Auswärtstore im Europapokal:Das Hinspiel wird latent entwertet

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Ein wichtiges Tor für den FC Bayern, der Zeitpunkt aber ist nun egal: Kingsley Coman trifft in der Champions League gegen RB Salzburg. (Foto: Wolfgang Frank/Eibner/Imago)

Ohne die berühmte Europapokal-Arithmetik der gewichteten Auswärtstore verlieren die Hinspiele an Reiz - umso wichtiger ist es nun, das Rückspiel zu Hause austragen zu dürfen.

Kommentar von Martin Schneider

In der 90. Minute schoss Kingsley Coman in Salzburg für den FC Bayern das nun nicht mehr so wichtige Auswärtstor zum 1:1. Jahrelang gehörte es zum kleinen Einmaleins des Fußballabends, sich auszurechnen, welche Auswirkungen dieses oder jenes Tor nun haben wird, und erfahrene Zuseher hätten ohne Nachdenken gewusst, dass durch Comans Tor dem FC Bayern ein 0:0 im Achtelfinal-Rückspiel reichen würde. Noch erfahrenere Fans hätten doziert, dass das auch taktische Konsequenzen hat, denn Salzburg wäre dann ja zum Torerfolg gezwungen gewesen und hätte irgendwann in München die Spielinitiative übernehmen müssen.

Nun ist die Auswärtstorregel seit dieser Saison Geschichte. Und auch wenn die Begründung, dass Reisen nicht mehr so beschwerlich sind wie bei der Einführung 1965, natürlich stichhaltig und schwer zu widerlegen ist, hat die Reform auch Auswirkungen, die man erst jetzt in voller Pracht sieht. Unter anderem eine latente Entwertung des Hinspiels.

Ohne die Regelung, dass Comans Tor bei Gleichstand gewichtet wird, ist es nämlich zumindest mathematisch völlig egal, ob er es in der 90. Minute in Salzburg oder in der 2. Minute in München schießt. So werden die Hinspiele, wenn sie nicht gerade mit mehr als drei Toren Unterschied ausgehen, noch mehr zu einem 90-Minuten-Vorwort, zu einem großen Einrollen.

Durch die Abschaffung der Auswärtstorregel hat der internationale Fußball das Spannungsmoment verschoben

Gleichzeitig sorgt die neue Arithmetik dafür, dass der Klub, der das Rückspiel zu Hause hat, in den Genuss eines noch größeren Vorteils kommt. Schon während die Auswärtstorregel galt, war die Aussage von Verantwortlichen "Hauptsache, das Rückspiel zu Hause" eine Standardphrase bei jeder Auslosung. Aus Gründen: Kaum eine statistische Größe ist im Fußball so signifikant und so eindeutig nachgewiesen wie der Heimvorteil.

Und wenn pandemiebedingte Zuschauerbeschränkungen irgendwann der Vergangenheit angehören, deutet auch nichts darauf hin, dass er dann nicht wieder seine volle Wirkung entfaltet. Im Achtelfinale der Champions League ist der Vorteil immerhin noch sportlich verdient, weil Gruppensieger diesen Bonus erhalten. Ab dem Viertelfinale (und in den entsprechenden Runden der Europa League und der Conference League) ist es einfach Losglück.

Durch die Abschaffung der Auswärtstorregel hat der internationale Fußball auf den ersten Blick einen antiken Paragrafen beseitigt, auf den zweiten Blick aber nicht nur das Spannungsmoment verschoben, sondern ebenfalls einen eleganten Tie-Breaker geopfert. Zwangsläufig wird es in den Rückspielen nun zu mehr Verlängerungen und Elfmeterschießen kommen, was man natürlich begrüßen kann, wenn man Elfmeterschießen mag - was aber weitere Ungleichheiten erzeugt. Der berühmte Spruch der Real-Legende Juan Gómez González, genannt Juanito, dass 90 Minuten im Bernabéu sehr lang sind, wird noch wahrer. Denn als Gast in Madrid hat man nun bei einer Verlängerung nur Nachteile. Man muss 30 Minuten länger auswärts spielen als zu Hause und bekommt nichts mehr im Gegenzug.

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