Süddeutsche Zeitung

Champions League: Bayern - Inter:Nichts gelernt

Zwischen Wut und Fassungslosigkeit: Der FC Bayern verliert gegen Inter Mailand ein sicher geglaubtes Spiel und scheidet aus. Danach gibt es erstmals harsche Vorwürfe gegen die Defensive.

Carsten Eberts, Fröttmaning

Der Schmerz war zu groß. Mario Gomez kauerte elendig auf dem Rasen, vergrub das Gesicht in seinen Händen, Thomas Müllers Arbeitstag endete mit einem Schreikrampf: vor Fassungslosigkeit, vor Schmerz, vor Wut über sich selbst. Um 22:38 Uhr mussten sich die Bayern Inter Mailand geschlagen geben - nach einem Spiel, das sie niemals hätten verlieren dürfen.

"Das haben wir uns selbst zuzuschreiben. Der Stachel sitzt sehr tief, weil wir 60 grandiose Minuten gespielt haben", sollte Mario Gomez später klagen. "Inter Mailand war kaputt, die konnten nicht mehr laufen", sagte sein Kollege Bastian Schweinsteiger. Und schob hinterher: "Das ist unfassbar, dass wir gegen die ausscheiden."

Nach der Meisterschaft und dem DFB-Pokal sind die Bayern nach der 2:3-Rückspielniederlage (Hinspiel 1:0) gegen den Titelverteidiger auch in der Champions League gescheitert. Höchst unglücklich, jedoch auch irgendwie symptomatisch. Jene Saison, die in vielerlei Hinsicht eigentlich ein Selbstläufer werden sollte, ist damit endgültig eine verlorene.

Alles hatte so stürmisch begonnen. Gerade drei Minuten waren gespielt, als Mailands Goran Pandev seinen Sturmpartner Samuel Eto'o in die Gasse schickte. Die Situation war abseitsverdächtig, doch Eto'o durfte weiterlaufen, er tunnelte Thomas Kraft zum 0:1.

Die Bayern waren augenblicklich wach: In der 21. Minute streichelte Robben den Ball in den Strafraum, Inter-Keeper Júlio César ließ ihn prallen, Gomez hob den Ball mit dem Rücken zum Tor artistisch über César hinweg zum 1:1. Kurz darauf erreichte der Ball Thomas Müller, der César mit einem überlegten Schuss keine Chance ließ (31.). Es folgten die Minuten, in denen die Dominanz der Bayern sogar noch zunahm, an die sie sich später schmerzvoll erinnern würden.

Wie Franck Ribéry frei auf César zulief, den Ball jedoch über das Tor setzte (35.). Wie ein weiterer Ball von Gomez kurz vor der Linie verweilte, Müller heranrauschte, Inters Andrea Ranocchia dennoch irgendwie über Müllers Schienbein und den Pfosten klären konnte (40.). Auch ganz am Ende, als Gomez zusammen mit Ribéry und Müller aufs Tor stürmte, sich jedoch verdribbelte, statt die Nebenleute einzusetzen (83.).

"Wir hätten fünf, sechs Tore schießen müssen", befand Gomez anschließend, als er noch nach Worten rang, die Stimme leise, etwas schwerer als sonst. "Wir müssen in der ersten Halbzeit 4:1 führen", stellte auch Robben fest. Bereits ein 3:1 zur Pause hätte wohl zum Weiterkommen gereicht. Schwer vorstellbar, dass dieses mittelmäßig organisierte Inter noch einmal herangekommen wäre.

Doch so kippte das Spiel. Es kam zu jenem Szenario, das die Bayern unbedingt verhindern wollten: dass es in den entscheidenden Situationen auf die Abwehr ankommt, auf die Innenverteidigung, in der Trainer Louis van Gaal wegen der Beförderung Luiz Gustavos ins defensive Mittelfeld mit Daniel Van Buyten und Breno schon wieder ein neues Pärchen aufgeboten hatte. "Wir hatten vereinbart, dass wir kompakt spielen müssen", klagte Trainer Louis van Gaal später. Doch genau diese Kompaktheit ging um die 60. Minute herum seltsam verloren.

Das 2:2 nach einem satten Schuss von Wesley Sneijder fiel noch aus dem Nichts (63.). Ein Schlüsselmoment wohl auch, dass Arjen Robben, der die Abwehr zuvor gewinnbringend entlastet hatte, nach 67 Minuten verletzt vom Platz musste. Angriffe wurden plötzlich nicht mehr zu Ende gespielt, das Mittelfeld um Schweinsteiger agierte unerwartet hektisch, drosch die Bälle verstärkt nach vorne, der Druck auf die Münchner Defensive nahm zu.

Gegen Pandev (71.) sowie Sneijder (73., 81.) konnten Breno und Co. noch parieren, nicht jedoch drei Minuten vor Schluss: Breno ließ sich zunächst von Eto'o kinderleicht überlisten, kam nicht hinterher, Eto'o lief im Strafraum auch am eingewechselten Badstuber vorbei, passte zielgenau auf Pandev - der fulminant zum 2:3 vollstreckte.

Als die Münchner ihre Enttäuschung halbwegs im Griff hatten, wurde an den neuerlichen Abwehrschnitzern sogleich Kritik laut - sogar unerwartet deutlich. "Die ganze Mannschaft muss defensiv denken. Wenn ein paar Spieler nicht mitmachen, geht das nicht", sagte etwa Schweinsteiger: "Man muss zusammen offensiv und defensiv denken, sonst wird man nicht Champions-League-Sieger."

Noch direkter wurde Robben: "Es kann nicht sein, dass wir zu Hause drei Tore kriegen", klagte er: "Wir machen eine gute Vorbereitung, aber wenn wir immer diese Gegentore kassieren, wenn das wieder und wieder passiert, das kann nicht sein." Abschließend wurde Robben gefragt, ob die Bayern-Abwehr derzeit den großen Ansprüchen genüge. Die klare Antwort: "Momentan nicht."

Trainer van Gaal wollte sich auf eine neuerliche Abwehrdiskussion nicht so recht einlassen. Da sprach er wieder vom "Prozess", den seine Mannschaft durchlaufe. Sie habe "zu viel gewollt", den Gegner zwar klar dominiert, jedoch die Tore nicht gemacht. Van Gaal sagte aber auch: "Wir haben das selbst verursacht. Das ist nicht das erste Mal in dieser Saison, aber wir haben nicht daraus gelernt."

Der Lernprozess wird in den kommenden Wochen wohl nicht mehr einsetzen. Van Gaals Abschiedstour hätte im Idealfall noch 13 Stationen gehabt - fünf in der Champions League, acht in der Liga. Nun sind es nur noch acht.

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