Cathy Freeman bei Olympia 2000:Die Läuferin, die so viel auf ihren Schultern trug

OLYMPICS ATHLETICS 400M FINAL, (RUN219) 25th September, 2000. Sydney Olympic Games, Olympische Spiele, Olympia, OS Athl; Cathy Freeman

Das Gesicht der Spiele von Sydney im Jahr 2000: Cathy Freeman.

(Foto: imago images/AAP)

Vor 20 Jahren gewinnt Cathy Freeman bei Olympia in Sydney Gold über 400 Meter. Nie hat ein Sieg ihrer Heimat Australien mehr bedeutet.

Von Joachim Mölter

Die Frühlingsabende im September des Jahres 2000 waren noch frisch und kühl, zumindest für die Leichtathleten mit ihren empfindlichen Muskeln, die damals gerade auf der Südhalbkugel der Erde unterwegs waren. Nach Einbruch der Dunkelheit fielen die Temperaturen an Australiens Ostküste deutlich unter 20 Grad, auch deshalb war die einheimische Sprinterin Cathy Freeman in einen Ganzkörperanzug geschlüpft, grün-silbrig, mit Kapuze. Nur die Finger schauten heraus, und natürlich das Gesicht. Das Gesicht der Olympischen Spiele von Sydney 2000.

An diesem Freitag jährt sich das 400-Meter-Finale der Frauen, zu dem Cathy Freeman antrat, zum 20. Mal. "Wenn sie dieses Rennen gewinnt", hatte ihr ehemaliger Manager und Lebensgefährte Nick Bideau prophezeit, "wird man in Australien noch in zwanzig Jahren davon reden. Vielleicht ewig." Wer im Stadion gewesen ist, als Cathy Freeman dieses Rennen gewann, wird sich jedenfalls bis ans Ende seiner Tage daran erinnern. In weniger als einer Minute entlud sich ein Druck, der sich über Jahre hinweg aufgebaut hatte. Seit Sydney den Zuschlag für die Sommerspiele erhalten hatte, 1993, und seit Cathy Freeman auf der internationalen Bühne aufgetaucht war, ein Jahr später.

Sie hatte auch einen politischen Auftrag

Die Frau aus der Kleinstadt Mackay im Bundesstaat Queensland hatte die Hoffnung ihrer Landsleute stetig geschürt, als Olympiazweite von Atlanta 1996, als Weltmeisterin von Athen 1997 und Sevilla 1999. Das hätte schon gereicht, um als große, wenn nicht größte Goldhoffnung ihres Landes in die Heimspiele von Sydney zu gehen. Aber dann wurden die Erwartungen bei der Eröffnungsfeier noch gesteigert.

Weil das Internationale Olympische Komitee die Sommerspiele 2000 den Frauen gewidmet hatte, die 100 Jahre zuvor erstmals mitmachen durften, hatten die Organisatoren fünf frühere Olympiasiegerinnen Australiens als Fackelträgerinnen auf die letzte Stadionrunde geschickt: die Leichtathletinnen Shirley Strickland, Betty Cuthbert und Debbie Flintoff-King, dazwischen die Schwimmerinnen Dawn Fraser und Shane Gould. Am Ende dieses Staffellaufs tauchte zum Erstaunen aller in der Arena und vor den Bildschirmen dann Cathy Freeman aus dem Dunkel der Nacht auf, um die Flamme in Empfang zu nehmen und das Olympische Feuer zu entzünden. Die Botschaft verstand jeder: Jetzt war sie an der Reihe, den Reigen der Olympiasiege fortzusetzen.

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Entzündet die Flamme: Cathy Freeman bei Olympia 2000

(Foto: imago/Action Plus)

Cathy Freeman sollte ihrem Land Gold bescheren, mindestens, eher mehr. "Unsere Cathy trägt nicht nur die sportlichen Hoffnungen der Nation", so erinnerte die Zeitung Sydney Morning Herald die 19 Millionen Australier am Finaltag, "sondern auch einen politischen Auftrag." Eine schwere Last für eine nur 1,65 Meter große Frau, die von den australischen Ureinwohnern abstammt, den jahrhundertelang entrechteten und unterdrückten Aborigines. Freeman hat ihre Wurzeln stets gepflegt. Als sie 1994 bei den Commonwealth Games ihren ersten Titel gewann, nahm sie zwei Flaggen mit auf die Ehrenrunde - die australische und die der Aborigines. Diese besteht aus drei Farben: rot für die Erde, gelb für die Sonne, schwarz für die Menschen. Das gab zunächst Ärger, aber vor Sydney galt Freeman dann als Integrationsfigur, Symbol eines multikulturellen Landes. "Sie läuft für ein ausgesöhntes Australien", formulierte der Sydney Morning Herald.

Cathy Freeman hält dem Druck stand

Erst einmal war sie freilich dem Rummel davongelaufen, der sich in ihrer Heimat zusammenbraute: Auf die Spiele bereitete sie sich in den USA und in Großbritannien vor. In den Olympiatagen nahm der Trubel um den 400-Meter-Lauf der Frauen dann so absurd zu in Australien, dass ihre vermeintlich größte Rivalin, die Französin Marie-José Perec, entnervt aufgab: Die Olympiasiegerin von 1996 floh noch vor dem Vorlauf aus Australien, weil sie die Fragerei nach dem Duell nicht mehr aushielt.

Cathy Freeman hielt dem Druck stand. Und weil die Atmosphäre im vollbesetzten Stadion schon im Vor- und im Zwischenlauf und dann auch im Halbfinale bereits ohrenbetäubend laut war und täglich lauter wurde, war der Ganzkörperanzug, den sie fürs Finale überzog, wohl auch ein Schutz vor der Außenwelt. Wobei die damals 27-Jährige vor dem Finale berichtete, dass es eine ihre Stärken sei, beim Rennen alles ausblenden und sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können: "Auf die Bahn vor mir, auf die Kommandos des Starters. Alles andere verschwimmt irgendwie, als wäre es Gelee."

Als der Starter die acht Finalistinnen schließlich ins Rennen geschossen hatte, prasselten Blitz und Donner von den Tribünen herab. Die Lichter ungezählter Fotoapparate funkelten wie Sterne am Firmament und leuchteten den Weg aus; das Anfeuerungsgeschrei von 112 000 Zuschauern wuchs an wie eine Welle, auf der die Läuferinnen scheinbar schwerelos um die Bahn surften. Und als Cathy Freeman dann bloß als Dritte auf die Zielgerade einbog, schwoll der Lärm an bis zu einem infernalischen Tsunami, der sie doch noch als Erste ins Ziel trug. In Schuhen, die in drei Farben zusammengenäht waren: rot, gelb, schwarz.

Es dauerte eine Weile, bis das Gelee vor Cathy Freemans Augen wich, bis sie aus ihrer Trance erwachte und wieder zu sich kam. Sie streifte die Kapuze ab, nicht nur das war eine Erleichterung. Sie hatte ihre Mission erfüllt, sie hatte eine Goldmedaille gewonnen, Australiens 100. Goldmedaille in der Geschichte Olympias. Ihr Gesicht, das Gesicht dieser Spiele 2000, es lächelte. Selbst Jahre später lief es Cathy Freeman kalt den Rücken hinunter, wenn sie an diesen kühlen Frühlingsabend im September denkt: "Noch heute habe ich das Gefühl, als könnte ich die Energie dieses Moments spüren."

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