Sogar Prinz William, dessen Wünsche als Thronfolger von König Charles in der britischen Monarchie normalerweise immer erfüllt werden, konnte am Dienstagabend nichts bewirken. Er war als Zuschauer, gemeinsam mit seinem ältesten Sohn, in einer Ehrenloge des Stadions Villa Park genauso auf die Fußballgötter angewiesen wie alle anderen Fans des Aston Villa Football Club. Und er bewies, dass auch die zurückhaltenden Royals Emotionen zeigen können. Den Kronprinzen wühlte das erste Viertelfinale seines Vereins in der Champions League derart auf, dass man sich fast Sorgen machen musste, die Leibwächter könnten ihm im Namen des Vereinigten Königreichs als gesundheitliche Vorsichtsmaßnahme verbieten, das Rückspiel gegen Paris Saint-Germain weiterzuverfolgen.
William, 42, gestikulierte, schimpfte, klatschte, jubelte, hoffte und zitterte, genau in dieser Reihenfolge – und schien dann nach Abpfiff ein paar bittere, aber stolze Tränen zu weinen. Die Gefühlslage des prominentesten Zeitzeugen war nach dem Ausscheiden Aston Villas gegen die Pariser präziser als jede Analyse. Trotz des Zwei-Tore-Rückstandes aus dem Hinspiel (1:3) wäre es dem Traditionsverein aus der Birminghamer Vorstadt fast gelungen, die Gesamtwertung zu drehen und eine der größten Auferstehungen in diesem Wettbewerb hinzulegen. Dabei lag Aston Villa im Rückspiel durch weitere Gegentreffer von Achraf Hakimi (11. Minute) und Nuno Mendes (27.) bereits zusammengerechnet 1:5 hinten. Wobei man dem gewieften Europapokal-Trainer der Villans, Unai Emery, 53, wahrscheinlich sogar zutrauen durfte, einen solchen Zwischenstand eventuell einkalkuliert zu haben, um die Pariser vermeintlich in Sicherheit zu wiegen.

FC Bayern vor dem Rückspiel in Mailand:Im Notfall geht’s über die Seufzerbrücke
Der FC Bayern hofft im Viertelfinal-Rückspiel in Mailand auf die Qualitäten seines breiten Kaders. Für den Fall eines Ausscheidens aus der Champions League bereitet der Klub aber schon mal eine gute Geschichte vor.
Nachlässigkeit wollten die Gäste zwar unbedingt vermeiden, nachdem sie vor acht Jahren mal – unter dem damaligen Trainer Emery – durch ein beispielloses 1:6 gegen den FC Barcelona einen 4:0-Hinspielsieg versenkt hatten. Aber was sollte diesmal schiefgehen, wo nur noch eine Stunde zu spielen gewesen war? In ähnlicher Vorstellung kickten die Pariser vor sich hin. Die Villans hingegen zeigten eine starke Mentalität und gewannen tatsächlich noch 3:2 durch Tore von Youri Tielemans (34.), John McGinn (55.) und Ezri Konsa (57.). Doch ein vierter Treffer, der die Verlängerung eingebracht hätte, folgte nicht.
Um erneut in der Champions League antreten zu müssen, benötigt Aston Villa eine Steigerung in der Premier League
Bei jeder verpassten Chance sank Emery auf die Knie und dann auf den Bauch, sodass es wirkte, er würde die Schlussphase mehr liegend als stehend verfolgen. Entweder scheiterte Villa am PSG-Wachturm Gianluigi Donnarumma, an den eigenen Nerven oder in der Nachspielzeit an dem auf der Linie rettenden Abwehrspieler Willian Pacho. Dass Prinz William nicht auch den Emery machte, lag vermutlich daran, dass es auf der Tribüne so eng zuging, dass er gar nicht umfallen konnte.
„Heiroic failure“, heroisches Scheitern, wortspielte die Boulevardzeitung Sun mitleidig amüsiert – „heir“ heißt im Deutschen Erbfolger. Er sei auf alles stolz, was man geleistet habe, sagte Emery gerührt. Es sei nun das Wichtigste, sich abermals für die Champions League zu qualifizieren. Dafür muss Villa einen der ersten fünf Tabellenplätze in der Premier League belegen, derzeit steht Villa mit einem Punkt hinter dem Fünften Manchester City auf Platz sieben. Letztmals hatten die Villans vor 42 Jahren an der Königsklasse teilgenommen, damals als Titelverteidiger, nachdem man den FC Bayern im Finale 1982 besiegt hatte.

In einem Einspielfilm auf den Stadionmonitoren vor dem Einlaufen der Mannschaften erinnerte der Verein an die eigenen Goldgräberjahre. Der Motivationsstreifen endete mit einer legendären Aussage des damaligen Villa-Bosses Ron Saunders, der den Zweiflern an seinem Team vor dem Meisterschaftsgewinn 1981 Folgendes erwidert hatte: „Wollt ihr gegen uns wetten?“ Diese Botschaft wirkte wie ein passendes Motto für diesen Abend. Mit einer riesigen Choreografie trieben die Fans ihr Team zusätzlich an. Darauf zu sehen waren die berühmten Eisentore vor dem Holte End – so ist eine Tribüne nach dem früheren Besitzer Thomas Holte benannt. Dazu waren zwei Löwen mit aufgerissenem Mund abgedruckt, das Klubemblem, sowie der Schriftzug: „This is Villa Park.“
Den Parisern bot sich tatsächlich ein wenig gastfreundliches Ambiente aus rauen Stahltribünen, einem ungemütlichen Sturmregen und Furcht einflößender Lautstärke. Dass versehentlich sogar die Hymne der Europa League statt der Champions League erklungen war, verstärkte den Eindruck, dass an der Trinity Road an diesem Abend alles denkbar war. Die Villans griffen in der Analogie des Löwen mit Kraft und Wucht an, PSG versuchte dem offenen Schlagabtausch zu entkommen. Die Pariser kombinierten zunächst schnell, doch dann packten die Krallen des Löwen zu, bekamen die Beute aber nicht ganz zu fassen. PSG sei „durch ein Mauseloch entkommen“, pustete die französische Sportzeitung L’Équipe erleichtert durch.
In drei von sieben Fällen hatte PSG zuletzt in der Champions League einen Vorsprung von mindestens zwei Toren eingebüßt. Es wäre die nächste fürchterliche Fata Morgana für den aus dem Wüstenregime Katar alimentierten Verein gewesen, der sich seit dem Einstieg der Investoren im Jahr 2011 immer in Sichtweite des Henkelpokals wähnte. Im Vergleich zu den anderen Versuchen hat diese Elf Charisma. Sie ist so sehr auf einen beweglichen Ballbesitzfußball von Trainer Luis Enrique getrimmt, dass sie diesen selbst gegen Villa unter größter Anspannung am Ende nicht vergaß. Deshalb steht die Pariser Edelfußballmanufaktur im Halbfinale der Champions League, zum vierten Mal in sechs Jahren. Man sei diesmal ein „glaubwürdiger Kandidat“ auf den Finalsieg in München am 31. Mai, befindet die Tageszeitung Parisien.
Für das große Comeback hat es für Aston Villa knapp nicht gereicht. Aber die BBC rief dem Verein zu, dass diesmal „in der Enttäuschung der Ruhm gelegen“ habe. So dürfte das auch Prinz William gefühlt haben.