Die Diagnose, die am Donnerstag aus dem Klinikum Westfalen von Vereinsarzt Markus Braun kam, war aus Sicht von Borussia Dortmund wahrscheinlich noch die beste Nachricht des Champions-League-Spieltags. Nico Schlotterbeck ist mit einem Bänderriss davongekommen. In der allerletzten Szene des Spiels am Mittwochabend war der BVB-Innenverteidiger nach seinem letzten Kopfball auf das Tor des FC Barcelona so verheerend gelandet, dass eine schwerere Verletzung am Sprunggelenk zu befürchten war – bis zu einer Fraktur.
Wade und Fuß schienen bei der Landung im 90-Grad-Winkel voneinander abzustehen. Gemessen daran ist ein Bänderriss noch verkraftbar und eine vergleichsweise gute Nachricht. Schlotterbeck dürfte bis Ende Januar oder Anfang Februar ausfallen, und nicht für den Rest der Saison, wie schon befürchtet.
Sein letzter Kopfball konnte allerdings nicht mehr die 2:3-Niederlage gegen die Mannschaft des früheren Bundestrainers und Bayern-Coaches Hansi Flick verhindern. Barcelona ging dreimal in Führung, Dortmund glich zweimal aus. Was BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl zu dem Fazit brachte: „Wir haben mit viel Leidenschaft und ganz viel Herz gespielt. Ein Unentschieden wäre mehr als verdient gewesen.“
Qua Jobbeschreibung ist Kehl zu so einer eher tröstenden Analyse nahezu verpflichtet, zumindest in der Öffentlichkeit. Tatsächlich aber spielte Flicks Mannschaft die ersatzgeschwächten Dortmunder über weite Strecken des Spiels fußballerisch beinahe an die Wand. Allzu viel eminente Torgefahr kam zwar bei der Passspiel-Orgie der Katalanen auch nicht heraus, aber die Art und Weise, wie Barcelonas junges Team den BVB schon in der Spielentwicklung durch intelligentes Anlaufen dominierte, war beeindruckend. Vor allem in der ersten Halbzeit, aber auch über weite Strecken der zweiten Halbzeit kontrollierte Flicks Team die Gastgeber. Mancher hielt es beinahe für eine Lehrstunde in modernem Fußball.
„Wir machen auch Fehler“, räumte Kehl nach dem Spiel ein, „und auf diesem Niveau machen kleine Fehler eben den kleinen Unterschied.“ Aber auch das war eher als Trost zu verstehen, nicht nur für die Niederlage am sechsten Spieltag der Champions-League gegen die bis dahin punktgleichen Katalanen. Kehl meinte damit wohl vor allem auch die Szene vor dem 3:2-Siegtreffer durch Ferran Torres. Jamie Gittens, der gegen Barcelona selten seine Torgefährlichkeit aufblitzen lassen konnte, hatte einen unsauberen Rückpass von Pascal Groß falsch eingeschätzt, beide ermöglichten damit auf naive Art und Weise den Konter, der zum entscheidenden Tor führte.
Ansonsten aber konnte Dortmund eher von Glück sagen, dass die spielerische Unterlegenheit nicht früher zu einer klareren Führung der Gäste geführt hatte. Bis zum Ausgleichstor durch Serhou Guirassys Foulelfmeter nach einer Stunde Spielzeit hatte der BVB nicht ein einziges Mal Barcelonas Torwart Iñaki Peña zum Eingreifen gezwungen. Guirassy selbst kam zwar zu zwei, drei Tor-Abschlüssen, und er traf auch später zum zwischenzeitlichen 2:2-Ausgleich, aber wirkliche Torjäger-Qualitäten konnte auch er nicht ausweisen.
Und so offenbarte das zweite Gipfeltreffen mit einem Topklub der spanischen Liga (nach einem 2:5 bei Real Madrid), dass der BVB zwar im Sommer noch im Finale der Champions League gestanden hat (auch da gegen Real Madrid, Endstand 0:2), aber derzeit auf höchstem Niveau nur leidlich mithalten kann. Die Nachricht, dass Nationalverteidiger Schlotterbeck zumindest keine ganz schwere Verletzung erlitten hat, wird mit umso mehr Erleichterung aufgenommen. Beim BVB fehlten gegen Barcelona bereits die anderen beiden etatmäßigen Innenverteidiger Waldemar Anton, der an einem Muskelfaserriss im Leistenbereich laboriert, und Niklas Süle, dessen Syndesmoseverletzung erneut aufgebrochen ist, und der möglicherweise bis zum Saisonende ausfällt. Man werde sich „Gedanken machen müssen“, sagte Sportchef Kehl nach dem Spiel. In der Innenverteidigung musste Kapitän Emre Can bereits am Mittwochabend aushelfen.
Ramy Bensebaini könnte als Innenverteidiger einspringen
Für die Wochen ohne Schlotterbeck könnte Außenverteidiger Ramy Bensebaini einspringen, der in seiner algerischen Nationalmannschaft regelmäßig in der Innenverteidigung spielt. Dortmunds vierter Innenverteidiger, Nachwuchsmann Filippo Mané, ist ebenfalls verletzt. Nuri Sahin gehen also die Verteidiger aus. Ganz überraschend kommt das nicht. Dass der BVB-Kader auf einigen Positionen dünn aufgestellt ist, wird intern schon länger diskutiert.
Das 2:3 gegen Barcelona offenbarte aber auch, dass sich der versprochene spielerische Neuanfang bei Borussia Dortmund unter dem neuen Trainer weiter kompliziert gestaltet. Kollektive Abwehrarbeit, cleveres Pressing, erkennbare Spielzüge – all das ist beim BVB oft noch zu wenig zu sehen. Dortmund liegt derzeit in der Bundesliga nur auf Platz sechs. Die erneute Qualifikation für die Champions League ist an sich Pflicht angesichts der hohen Kosten für den zweitteuersten Kader der Bundesliga, die bei etwa 190 bis 200 Millionen Euro liegen.
Gegen Barcelona verzichtete Sahin in der Startaufstellung zum wiederholten Mal auf den erfahrenen Nationalspieler Pascal Groß. Als der schließlich eine Viertelstunde vor Schluss ins Spiel kam, war sofort mehr Struktur im BVB-Spiel. Warum sich Dortmunds Trainer angreifbar macht, indem er den vielleicht besten Spieler im Kader nicht berücksichtigt, verwundert angeblich inzwischen auch einige Meinungsführer in Dortmunds Kabine. Wenn die spielerische Wende zum Besseren nicht bald erkennbar wird, dürfte das Knistern im Hintergrund bald lauter werden. Bisher retten Einzelaktionen und Tore von Individualisten wie Gittens, Guirassy oder Malen die Dortmunder zumindest bei Heimspielen. Schon gegen Hoffenheim am Sonntag soll wenigstens die Heim-Bastion weiter gehalten bleiben. Auch ohne gelernte Innenverteidiger.