Leverkusens 0:4 in Liverpool:Eine Niederlage, die Bayers Stolz hart berührt

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Leverkusens Spieler hatten arge Probleme in Anfield, sie kamen mit der Wucht des Moments in Liverpool nicht klar. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Bei der heftigen Bauchlandung in Anfield präsentiert sich Leverkusen geistig und spielerisch nicht auf der Höhe der Vorsaison. Es zeigt sich, dass Xabi Alonsos Team neue Herausforderungen meistern muss - aber dafür derzeit nicht die Mittel hat.

Von Philipp Selldorf, Liverpool

Die amtlichen Daten besagen, dass Granit Xhaka am 27. September 1992 in Basel zur Welt gekommen ist, unlängst hat er seinen 32. Geburtstag gefeiert. Als er aber am Dienstagabend den Rückmarsch aus dem Stadion an der Anfield Road antrat, zog ein Xhaka den Koffer hinter sich her, der den Zweitnamen Xhaka der Ältere tragen könnte. Gebeugt wie ein Mann, dem viele dunkle Erfahrungen und Einsichten in den Schmerz des Lebens die Schultern beschweren.

Offensichtlich waren es die Vorfälle des Abends, die ihn auf diesem Weg belasteten, denn mit Bayer Leverkusen hatte der schweizerische Nationalspieler beim 0:4 gegen den FC Liverpool eine Niederlage erlitten, die seinen nicht gerade geringfügig ausgeprägten Stolz hart berührte. Das ließ sich daran erkennen, dass Xhaka, üblicherweise ein Mann deutlicher Worte, die bitteren Tatsachen dieser Champions-League-Nacht zwar nicht verschwieg, aber durch Floskeln zu relativieren versuchte.

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„Wir sind nicht die Ersten und nicht die Letzten, die hier verloren haben“, sagte er zum Beispiel. Leverkusens Mittelfeld- und Kabinenchef suchte Trost im Trotz („unsere Intensität hat mir gefallen“) und im Leugnen Schutz vor dem Vorwurf, dass der deutsche Meister in den wesentlichen Passagen der Partie wie ein Anfänger ausgesehen hatte. Der Doppelschlag nach einer Stunde mit Liverpool-Treffern von Luis Diaz und Codi Gakpo zum 2:0 bescherte der Partie ein vorzeitiges Ende.

Dass sich die Bayer-Elf von dem besonderen Schauplatz hatte einschüchtern lassen, negierte Xhaka geradewegs – offenbar eine Frage der Profi-Ehre. „Ich bin ehrlich“, sagte er, „es ist ein normales Fußballstadion wie andere auch.“ Es war, als sollte der Ort, an dem das Leverkusener Team an fußballerische Grenzen stieß, keinen Namen haben. Xhakas Dementieren erinnerte an eine Episode aus der Asterix-Literatur, in der ein unbeugsamer Gallier respektive Averner den Ort der Niederlage gegen die Römer aus dem Protokoll entfernt hat: „Alesia? Ich kenne kein Alesia.“

Sollte Florian Wirtz auf die Idee kommen zu behaupten, er kenne kein Anfield, wäre das allerdings ein schlechter Einfall. „Davon musst du lernen, damit du eine gewisse Reife zeigen kannst“, sagte Torwart Lukas Hradecky. Seine Empfehlung galt der ganzen Mannschaft, aber im Besonderen dem noch heranreifenden Großtalent Wirtz. Am 21 Jahre alten Offensivregisseur ließ sich stellvertretend ablesen, worin die Unterschiede der beiden Mannschaften bestehen und was auch die beiden Ligen, aus denen sie stammen, voneinander trennt.

Florian Wirtz stößt in Liverpool an Grenzen, der Verein schützt ihn aber

Der Techniker Wirtz ist alles andere als ein Schönspieler, auf deutschen Plätzen setzt er seine Spielimpulse auch dank enorm zäher Zweikampfkraft durch. Doch in Liverpool scheiterte er mit seiner Einsatzfreude an unerbittlichen Gegnern wie dem Argentinier Alexis Mac Allister oder dem französischen Verteidiger Ibrahima Konaté, der an diesem Abend scheinbar mit einem Stahlmantel ausgerüstet wurde. Wirtz oder auch der keineswegs schmächtige Mittelstürmer Victor Boniface blieben in manchen Duellen chancenlos auf der Strecke, Linksaußen Grimaldo schaffte es selten über die Mittellinie. Tempo- und Stabilitätsvorteile sowie eine Besetzung, die auf allen Positionen hervorragende Spezialisten aufbot – das alles hatte der Premier-League-Spitzenvertreter FC Liverpool dem Botschafter aus der Bundesliga voraus, als es ernst wurde zwischen den Widersachern. Aber es war auch Liverpools ständige Zugehörigkeit zur Champions-League, die einige Unterschiede herstellte: „Zweikämpfe, Infights, Cleverness, Rhythmus“, benannte Leverkusens Sportchef Simon Rolfes.

Wie sollte Florian Wirtz in seinem vierten Spiel in Europas Eliteklasse schon so weit sein für all diese Zutaten? „Es werden noch viele Spiele folgen“, prophezeite Rolfes, „und dafür konnte er heute viel mitnehmen. Er kann sich noch in vielen Bereichen verbessern. Wir sind bei Florian verwöhnt, aber er hat auch immer gezeigt, dass er in der Lage ist, extrem schnell dazuzulernen.“ Der Manager sprach über Wirtz, aber er sprach auch über die ganze Mannschaft, die zurzeit mit Problemen zu tun hat und der Verbesserung bedarf: Sie ist geistig und spielerisch nicht auf der Höhe des Vorjahres, zugleich muss sie neue Herausforderungen bestehen. Und dem Kader fehlt es nach einem Transfersommer, der keine neuen Akzente im Niveau brachte, an der Tiefe, die man im stressigen Herbst braucht.

Bayer, von Trainer Xabi Alonso mit einem guten taktischen Ansatz ausgestattet, hatte eine Stunde lang mitgehalten. Das breit aufgestellte Mittelfeld um Xhaka sorgte für Spielkontrolle. Es war allerdings eine Ebenbürtigkeit von Liverpools Gnaden, und sowie die Hausherren in der zweiten Hälfte den Druck steigerten, gab es Leverkusener Ballverluste und Abspielfehler, die die Gegenseite in superprofessioneller Konsequenz zu nutzen wusste. „Es war nicht das Bayer-Leverkusen-Feuerwerk, das wir kennen“, gestand Hradecky, „gegen diese Weltklassemannschaft hätten wir die Leistung aus dem Stuttgart-Spiel gebraucht.“ Warum man nicht wie am Freitag gegen den VfB zum eigenen Stil gefunden hatte, konnte der erfahrene Torwart nicht begründen. „Ich weiß es nicht, ich suche auch die Erklärung“, sagte er, in der Kabine sei darüber ebenfalls „diskutiert“ worden.

Für Xabi Alonso war der Fall hingegen klar. Gegen Top-Teams seien „60 Minuten nicht genug“, meinte der Trainer, und es war die scharfe Betonung von not enough, die der Enttäuschung über die Teilzeit-Leistung seiner Elf Ausdruck gab. Doch zum Verdacht, dass er die ausgebliebene Leistung persönlich nähme, gab Alonso keinerlei Anlass. Ja, es war seine vielbeschworene Rückkehr nach Liverpool, aber der Baske blieb bei dem Motto, das er vor der Partie geäußert hatte: „Die Spieler sind die Hauptfiguren, nicht ich.“ Nach dem Abpfiff gab es Xabi-Alonso-Rufe von Liverpools Fan-Tribüne „The Kop“, und der Trainer reagierte. Er drehte sich einmal um sich selbst und winkte in alle Richtungen.

Der Ort hat mehr Einfluss als andere Orte, Xabi Alonso hatte es als Spieler oft genug erlebt. Anfield strahlt etwas aus, man habe die Wechselwirkung spüren können, als der FC Liverpool in der zweiten Hälfte in den Angriff überging. „Dann merken die Spieler: Jetzt ist der Moment, jetzt sind sie (die Fans) hinter uns, jetzt legen wir los“, sagte Alonso und erzählte damit die Geschichte des Doppelschlags, der Bayer Leverkusen zum Verlierer machte.

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