Das Wort "Kaderplanung" gehört inzwischen in den Grundwortschatz jedes Experten, der sein Expertentum unter Beweis stellen will. Zwar wurde der An- und Verkauf von Fußballern früher auch schon professionell betrieben, aber gut, früher wurden Spieler halt geholt oder abgegeben, und dann hat man geschaut, ob sie toppen oder floppen, wie das in der Fachsprache hieß. Auf die Ebene einer quasi universitären Disziplin ist die Personalpolitik erst im Zuge der zunehmenden Akademisierung der Sportart aufgestiegen, und vor diesem Hintergrund hätte Philipp Lahm das natürlich niemals verraten dürfen.
Welchen strategischen Erwägungen aus seiner Sicht die Verpflichtung von Mats Hummels gefolgt sei, ist Lahm kürzlich gefragt worden. Ob man die Innenverteidigung breiter aufstellen wolle, wie die Kaderplaner sagen? Ob man sich gegen Jérôme Boatengs Verletzungen absichern wolle? Oder ob Javi Martinez künftig mehr im Mittelfeld spielen solle? Nichts dergleichen, meinte Lahm und enthüllte einen unbekannten Aspekt bajuwarischer Kaderplanung: Man habe neben Thomas Müller, Manuel Neuer und ihm selbst, Lahm, noch einen vierten erfahrenen Schafkopfspieler gebraucht: Und das könne nur der in Bayern sozialisierte Hummels sein.
Wobei, ja okay, die anderen Aspekte schon auch eine Rolle gespielt haben könnten, jedenfalls die ersten beiden: breiter aufstellen, gegen Verletzungen absichern.
Welch einleuchtende Kaderplanung die Bayern im Sommer betrieben haben, zeigt sich spätestens jetzt, ein Dreivierteljahr später, nach dem Ausfall des Schafkopfspielers. Verstauchung des rechten oberen Sprunggelenks und Verletzung des Kapselbandapparats: Diese lange Verletzung erlitt Mats Hummels beim sonntäglichen Training, womit auf einmal offensichtlich wurde, dass das Schicksal sich doch nicht in vollem Umfang an die Moderationskünste des sehr routinierten Trainers Carlo Ancelotti hält. Ancelotti hatte Hummels gegen Dortmund extra nur ein paar Minuten spielen lassen und ihm dafür eine Startelf-Garantie fürs Hinspiel gegen Real Madrid am Mittwoch ausgestellt. Sehr theoretisch lassen die Bayern noch die Möglichkeit offen, dass Hummels vielleicht im Rückspiel sechs Tage später wieder eingreifen könnte; im Sinne der praktischen Vernunft glauben sie das aber übrigens selber nicht.
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Mats Hummels fehlt also, der Weltmeister, ausgerechnet jetzt. Ein Rückschlag? Gar: eine Katastrophe? Nun, für die Bayern bedeutet das halt, dass jetzt Jérôme Boateng spielen muss, ein Abwehrspieler, der ebenfalls Weltmeister ist und im WM-Finale übrigens eine Klasse besser war als der Schafkopfspieler mit der Verstauchung des rechten oberen Sprunggelenks und der Verletzung des Kapselbandapparats.
Tatsächlich ist es im Moment aber durchaus ungewiss, was Hummels' Ausfall für die Statik der Münchner Defensive bedeutet, denn es ist vor allem ungewiss, welche Art von Boateng da am Mittwochabend auflaufen wird. Schon vor seiner jüngst überwundenen Brust-und-Schulter-Verletzung hatte der sogenannte beste Innenverteidiger der Welt etwas unrunder gewirkt als in seinen besten Tagen, zwei Muskelbündelrisse im Jahr 2016 samt anschließender Rehabilitationsphasen waren ihm doch etwas auf die Souveränität geschlagen.
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Bei Bayern sind sie deshalb davon ausgegangen, dass Ancelotti gegen Real auf das Duo Hummels/Martinez bauen würde - und sie waren intern schon etwas angespannt, weil sie nicht genau wussten, wie der anspruchsvolle Boateng auf eine vorübergehende Reservistenrolle reagieren würde. Zumal immer noch das kleine Wortgefecht mit dem Vorstandschef im Raum steht: Boateng müsse wieder mehr "back to earth" kommen, hatte Karl-Heinz Rummenigge im Herbst gesagt und auf Boatengs angebliche Gala- und Catwalk-Aktivitäten abgezielt. Darüber könne er "nur lachen", hatte Boateng knackig gekontert.
In der nächsten Saison kommt auch noch Hoffenheims Süle dazu
Nun aber, da Boateng sofort wieder wichtig wird, erledigen sich die Dinge womöglich von selbst, eine standesgemäße Boateng-Leistung vorausgesetzt. Die Bayern sind ja schon auch stolz auf die Innenverteidigung, die sie da hingeplant haben: Sie nehmen für sich in Anspruch, von Europas Topklubs die hochwertigste Auswahl zu haben. Mit Boateng/Hummels/Martinez komme allenfalls das Real-Trio Ramos/Varane/Pepe mit, finden die Münchner (wobei die beiden Letzteren gegen Bayern fehlen). Auch die traditionell abwehrbewusste Juventus-Deckung (Bonucci, Chiellini, Benatia, Barzagli) gilt in der Breite als konkurrenzfähig, aber bei Barcelona, Atlético Madrid und allen Engländern trifft man im Kader maximal zwei, eher nur einen Innenverteidiger der Premiumklasse.
Die Kaderplanung der Bayern sieht übrigens vor, dass Javi Martinez in der nächsten Saison tatsächlich wieder häufiger im Mittelfeld spielt. Als neuen Innenverteidiger haben die Münchner bereits Niklas Süle, 21, verpflichtet.