Süddeutsche Zeitung

Champions League:Gladbach jubelt erst vorm Monitor

Die Borussia verliert chancenlos gegen Real Madrid - doch weil im 1200 Kilometer entfernten Mailand kein Tor fällt, feiert der Klub den historischen ersten Einzug in die K.-o.-Run­de der Champions League.

Von Ulrich Hartmann

Womöglich hätte sich dieses Wechselbad der Gefühle im gigantischen "Estadio Bernabeu" ja noch intensiver angefühlt. Aber die ehrwürdige Arena von Real Madrid wird gerade renoviert. Deshalb spielte sich dieser historische Abend für Borussia Mönchengladbach in einem kleinen und unscheinbaren Stadion namens "Alfredo Di Stéfano" auf Reals Trainingsgelände ab. Zuschauer gab es eh keine, die hätten mit ansehen dürfen, wie am Ende dieser spannendsten Champions-League-Gruppe Real mit 2:0 (2:0) gegen Gladbach gewann und sich doch noch an die Spitze setzte. Weil im Parallelspiel zwischen Inter Mailand und Schachtjor Donezk aber keine Tore fielen, durften die Gladbacher nach dem deprimierenden Schlusspfiff plötzlich doch noch jubeln. Ihr Glück, auf einem Monitor beobachtet, geschah im 1200 Kilometer fernen Mailand. Das Unentschieden dort brachte Gladbach ins Achtelfinale und Donezk in die Europa League. Inter Mailand ist raus.

Trotzdem schlug Trainer Marco Rose nach dem Abpfiff durchaus kritische Töne an: "Wir haben viel Lehrgeld bezahlt. Gegen ein starkes Real haben wir wenig auf den Platz bekommen. Wir hatten keinen Zugriff." Und dennoch, es überwog die Erleichterung: "Ich bin stolz auf meine Mannschaft."

Ein kurzer Blick zurück: "Borüssia Monschengladbach!", hatte die Fußball-Ikone Didier Drogba am 1. Oktober in Genf vorgelesen, als gerade das letzte Los für die Gruppe B aus dem Topf gefischt war. Den Gladbachern ist damals das Herz in die Hose gerutscht. Real Madrid, Inter Mailand und Schachtjor Donezk schienen eine unüberwindbare Champions-League-Hürde zu bilden, doch als am Mittwochabend um 22.49 Uhr das finale Gruppenspiel der Borussen in Madrid abgepfiffen wurde, rissen sie die Arme hoch. Für den Klub vom Niederrhein ist der erstmalige Einzug ins Achtelfinale der Champions League ein kleines Märchen.

Als Drogba ihnen vor mehr als zwei Monaten diese Hammer-, respektive: Monster- oder auch Todesgruppe, zugelost hatte, hat der Sportdirektor Max Eberl als erste Reaktion natürlich wieder seine Witzchen gemacht. "Beim ersten Mal in der Champions League sind wir Gruppenvierter geworden, beim zweiten Mal Dritter, also gehe ich davon aus, dass wir dieses Mal Zweiter werden", hat er grinsend gesagt und tatsächlich Recht behalten. Die Borussia, vor zehn Jahren noch am Bundesliga-Abgrund zur zweiten Liga, gehört erstmals seit Jahrzehnten wieder zu den besten 16 Klubs Europas, und das, obwohl man in den Gruppenspielen nicht gerade vom Glück verfolgt war: als Mailand im Hinspiel in der letzten Minute noch ausglich, als man im Hinspiel gegen Madrid eine 2:0-Führung in der 87. Minute noch verspielte und als man im Rückspiel gegen Inter den späten Ausgleich aberkannt bekam. Den Nerven der Gladbacher, so hat sich gezeigt, haben diese strapaziösen Episoden gut getan. Sie blieben halbwegs cool.

Mit Breel Embolo, Lars Stindl, Marcus Thuram und Alassane Plea brachte der Trainer Marco Rose trotz der sensiblen Konstellation unbeirrt vier Angreifer. Er hatte nicht vor, seine Spiel-Philosophie der Relevanz des Abends zu unterwerfen. "Sich treu bleiben", nennt Rose das. Zu tun bekamen es die Vier in Reals Innenverteidigung aber mit dem gesundeten Rückkehrer Sergio Ramos. Reals wichtigster Antreiber hatte im Hinspiel in der Nachspielzeit das 2:2 durch Casemiro vorbereitet. Da war also noch eine Gladbacher Rechnung offen.

Benzema ist zu stark an diesem Tag

Aber mit Rechnungen gegen das echte, starke Real, wie man es diesmal erlebte, ist das so eine Sache. Karim Benzema etwa hatte im Hinspiel Reals späten 1:2-Anschlusstreffer erzielt, und er war auch diesmal derjenige, der den Gladbachern schon in der 9. Minute wehtat. Im Mittelfeld verlor Stindl den Ball, und die folgende Flanke von Lucas Vazquez, über rechts nicht verhindert von Oscar Wendt, köpfelte Benzema zum 1:0 ein, weil Stefan Lainer und Matthias Ginter ihn nur eskortierten, anstatt zu stören.

Hätten sie aus dieser Szene etwas gelernt, dann wäre in der 32. Minute nicht ein nahezu identischer Treffer zum 2:0 gefallen. Diesmal tanzte auf der rechten Seite Rodrygo Gladbachs Nico Elvedi aus, flankte und fand im Fünfmeterraum wieder den von Lainer und Ginter vernachlässigten Benzema, der leicht einköpfelte. Weil Plea bei Gladbachs einziger Chance in der 25. Minute den Ball knapp vorbeischoss, weil Torwart Yann Sommer in der 39. Minute einen Schuss von Luca Modric an den Pfosten lenkte und weil Modric beim vermeintlichen 3:0 in der 42. Minute im Abseits stand, hieß es zur Pause 0:2. Bloß.

Es deutete auch in der zweiten Halbzeit nichts darauf hin, dass ausgerechnet Gladbach dafür sorgen könnte, dass Real erstmals überhaupt die K.-o.-Runde der Champions League verpasst und der Trainer Zinedine Zidane womöglich seinen Job verloren hätte. Mit Valentino Lazaro für Wendt und Denis Zakaria für Embolo spielten sie ein bisschen unbeschwerter, erarbeiteten sich aber zu wenige ersehnte Umschaltsituationen. Sommer und drei mal Aluminium bewahrten Gladbach vor einer höheren Niederlage. Madrid spielte seinen Vorsprung unaufgeregt heim. Das Ergebnis im fernen Mailand war ihnen total egal.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5143164
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/schm/khoe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.