Champions League:Bonbon gefällig?

FILE PHOTO: Champions League Quarter Final Second Leg - AS Roma vs FC Barcelona

Nach dem Weiterkommen gegen Barcelona träumt man in Rom vom Titel: Daniele De Rossi und Alessandro Florenzi (oben).

(Foto: Alessandro Bianchi/Reuters)

Die AS Rom leidet seit über 30 Jahren an einem Liverpool-Trauma. Nach dem Coup gegen Barcelona wollen sie sich endlich davon befreien.

Von Birgit Schönau, Rom

Vielleicht wären die Bayern gerade recht gekommen. Die Münchner haben sich bekanntlich als Alptraum eingebrannt bei der Roma, ein Alptraum. Ewigkeiten hat der stolze italienische Hauptstadt-Klub gebraucht, um sich von jenem 21. Oktober 2014 zu erholen, da er den Bundesligisten in der Gruppenphase der Champions League empfing. Und so gut wie hilflos 1:7 unterlag. Eine nie dagewesene Klatsche, eine unerhörte Demontage vor eigenem Publikum, eine schlimme Demütigung. Fast so heftig: Das 1:4 in Barcelona am 4. April, garniert mit zwei Eigentoren. Wie das Rückspiel ausging, weiß man: Die Roma servierte Barcelona 3:0 ab und steht jetzt im Halbfinale. "Ich dachte erst, das sei ein Scherz", gestand in Liverpool Jürgen Klopp, der die Nachricht in der Kabine erst gar nicht glauben konnte.

Es ist in der Tat eine Sensation. Eine italienische Mannschaft unter den letzten Vier, das war in den vergangenen Jahren höchstens Juventus gewesen. Alle anderen agierten unter ferner liefen. Die Roma hat das Halbfinale überhaupt nur ein Mal erreicht, 1984, als der Wettbewerb noch Landesmeister-Pokal hieß. Hinspiel in Dundee 2:0 für die Schotten, Rückspiel in Rom 3:0 für die Römer. Es folgte das Finale gegen Liverpool im heimischen Stadion. Nach Ende der regulären Spielzeit stand es 1:1, dann gab es Verlängerung und, erstmals in der Finalgeschichte, ein Elfmeterschießen. Hier gewann Liverpool, weil die beiden römischen Weltmeister Bruno Conti und Francesco Graziani Nerven zeigten und den Ball vom Elfmeterpunkt geradewegs in die Tribüne donnerten. Die Roma hat also auch ein Liverpool-Trauma. Aber das Bayern-Trauma ist jünger und deshalb stärker.

In Liverpool wird trotzdem niemand glauben, es handele sich um ein "Bonbon", das im Halbfinale schnell weggelutscht werden soll. Als "Bonbon" hatte die katalonische Zeitung "Sport" die römischen Gegner verhöhnt, weswegen der Redaktion am Mittwoch prompt eine Schachtel Süßigkeiten aus der Ewigen Stadt zugestellt wurde, mit freundlichen Grüßen. Achtung, wer die Roma unterschätzt, könnte sich an ihr verschlucken.

Daheim noch ohne Gegentor

"Egal, wer jetzt kommt, wir werden es mit ihm aufnehmen", sagt Eusebio Di Francesco, der Trainer. "Man darf mich für bekloppt halten, aber ich will jetzt nach Kiew." Di Francescos Team hatte bereits eine glänzende Gruppenrunde absolviert, dort gegen dem Favoriten FC Chelsea auswärts ein 3:3 abgetrotzt und die Londoner dann zu Hause 3:0 geschlagen. Im Achtelfinale war Schachtjor Donezk ein sperriger, aber zu bewältigender Gegner. Auch da verloren die Italiener das erste Spiel, um zu Hause keine Zugeständnisse mehr zu machen. Fast, als müsse Di Francesco den jeweiligen Gegner erst auf dem Platz genau studieren, damit er in aller Ruhe einen Plan für den entscheidenden Gegenschlag ausarbeiten kann.

So war es gegen Barcelona, wo seine Spieler zunächst zwar Einsatz und Ideen zeigten, aber durch eine gewisse Naivität alles verpatzten. Innerhalb von wenigen Tagen stellte Di Francesco sein Spielsystem um, verabschiedete sich vom gewohnten 4-3-3 und wechselte zum 3-4-1-2. Er hatte verstanden, dass Barça mit einer Dreierabwehr Schwierigkeiten hatte, machte sein Team schlanker und angriffslustiger, verstärkte die Flügel. Der Plan ging auf, der Rest war Motivation. "Diesmal kriegen wir sie", trichterte Di Francesco seinem Team ein. Es muss sehr überzeugend geklungen haben. Immer noch ist die Roma in der diesjährigen Champions League ohne Gegentor.

Vom hässlichen Entlein hat sich die Roma plötzlich zum Schwan gemausert, vom Aschenputtel zur Prinzessin. Sie ist nicht mehr das Bonbon, sondern die Bombe und ihr Selbstbewusstsein stark wie nie. "Mit 34 kann man nochmal voll durchstarten", hat ihr Kapitän Daniele De Rossi erkannt, der in Barcelona ein Eigentor fabrizierte und zu Hause den Elfmeter zum 2:0 verwandelte. Jahrelang stand De Rossi im Schatten seines Vorgängers Francesco Totti. Der ging im Vorjahr nach einem Vierteljahrhundert in Pension, woraufhin viele der Roma eine lange Durststrecke voraussagten. Stattdessen spielt sie wie befreit.

Einheimische Säulen sorgen für Identifikation

Die Roma ist zwar der erste Serie-A-Klub mit einem ausländischen Besitzer, seitdem der Verein mit der Wölfin im Wappen 2011 von einer US-amerikanischen Investorengruppe übernommen wurde. Aber es blieben einheimische Säulen. Kapitän Daniele De Rossi stammt aus Ostia und genau wie die gebürtigen Römer Alessandro Florenzi und Lorenzo Pellegrini der Jugendmannschaft. Die drei sind Nationalspieler, genau wie der Italo-Ägypter Stephan El Shaarawy. De Rossi gehört gar zur alten Weltmeistergarde von 2006. Seit diesem fernen Triumph hat er bei den Azzurri nicht mehr viel feiern können. Dafür erlebte er jetzt mit seinem Klub eine rauschende Fußballnacht gegen Barcelona.

Der nächste Gegner dürfte diesmal stärker sein, aber auch schwerer belastet mit Erwartungen. Die Roma ist bereits genau jene Sensation, die Liverpool gar nicht mehr werden kann. Das kann den Italienern, verbunden mit ihrem gewaltigen Temperament, Flügel verleihen. Genau wie die Tatsache, dass Di Francesco in seinem ersten Jahr als Coach erst am Anfang steht. Hinter dieser Mannschaft steht eine Stadt, die hungrig ist nach Anerkennung und Erfolg. Seit Monaten, nein Jahren, entfaltet sich in Rom ein Gemälde des Niedergangs. Die städtischen Verkehrsbetriebe sind so gut wie pleite, die Müllabfuhr idem, und am Abend vor dem Triumph gegen Barça hatten römische Autofahrer tatsächlich eine der 2000 Jahre alten Konsularstraßen blockiert - aus Protest gegen die vielen Schlaglöcher. Aber für die Roma gilt: Wenn man keine Angst hat, gibt es keine Angstgegner. Und wo man wach bleibt, keine Alpträume.

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