gemischten Gefühlen nach Belgien fliegt, das gerade zu den gefährlichsten Hotspots zählt. Erstmals in seiner Europacup-Geschichte absolvierte der BVB deshalb das Abschlusstraining vor einem Auswärtsspiel zu Hause. Und erstmals reiste der Tross erst am Abend vor dem Spiel zum Spielort. In Brügge gibt es so gut wie keinen Kontakt, Sicherheitsleute, Köche, alles wurde eingeflogen. Auch die Pressekonferenz im winzigen Brügger Konferenzraum wurde abgesagt, und sofort nach dem Spiel fliegt die Mannschaft im Privatflieger zurück nach Paderborn, wo die Flugerlaubnis auch spätnachts noch gilt, im Gegensatz zum Flughafen in Dortmund.

Auf dem Feld allerdings wird es kein Pardon geben. Dort werden die Dortmunder ihr System Hummels zwangsläufig intensiv Mann gegen Mann spielen müssen. Auch wenn der Hauptdarsteller fehlt.

© SZ vom 04.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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