Champions League:Alles muss fließen

Hätte es mit der Trainerkarriere nicht geklappt, wäre Leonardo Jardim wohl Meeresbiologe geworden. Nun will er mit dem AS Monaco ein 3:5 gegen Manchester City aufholen.

Von Oliver Meiler

Ökologie ist kein Begriff, den man gemeinhin mit Fußball assoziiert. Die meiste Zeit findet Fußball im Freien und auf einem rechteckigen Stück Natur statt, ganz ohne Motoren, da muss man sich um die direkten Folgen für die Umwelt keine allzu großen Sorgen machen. Leonardo Jardim spricht dennoch gern von "Ökosystemen", von "Biotopen" und seiner "ökologischen Methode". Der portugiesische Trainer der AS Monaco behilft sich so oft mit scheinbar artfremden Konzepten, dass er mittlerweile als Intellektueller seiner Gilde gilt. Im Fußball, sagte Jardim der Zeitung Le Monde unlängst, sei es wie bei einem Fluss: "Wenn du den pH-Wert des Wassers veränderst, tötest du das ganze Ökosystem: Die Fische, die Algen, alles stirbt." Es wird gleich noch die Rede davon sein müssen, was er damit genau meint.

Jedenfalls ist es so, dass Monaco, will es an diesem Mittwoch das Achtelfinale in der Champions League gegen Manchester City überstehen, eine Elf benötigt, in der sich die Spieler wie Fische im Wasser fühlen. Möglichst alle. (Die Algen lassen wir der Einfachheit halber mal beiseite.) Im Hinspiel in Manchester verlor der Klub von der Riviera in einem furiosen, fröhlich frivolen Spiel 3:5. Im kleinen Stade Louis II. ist deshalb schon etwas Größeres nötig, damit es dennoch reicht.

Vor einigen Tagen sagte Jardim, er glaube an die "Remontada", die Aufholjagd, die Differenz betrage ja nur zwei Tore. Er sagte tatsächlich "Remontada", eine Anspielung auf Barças Aufholjagd gegen Paris Saint-Germain, Monacos Rivalen in der französischen Liga. Der Verweis darauf, wie jüngst dem 4:0 von Paris das 1:6 in Barcelona folgen konnte, war natürlich ein Seitenhieb. Monaco führt Frankreichs Ligue 1 an, das blasierte Paris ist Zweiter mit drei Punkten Rückstand. Jardim ist gerade dabei, die fix gewähnte Hierarchie auf den Kopf zu stellen. Und das ist eine mittlere Sensation.

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Wechselte von Sporting Lissabon nach Monaco: Leonardo Jardim, 42.

(Foto: Valéry Hache/AFP)

Als er vor bald drei Jahren von Sporting Lissabon zur Association Sportive Monaco wechselte, waren in Frankreich alle überrascht. Kaum jemand kannte den damals erst 39 Jahre alten Jardim, der offenbar auch für die russischen Besitzer des Vereins nur zweite oder dritte Wahl gewesen war. Sehr nett wurde er nicht empfangen in Frankreich. Satiriker belächelten ihn wegen seines markanten Akzents. Man stellte ihn hin, als wäre er ein Bauarbeiter aus Portugal, der sein Glück im wohlhabenderen, nördlicheren Europa suchte. Dazu schien zu passen, dass er auch am Spieltag nicht im feinen Zwirn auftrat, sondern im Trainingsanzug aus Polyester.

Nun reden sie anders über ihn, respektvoller, ehrentbietend. Jardim wird umgarnt, unter anderem soll auch der FC Arsenal an ihm interessiert sein. Wahrscheinlich wird ihm heuer auch die Auszeichnung zum besten Coach der Ligue 1, die er noch nie erhalten hat, nicht zu nehmen sein. Monaco spielt so torreich-unterhaltsam wie kein anderer Verein in Europa und ist zudem noch überall dabei: in der Champions League, in beiden nationalen Pokalbewerben, im Rennen um die französische Meisterschaft - etwas davon wird er ja wohl gewinnen. Was es auch wäre: Es wäre der erste Titel in Leonardo Jardims gesamter Laufbahn als Trainer. Und das ist schon ein bisschen erstaunlich, er ist nämlich schon sehr lange Trainer.

Man hört, Jardim sei zwar obsessiv methodisch, doch er rede immer ruhig, er brülle nie

Jardim, geboren in Venezuela, aufgewachsen auf der heimatlichen Insel Madeira in den Azoren, wo seine Eltern ein Restaurant betrieben, gehört zur recht zahlreichen Kompanie portugiesischer Trainer, die selbst keine oder nur eine bescheidene Karriere als Aktivspieler erlebt haben. Andere, noch bekanntere Namen sind José Mourinho von Manchester United oder André Villas-Boas, bekannt von Tottenham Hotspur, heute tätig in Shanghai. Würde man die Anzahl der Einwohner Portugals mit der Dichte an Profitrainern hochrechnen, käme wohl heraus, dass kein Land proportional mehr Fußballlehrer in die Welt schickt als eben das kleine Portugal: 250 sind es. Jardim soll schon als Teenager davon geträumt haben, an der Seitenlinie zu stehen. Seine erste Übungsleitung versah er bei einer Handballmannschaft. Er studierte Sport an der Uni in Funchal, erwarb danach alle Trainerscheine.

Mit 27 war er Trainer eines Teams in der dritten Division Portugals. Die ersten Erfolge feierte er einige Jahre später mit dem kleinen SC Braga, den er für die Champions League qualifizieren konnte. 2012 übernahm er den griechischen Traditionsverein Olympiakos Piräus, wo zunächst alles wunderbar lief: Zur Hälfte der Saison war man Tabellenführer mit zehn Punkten Vorsprung. Doch dann entließ ihn der Verein unter mysteriösen Umständen, über Nacht. Herumgereicht wurde das Gerücht, Jardim habe eine Affäre mit der Frau des Präsidenten gehabt. Später dementierten alle Seiten. Jardim kehrte zurück in die Heimat, zu Sporting, dem Klub seiner Jugendträume, und führte den ewigen Dritten der portugiesischen Rangordnung - hinter Benfica und Porto - auf Rang zwei. Der Anruf aus Monaco war wohl ein Zeichen der Anerkennung.

Manchester City's Leroy Sane shoots at goal

Wirbelte den Monaco-Biotop gewaltig durcheinander: Manchesters deutscher Nationalspieler Leroy Sané erzielte das letzte der fünf Hinspiel-Tore für ManCity.

(Foto: Darren Staples/Reuters)

Die Anfänge waren schwierig. Man hielt Jardim vor, er gebe einen zu defensiven Fußball vor. Er versuchte, der Kritik mit Philosophie zu begegnen, im Wortsinn: mit Zitaten aus dem Werk von Edgar Morin, dem französischen Denker, das er offenbar ganz gelesen hat. Von Morin, 95 Jahre alt, ist nicht überliefert, dass er sich für Fußball interessiert. Jardim bezog aus Morins Arbeit dennoch die Erkenntnis, dass ein Fußballteam, wie andere Phänomene, ein komplexes System bildet, das man als solches wahrnehmen und analysieren soll. Insgesamt also, oder wie der Wissenschaftler sagen würde: holistisch. "Du kannst das ganze System einer Mannschaft zerstören, wenn du ihr zum Beispiel zu viel Körpertraining aufträgst", sagt Jardim. Alles müsse ineinander fließen, gut dosiert, fein austariert. Der pH-Wert.

Jardim beschäftigt einen Stab von Mitarbeitern, der mit GPS jede Übungseinheit aufzeichnet und alle Daten seziert, damit die Mischung stimmt. Man hört, er sei zwar obsessiv methodisch, doch mit seinen vielen jungen Spielern rede er immer ruhig, er brülle nie. Jardim sagt, er sei mal Freund, mal Vater. Fürs Klima im Team. Die Allegorie mit dem Fluss, den Fischen und Algen kommt übrigens nicht von ungefähr. Jardim sagte einmal, wenn es mit der Trainerkarriere nicht klappe, werde er Meeresbiologe.

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