Champions League:Sieht aus wie ein Tor, ist aber keines

Champions League: Die Szene, die zum Videoentscheid führte: Nicolas Tagliafico (in Weiß-Rot, Mitte) köpfelt ins Tor. Doch das 1:0 für Ajax zählt nicht, weil Mitspieler Tadic im Abseits stehend den Real-Torwart Courtois behindert.

Die Szene, die zum Videoentscheid führte: Nicolas Tagliafico (in Weiß-Rot, Mitte) köpfelt ins Tor. Doch das 1:0 für Ajax zählt nicht, weil Mitspieler Tadic im Abseits stehend den Real-Torwart Courtois behindert.

(Foto: Olaf Kraak/AFP)
  • Durch das 2:1 bei Ajax Amsterdam im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League hat Real Madrid gute Chancen auf den Viertelfinaleinzug.
  • Das Team aus Madrid profitiert vom erstmaligen Einsatz des Videoassistenten in einem Spiel der Königsklasse.
  • Hinterher geht es auch um die Frage, ob Reals Innenverteidiger absichtlich eine gelbe Karte kassiert hat, um so schon im Rückspiel eine Gelbsperre absitzen zu können.

Von Javier Cáceres

In der 88. Minute stellte der Kapitän von Real Madrid die Zuschauer in Amsterdam vor ein Rätsel. Sergio Ramos foulte seinen Ajax-Gegenspieler Kasper Dolberg an der Mittellinie des Johan-Cruyff-Stadions so aufreizend, dass sich sofort die Frage aufdrängte: Hat er die daraus resultierende gelbe Karte nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern absichtlich provoziert, um damit eine Gelbsperre à la carte zu erreichen?

Real hatte nach Toren von Karim Benzema (60.) und Marco Asensio (87.) sowie einem Gegentreffer von Hakim Zyech (75.) bereits das etwas schmeichelhafte Ergebnis von 2:1 hergestellt. Reals Chancen auf den angestrebten Viertelfinal-Einzug sind damit ziemlich groß - was wiederum bedeutete, dass sich für Ramos nun eine ideale Gelegenheit bot, alles zu tun, um eine drohende Gelbsperre im Rückspiel abzusitzen; nach zwei Verwarnungen muss man in der Champions League ja einmal aussetzen. Danach aber wurde Ramos zum Verhängnis, dass er mitunter das Herz auf der Zunge trägt.

"Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht so war. Manchmal muss man Entscheidungen treffen", sagte der Innenverteidiger nach seinem 600. Pflichtspiel für Real Madrid, als er, noch erregt vom Spiel, den Fernsehreportern Rede und Antwort stand. Wenig später, als er bei den Radioreportern angekommen war, relativierte Ramos dies, offensichtlich auf Betreiben der Kluboberen. Der Grund: Aus jüngeren Präzedenzfällen, die unter anderen Carvajal, Xabi Alonso und Ramos selbst betrafen, weiß man, dass der europäische Fußballverband Uefa dazu neigt, die automatische Gelbsperre (ein Spiel) um eine zusätzliche Partie zu erhöhen, wenn ein Fußballer eine gelbe Karte absichtlich provoziert hat. Sollte die Uefa sich wieder unerbittlich zeigen, müsste Ramos nicht nur im Rückspiel gegen Ajax zuschauen, sondern auch in einem möglichen Viertelfinal-Hinspiel.

Dass Real nach der Rückkehr zur Wiege seines neuzeitlichen Erfolgszyklus (1998 holte Spaniens Rekordmeister in Amsterdam den siebten seiner 13 Königsklassen-Titel) die Niederlande optimistisch verlassen durfte, lag an vor allem an der Unbedarftheit der jungen Ajax-Elf - und am erstmaligen Einsatz des Videoschiedsrichters (VAR) in der Champions League, der zu Gunsten von Real ausfiel. Ajax hatte den Titelverteidiger mit juvenilem Enthusiasmus, Spielwitz und famoser taktischer Ausrichtung lange an die Wand gespielt, aber darunter gelitten, dass im Angriff nur "Papierflieger" aufgeboten waren, wie die Zeitung El Mundo Deportivo feststellte. Hinzu kam: In der 27. Minute pfiff der Referee wegen zweifelhafter Abseitsstellung einen Ajax-Konter zurück. Und in der 38. Minute kam es für Ajax noch ärger.

Nach einer Ecke hatte Real-Torwart Thibaut Courtois einen Kopfball von Matthijs De Ligt nicht unter Kontrolle gebracht; den Abpraller köpfelte Verteidiger Nicolás Tagliafico ins Tor, der herausstürzende Courtois stieß mit Ajax-Stürmer Tadic zusammen. Kein Real-Spieler protestierte, nicht mal Courtois. Dann aber wurde Schiedsrichter Damir Skomina (Slowenien) von Videoassistent Szymion Marciniak (Polen) per Funk kontaktiert. Skomina, der den ursprünglich für die Spielleitung vorgesehenen Marciniak ersetzte, sah sich die Szene am Bildschirm an und annullierte das Tor - weil der im Abseits gestandene Tadic Torwart Courtois behindert habe.

Real hält den Belastungen des Spielplans erstaunlich gut stand

Eine richtige Entscheidung? Im Studio des Radiosenders Onda Cero saß der frühere Real-Held Bernd Schuster - und war außer sich. Das Tor sei "groß wie eine Kathedrale" gewesen, sagte er, was so viel heißen sollte wie: blitzsauber. Bei Ajax war man ähnlich pikiert, aber diplomatisch. Fair sei das nicht gewesen, fand Trainer Erik ten Hag und wunderte sich, dass ihm die Schiedsrichter erklärten, dass es Abseits oder Torwart-Behinderung gewesen sei oder eine Mischung aus beidem. Die Uefa twitterte rasch, dass das Tor korrekterweise annulliert worden sei, die Protokolle seien richtig angewendet worden. Beim Kopfball Tagliaficos habe Tadic im Abseits gestanden und ins Spiel eingegriffen.

Dessen ungeachtet waren sogar Zeitungen aus Madrid skeptisch: As schrieb von einem Treffer aus der Grauzone, El País von einem "Tor, das aussah wie ein Tor". In Barcelonas Gazetten war man weniger zurückhaltend. Mit Blick auf die Polemiken vom Derbysieg Reals bei Atlético am vorigen Samstag schrieb El Mundo Deportivo: "Noch eine VAR-Hilfe für Madrid."

Als sportliches Fazit des Abends aber bleibt: Real hält den Belastungen des Spielplans erstaunlich gut stand. Den Siegen bei Atlético und Ajax war ein respektables 1:1 beim FC Barcelona im spanischen Pokal vorangegangen - auch wegen der immer besseren Form des brasilianischen Offensivspielers Vinicius Júnior. Der 18-Jährige war auch bei Ajax der auffälligste Akteur und bereitete das 1:0 von Benzema glänzend vor. In den nächsten Wochen stehen nun weitere Herausforderungen an, Barcelona gastiert gleich zweimal im Bernabéu-Stadion, zudem muss die Sache gegen Ajax in trockene Tücher gebracht werden.

Und zwar ohne Sergio Ramos, der - schlechtes Vorzeichen - auch 2018 im zweiten Viertelfinal-Spiel gegen Juventus Turin gelbgesperrt gefehlt hatte. Nach einem 3:0-Sieg in Italien musste Real ohne Ramos im Rückspiel bis zur letzten Minute zittern, weil Juve überraschend auswärts 3:0 in Führung ging - bis Ronaldo für Real erlösend traf.

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