Süddeutsche Zeitung

Carina Witthöft bei den Australian Open:Wie eine Planierraupe

Sie bringt eine frische, selbstbewusste Note ins deutsche Tennis-Lager: Die 19-Jährige Carina Witthöft überrascht in Melbourne - laut Bundestrainerin Barbara Rittner hat sie "kein Limit nach oben".

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Noch ist Ferienzeit in Australien, was sich in Melbourne schon daran erkennen lässt, dass einige jener Menschenschlangen, die es an jeder Ecke gibt, noch ein paar Meter länger sind. "From the sidewalk to the catwalk", so heißt zum Beispiel eine Ausstellung in der National Gallery of Victoria unweit der berühmten Flinders Street im Zentrum der Metropole, Mode- designer Jean-Paul Gaultier zeigt Objekte seiner schrägen "Fashion World", wie es heißt, Touristen stehen für Karten gerne an.

Eine modebewusste Frau wie Carina Witthöft wird man dort aber nicht warten sehen, das steht fest. "Ich muss das Turnier-Feeling die ganze Zeit über haben", sagt die 19-Jährige aus Wentorf bei Hamburg, und deshalb klappert sie weniger die Attraktionen der Stadt ab, sondern widmet sich - und das ist eine positive deutsche Nachricht dieser ersten Woche bei den Australian Open - einzig ihrer Profession.

Witthöft, die noch vor einem Jahr um den 200. Platz in der Weltrangliste stand und nun in die Top100 rutschen wird, steht in der dritten Runde, nach einem 6:3, 6:0-Planierraupen-Sieg gegen die überforderte Amerikanerin Christina McHale. "Ich will natürlich weit kommen", sagt Witthöft. Es ist nicht so abwegig, dass sie zumindest noch eine Runde übersteht.

Die Zuschauer raunten, als hätte Witthöft einen Elefanten im rosa Kleidchen verschwinden lassen

Wie sehr sie an den Anfängen einer offenbar aussichtsreichen Karriere steht, belegt die Problematik einer Reservierung. "Im letzten Jahr musste ich das Hotel verlassen, weil ich nur für die Zeit der Quali gebucht und dann doch das Hauptfeld erreicht hatte", verrät sie. Diesmal ist der 24. Januar der geplante Check-out-Tag; den könnte sie nur wahrnehmen, wenn sie im nächsten Match gegen die Rumänin Irina-Camelia Begu verliert.

Die Weltranglisten-42. hat Angelique Kerber zum Auftakt eine bittere Niederlage beigefügt, aber "ich denke, dass ich eine Chance habe, wenn ich mein Spiel durchziehen kann", sagt Witthöft mit einer Mischung aus Schüchternheit und Mut. Sie bringt eine frische, selbstbewusste Note ins deutsche Lager; es ist eine neue Tonlage, die dringend nötig ist, nachdem sich zuvor Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki voller Selbstzweifel verabschiedet hatten.

Klar, "ihr nützt noch die Unbeschwertheit der Unbekannten", sagt Barbara Rittner. Die Bundestrainerin kümmert sich diesmal eigens um das Talent, dessen Weg vorgezeichnet war. Tennis ist das Leben der Familie Witthöft, die Eltern betreiben zwei Tennis-Anlagen im Raum Hamburg, Vater Kai hat Carina gemanagt, ehe nun eine Agentur angeheuert wurde, Mutter Gaby trainiert sie. Und ihr Freund, der mit nach Melbourne gereist ist, hilft als Fitnesstrainer. Nur Jennifer, die Schwester, studiert, aber sie unterstützt ebenfalls das Projekt der Schwester, die mit 14 schon Hamburger Frauen-Meisterin war.

In der Nacht zum Mittwoch seien alle aus dem Familien- und Freundeskreis aufgestanden, um das Zweitrunden-Spiel zu verfolgen, "auch Oma und Opa", erzählt Witthöft und zupft wiederholt am linken Ohrring. Ihre Verblüffung über die eigene Leistung ist zu spüren, in Runde eins hatte sie die Top-20-Spielerin Carla Suarez Navarro mit zahlreichen Gewinnschlägen aus fast jeder Lage dominiert. Sie weiß, auch weil ihr das Rittner immer wieder einbläut: "Wenn du nur zehn Prozent runterfährst, kommt die Gegnerin wieder ran." Und so fährt sie kein Prozent runter, was, wie gegen McHale, teilweise spektakulär aussieht. Den Breakball zum ersten Spielgewinn im zweiten Satz verwandelte sie aus vollem Lauf mit einem Schuss wie ein Laserstrahl longline.

Die Zuschauer raunten, als hätte sie auf Court 6 gerade einen Elefanten im rosa Kleidchen verschwinden lassen.

"Ihre Erfolge überraschen mich nicht", sagt Julia Görges, die selbst die dritte Runde erreicht hat

In der ersten Runde war Witthöft noch auf Court 10 zu sehen gewesen, er bietet wenigen Zuschauern Platz, der Sechser schon deutlich mehr. Außer bei einem ITF-Turnier in Hechingen, wo auch "monsterviel los war", wie Witthöft berichtet, habe sie nie vor größerer Kulisse gespielt. Die hat sie schon beeindruckt, das gibt sie zu, doch sie geht im Grunde so fokussiert an die Grundlinie zum Aufschlag und Return wie ihr Vorbild Maria Scharapowa, die am Mittwoch das Kunststück fertigbrachte, zwei Matchbälle gegen die russische Kollegin Alexandra Panova abzuwehren, ehe sie 7:5 im dritten Satz gewann. Witthöft meidet einfach den Blick in die Menge, bleibt bei sich. "Alles ausblenden", das ist ihr Ansatz.

Möglicherweise existiert für sie, die schon erstaunlich athletisch ist, wirklich "kein Limit nach oben", wie Rittner mutig prognostiziert; und dass es wie 2013 mal ein schwierigeres Jahr gibt, gehört wohl zum Entwicklungsprozess einer Athletin, die immer noch Teenager ist. Der Respekt bei den deutschen Kolleginnen wächst jedenfalls merklich in diesen Tagen, ihre Siege "überraschen mich nicht", sagt Julia Görges, die mit 6:3, 4:6, 6:2 gegen die Tschechin Klara Koukalova bis auf Satz zwei souverän in die dritte Runde einzog. "Aber dass die Ergebnisse so klar sind", das findet sie schon erstaunlich.

Mit Görges hat Witthöft öfter trainiert, sie wohnen in der Nähe. Aber daraus abzuleiten, der Kontakt zu den Spielerinnen des Fed-Cup-Teams sei groß, wäre falsch. Man spreche miteinander, aber es sei nicht so, "dass man befreundet ist", schildert die Abiturientin, die eindeutig das erste Gesicht einer neuen deutschen Generation ist. Als Geförderte im Talentteam des Deutschen Tennis-Bundes erhält sie noch finanzielle Unterstützung, und das wird trotz der 50 188 Euro, die Witthöft in Melbourne sicher hat, so bleiben. Vorerst. Dass sie nur zwei Matches von einem Duell mit Scharapowa entfernt ist (wobei davor wohl die an Sieben gesetzte Kanadierin Eugenie Bouchard wartet), kommentiert sie mit einem flotten: "Ist doch cool."

Völlig abwegig scheint ihr der Gedanke nicht mehr zu sein, ihren Schwarm bald aus beruflichen Gründen in Melbourne zu treffen. Zum Sightseeing ist sie schließlich nicht hier.

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SZ vom 22.01.2015
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