Champions-League-Aus für den BVB:Zauberer an großen Abenden

Borussia Dortmund v Real Madrid - UEFA Champions League Quarter Final

Gewonnen, aber doch verloren: Kevin Grosskreutz (links) und Lukasz Piszczek nach dem Spiel

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Großer Kampfgeist, enormes Laufpensum - nur viel zu viele vergebene Chancen: Borussia Dortmund wählt gegen Real Madrid den bestmöglichen Weg, um aus der Champions League auszuscheiden. Mit seinem Erlebnisfußball macht Klopps Team einmal mehr ganz Europa auf sich aufmerksam.

Von Felix Meininghaus, Dortmund

Als das Spiel abgepfiffen war, humpelte Neven Subotic an den Spielfeldrand. Seit Monaten laboriert der Manndecker an einem Kreuzbandriss, ist zur Untätigkeit verdammt, aber in diesem Moment brauchte er den direkten Kontakt zu seinen Mitspielern. Der Serbe nahm seinen Kollegen Mats Hummels in die Arme, herzte ihn innig und sagte ihm, er sei "unglaublich stolz, Teil dieses Teams zu sein". So berichtet es Dortmunds Pressesprecher Sascha Fligge und wertete die Aktion "als die bewegendste Szene dieses Abends".

Das Spiel, das gerade beendet worden war, ließ niemanden kalt. Es hatte so unglaublich viel von dem, was ein unvergessliches Fußballerlebnis ausmacht. Es war ein Spektakel, über das alle, die es erlebt haben, noch in Jahren ins Schwärmen geraten werden: Da war ein Außenseiter, der nach einer 0:3-Niederlage im Hinspiel über sich hinauswuchs, da war eine mitreißende Kulisse und da waren packende Sequenzen im Überfluss.

Um die wirklich epischen Gefühle zu produzieren, hätte es nur noch eines Helden bedurft, und der war auf dem Platz sogar zugegen. Doch Henrich Mkhitaryan, der dafür auserkoren gewesen wäre, füllte die Rolle nicht aus. Genau wie seine Mitstreiter steigerte sich der Armenier in einen Rausch, wirbelte über das Feld, doch in den beiden entscheidenden Situationen versagten ihm die Nerven: Zuerst schoss Mkhitaryan freistehend am Tor vorbei, und dann - als er Reals Torhüter Iker Casillas bereits umkurvt hatte - setzte er den Ball an den Pfosten. Und so wurde es nichts mit dem Heldenstatus. Mkhitaryan verließ den Bauch des Dortmunder Stadions als Ritter der traurigen Gestalt, sein Verein ist aus der Champions League ausgeschieden.

Mit 2:0 (2:0) hatte Borussia Dortmund gegen Real Madrid gewonnen und die Weltauswahl aus der spanischen Metropole dabei an die Wand gespielt. Ein lausiges Törchen fehlte, und das Hinspielresultat wäre egalisiert gewesen.

Hernach wussten die Spieler nicht, ob sie sich grämen sollten, dass ihr überwältigender Einsatz nicht belohnt wurde, oder ob der Stolz überwiegen sollte, das Zig-Millionen-Ensemble mit dieser ersatzgeschwächten Mannschaft dermaßen in Bedrängnis gebracht zu haben.

Als Oliver Kirch aus der Dusche kam, erinnerte er sich an das letzte Wunder von Dortmund, das es im vergangenen Jahr im Viertelfinale der Königsklasse gegeben hatte: "Es war alles angerichtet für ein zweites Málaga", sagte der Mittelfeldrenner, "es hat nur das dritte Tor gefehlt."

Dortmund ist draußen, und doch sang nach Abfiff die Südtribüne, als hätte die Mannschaft eben das Champions-League-Finale gewonnen. Die Fans stellten das Auftreten der Dortmunder Mannschaft einfach über das Resultat. "Wahnsinn", sagte der 31-jährige Kirch, "wir waren total niedergeschlagen und wurden trotzdem total gefeiert."

Hummels ergänzte, "wir haben hier einen Abend hingelegt, den man nicht so schnell vergisst". Wäre das überfällige dritte Tor gefallen, "hätten wir eine der größten Sensationen in der Geschichte des Fußballs schaffen können". So wurde es "ein geiler Abend, der traurig endet".

Tatsächlich war es verblüffend, was die Borussia mit dieser Besetzung leistete. Einer wie Oliver Kirch fristete bislang ein zumeist unbeachtetes Dasein auf der Bank oder gar auf der Tribüne, um dann für den angeschlagenen Nuri Sahin einzuspringen und eine Darbietung von kaum für möglich gehaltener Präsenz abzuliefern. Oder Milos Jojic, der im Winter kam und bei seinem ersten Einsatz von Beginn an wirbelte, als ob er seit Generationen auf diesem Niveau agiert. Dabei steht der Serbe erst am Anfang seiner Karriere und verblüffte sogar seinen Trainer. So etwas, sagte Klopp, "habe ich von einem 22-Jährigen in dieser Form noch gar nicht gesehen".

Oder Manuel Friedrich, der sich beim Viertligisten Rot-Weiß Oberhausen fit hielt, bis ihn Klopp als Aushilfs-Manndecker engagierte. Der Routinier wolle nach Asien, um dort seine Karriere abzuschließen, berichtete Klopp: "Da können sich die Jungs aber freuen, die ihn verpflichten." Ein Probetraining sei nun ganz und gar überflüssig, das Video vom Real-Spiel reiche als Bewerbungsunterlage vollkommen aus.

Nur ein Vorwurf bleibt

So viel Lob, dabei wurden die Leistungen des herausragenden zweifachen Torschützen Marco Reus oder der kaum weniger überzeugenden Hummels, Lewandowski oder Weidenfeller, der einen Handelfmeter entschärfte, gar nicht erst thematisiert.

Und dann war da ja auch noch Henrich Mkhitaryan. Dem bescheinigte Klopp ein "überragendes Spiel mit Momenten, die die meisten Menschen, die Fußball spielen, schon erlebt haben". Der Trainer hielt ein Plädoyer für den hochveranlagten Techniker, der regelmäßig daran scheitert, sein Spiel zu veredeln. Klopp appellierte an die Journalisten, nun nicht den Stab über den Mittelfeldspieler zu brechen. Stattdessen fände er es "extrem cool, dieses Spiel als Ganzes zu betrachten und nicht an vergebenen Torchancen aufzuhängen".

Wie es um das Seelenleben von Dortmunds traurigem Held bestellt war, blieb unergründlich. Mkhitaryan verließ seinen Arbeitsplatz, ohne sich zum Spiel zu äußern.

An diesem denkwürdigen Europapokal-Abend muss sich der BVB tatsächlich nur den Vorwurf machen, die Möglichkeiten nicht besser genutzt zu haben. Die immense Reputation, die sich der BVB mit seinen Auftritten in Europa erworben hat, wächst dagegen durch die wuchtige und couragierte Vorstellung gegen Real weiter.

Zu Recht werden die Dortmunder nun wieder im In- und Ausland für den Erlebnisfußball gefeiert, den sie an ihren großen Abenden auf den Rasen zaubern können: großer Kampfgeist, riesiges Laufpensum und ein Wille, der Berge versetzen kann.

Er sei "sehr stolz auf das Bild, das Borussia Dortmund heute Abend abgegeben hat", betonte Klopp, bevor er in der Nacht verschwand: "Unter einer Million Möglichkeiten auszuscheiden", so die Überzeugung des Trainers, "war das hier die Beste."

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