Fall Caster Semenya:Der Sport muss Antworten finden

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WM-Start in der Leichtathletik ungewiss: Caster Semenya. (Foto: AFP)

Der Fall der Südafrikanerin berührt eine Kernfrage der heutigen Gesellschaft: die Integration. Wie viel Rücksicht muss die Mehrheit nehmen auf eine Minderheit, und sei sie noch so klein?

Kommentar von Joachim Mölter

Auf den Laufbahnen dieser Welt ist die Südafrikanerin Caster Semenya zuletzt von Sieg zu Sieg geeilt, mehr als 30 Mal nacheinander hat sie auf ihrer Paradestrecke über 800 Meter gewonnen. Ihren WM-Titel wird die 28-Jährige Ende September in Doha trotzdem nicht verteidigen können. Denn vor Gericht kassiert sie derzeit eine Niederlage nach der anderen - die jüngste hält sie nun wohl endgültig von einem Start in Katars Hauptstadt ab.

Das Schweizer Bundesgericht hat am Dienstag eine vorläufige Entscheidung zugunsten Semenyas wieder aufgehoben; auch für sie gilt künftig die sogenannte Testosteronregel des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Der versucht damit seit dieser Saison, auf Menschen zu reagieren mit Differences of Sex Development, kurz: DSD, einer außergewöhnlichen Geschlechtsentwicklung. Nach Ansicht der IAAF dürfen die betreffenden Athleten über Distanzen zwischen 400 Meter und einer Meile (1609 Meter) aus Gründen der Chancengleichheit nur dann bei den Frauen starten, wenn sie ihren erhöhten Testosteronwert mittels Medikamenten senken, auf maximal fünf Millimol Testosteron pro Liter Blut. Eine Klage Semenyas gegen diese Regel hat der Internationale Sportgerichtshof (Cas) im Frühjahr bereits abgewiesen.

Fall Semenya
:Schweizerisches Bundesgericht kippt Aufhebung der Testosteron-Regel

Damit wird die zweimalige Olympiasiegerin bei der WM in Doha ihren Titel über 800 Meter wohl nicht verteidigen können.

Es ist ein komplizierter, hochkomplexer Fall, der die Sportwelt weiterhin beschäftigen wird. Der Cas hatte ja durchaus Bedenken - und die IAAF deshalb explizit angewiesen, die Regel als "lebendiges Dokument" zu begreifen, die Rahmenbedingungen also immer wieder zu überprüfen. Und Caster Semenya und ihre Anwälte haben angekündigt, ihren "Kampf für die Menschenrechte aller betroffenen Sportlerinnen fortzusetzen", also weiter gegen die in ihren Augen diskriminierende Regel vorzugehen.

Semenya will als Frau anerkannt werden

Caster Semenya möchte uneingeschränkt als Frau anerkannt werden (und als solche starten), aber sie ist offensichtlich ein genetischer Ausnahmefall; aus den Prozessakten geht hervor, dass sie einen 46 XY-Chromosomensatz hat sowie im Körperinneren liegende Hoden. Menschen mit solchen intersexuellen oder hyperandrogenen Veranlagungen sind selten, im Spitzensport aber überproportional häufig zu finden. So gelten alle Medaillengewinnerinnen von Olympia 2016 in Rio über 800 Meter als solche: Semenya, Francine Niyonsaba (Burundi), Margaret Wambui (Kenia). Die beiden Letztgenannten sind seit Inkrafttreten der IAAF-Regel nicht mehr bei Wettkämpfen gestartet. Es ist jedenfalls kein Wunder, dass die große Mehrheit der herkömmlich veranlagten Sportlerinnen fürchtet, abgehängt zu werden, wenn sie nun gegen immer mehr Konkurrenz mit scheinbar männlichen Merkmalen antritt.

Insofern berührt der Fall über den Sport hinaus eine Kernfrage der heutigen Gesellschaft - die Integration. Wie viel Rücksicht muss die Mehrheit nehmen auf eine Minderheit, und sei sie noch so klein? Und wie sehr muss sich eine Minderheit den bestehenden Regeln anpassen und sich einfügen?

Der Sport, der sich gern seiner integrativen Kraft rühmt, muss Antworten auf diese Fragen finden. Sicher ist bislang nur: Die Antworten werden nicht allen Beteiligten gefallen. Und sie werden nie allen Seiten gerecht.

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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