Zum Tod von Amadeo Carrizo:Argentiniens Manuel Neuer

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Torwart Amadeo Carrizo (l., neben Uwe Seeler) bei der WM 1958. Argentinien verlor das Spiel gegen Deutschland mit 1:3.

(Foto: Ferdi Hartung/imago)

Ballannahme mit Brust und Fuß, Dribblings, lange Pässe: Amadeo Carrizo galt als erster spielender Torwart der Welt. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.

Nachruf von Javier Cáceres

Ubaldo "El Pato" Fillol sagt, dass er sich seit gut einer Woche in seinen Geburtsort San Miguel del Monte zurückgezogen habe, einen Ort in der Provinz Buenos Aires. Seit gut einer Woche deshalb, weil sich abzeichnete, was nun fast überall auf der Welt gilt: Distanzwahrung als oberstes Gebot, Quarantäne.

Es gebe dort viel Ruhe, sagt Fillol, 69 und Torwart der argentinischen Weltmeistermannschaft von 1978. Dies lasse Momente der Einkehr zu, um in eine unsichtbare "Schatztruhe" zu blicken, wie er ins Telefon sagt. Den Schlüssel zu dieser Truhe trage er im Herzen - und sie habe einen einzigen Inhalt: ein Gespräch über das Leben eines Torwarts, das er einst führte mit Amadeo Carrizo, dem legendären Torhüter von CA River Plate, der am 20. März im Alter von 93 Jahren verstarb. "Das ist mir so wichtig, dass ich es nicht teilen mag, verzeihen Sie", sagt Fillol ins Handy.

Zum Tod von Amadeo Carrizo: Amadeo Carrizo besuchte 2016 das Spiel von River Plate um die Recopa Sudamericana, dem südamerikanischen Pendant zum Uefa Super Cup. Die Argentinier gewannen den Pokal.

Amadeo Carrizo besuchte 2016 das Spiel von River Plate um die Recopa Sudamericana, dem südamerikanischen Pendant zum Uefa Super Cup. Die Argentinier gewannen den Pokal.

(Foto: AFP)

Schon zu Lebzeiten durfte Amadeo Carrizo in der Zeitschrift El Gráfico über sich lesen, dass er "ein Meister ohne Epoche" sei. Denn sein Spielstil war Zeitspannen überdauernd überragend: "Amadeo war der erste Torwart mit einem anderen, sehr persönlichen Stil", sagt Fillol, der ebenfalls bei River Plate zu einem unvergänglichen Mythos und 1978 im eigenen Land Weltmeister wurde - mit einer ähnlich überragenden Leistung wie vier Jahre zuvor in Deutschland ein von ihm verehrter Kollege, den Fillol direkt erwähnt: "Wie geht es Sepp Maier? Er war für mich der beste deutsche Torwart, den ich je gesehen habe." Carrizo, sagt die Sportliteratur, war anders als Maier: "Der erste spielende Torwart", weiß Fillol.

Carrizo wurde in einem sagenhaften Fußball-Umfeld erwachsen

Hört man Schilderungen über Carrizo, sieht man Manuel Neuer vor sich. Carrizo war einer der ersten Torhüter, die Handschuhe trugen (vom legendären Russen Lew Jaschin bekam er ein Paar geschenkt, als Zeichen der Anerkennung). Doch er nahm den Ball gerne mit dem Fuß an, mit der Brust, spielte lange Pässe, dribbelte Gegner aus, um Konter einzuleiten.

"Früher spielten die Mannschaften mit zehn Spielern und einem Torwart. Mit Carrizo und später mit Fillol und Hugo Gatti beginnt eine Zeit, in der der Fußball mit elf Spielern gespielt wird, von denen einer den Ball in die Hand nehmen darf", erklärte einmal Argentiniens Weltmeistertrainer César Luis Menotti. Carrizo selbst sagte einmal: "Die Geschichte Rivers bedurfte eines Torwarts mit dieser Übersicht."

Das stimmte sehr wohl. Carrizo wurde in einem sagenhaften Fußballumfeld erwachsen, er spielte im Nachwuchsteam mit dem inzwischen verstorbenen Alfredo Di Stéfano, und das wiederum hieß auch: im Schatten der legendärsten Generation, die River Plate je hatte: "La Máquina".

Der Respekt von Pelé

"Der Fußball gab mir die Gelegenheit, ,La Máquina' von innen zu sehen: Muñoz, Moreno, Pedernera, Labruna und Loustau, das war die Perfektion", sagte Carrizo. Er debütierte bei River 1945, wurde 1948 Stammtorwart und holte insgesamt sieben Meistertitel: 1945, 1947, 1952, 1953, 1955, 1956 und 1957. Anno 1968 blieb er 788 Minuten lang ohne Gegentor - ein Rekord, der bis ins vergangene Jahrzehnt hielt. Seine Karriere beendete Carrizo bei Millonarios Bogotá, als er bereits 44 Jahre alt und der Tag nicht mehr weit war, da der argentinische Senat seinen Geburtstag, den 12. Juni, offiziell zum "Tag des Torwarts" erklärte.

Es gab aber auch, wie bei jedem Torwart, Tage des Schattens. Carrizo kam unter anderem deshalb auf nur 24 Länderspiele, weil er nach der WM 1958 brutal kritisiert wurde. Argentinien war mit der Überzeugung nach Schweden gereist, dort Weltmeister zu werden - und scheiterte grandios. Nach einer 1:3-Niederlage gegen Deutschland und einem 3:1-Sieg gegen Nordirland kassierte Argentinien gegen die Tschechoslowakei ein 1:6 - und Carrizo wurde mit Schuld überladen.

1966 wurde ihm angelastet, im Finale der Copa Libertadores (Südamerikas Meisterpokal) nach einer 2:0-Führung eine Aufholjagd von Gegner Peñarol eingeleitet zu haben - die Uruguayer hätten gezürnt, weil er einen Ball mit der Brust abgewehrt hatte. Endstand: 4:2. Das Spiel war legendär. An diesem Tag flog ein Huhn aufs Feld. Seither heißen die River-Spieler im Volksmund "Gallinas", Hühner.

Auf die WM 1962 in Chile verzichtete Carrizo. Dafür war er 1964 Teil der argentinischen Elf, die in Brasilien den Nationencup gegen Doppelweltmeister Brasilien sowie den späteren Sieger (England) und Dritten (Portugal) der WM 1966 gewann. Carrizo hielt einen Elfmeter des Brasilianers Gérson. Der beste Spieler der Welt, Edson Arantes do Nascimento alias Pelé, hatte zur Überraschung aller den Elfmeter gemieden. Vielleicht spielte auch Respekt vor Carrizo eine Rolle, und der währte ewig: "Er war einer der besten Torhüter der Geschichte, ein Exempel zu einer Zeit, als der Fußball noch fern des Glamours von heute war", sagte Pelé, als er von Carrizos Tod erfuhr.

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