Wenn Campbell Wright in seinem Heimatland bei den nationalen Meisterschaften antritt, trifft er auf ein sehr überschaubares Teilnehmerfeld. 15 Athleten gebe es in Neuseeland, die sich im Biathlon messen, sagt Wright. Ihr Alter: zwischen zehn und 50 Jahre. Das beschreibt ganz gut, wie besonders es ist, dass nun bei dieser Weltmeisterschaft in Lenzerheide die große Stunde des Campbell Wright schlägt: Mit gleich zwei Silbermedaillen aus Sprint und Verfolgung ist er gerade der Athlet, auf den alle schauen.
Zu Hause in Neuseeland ist Wright konkurrenzlos, aber so würde er das niemals stehen lassen: Die Snow Farm, wo er das Skifahren gelernt hat, sei ganz wunderbar, Neuseeland ein „hervorragender Ort zum Leben“, sagt der 22-Jährige, und überhaupt: die Menschen! Die Fangemeinde zu Hause sei so loyal, sagt Wright, „dass sie mir auch nach meinem schlechtesten Rennen zehn Nachrichten schreiben“.

Biathlon-WM:Ein Mann, sein Lieblingssport und die Schweiz
Michael Hartweg, ehemaliger Fintech-Unternehmer und Millionär mit Wurzeln in Freiburg, hat der Schweiz die Biathlon-WM beschert - und damit insbesondere den Nachwuchs inspiriert.
Dass Wright in der Schweiz auch als Tourismusbeauftragter auftritt, liegt vor allem daran, dass er seit zwei Jahren für die USA antritt und viel erklären möchte. Seine Eltern sind Amerikaner, Campbell Wright besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft. Und wenn nun die amerikanische Flagge im Stadion von Lenzerheide gehisst wird, dann verspürt er Dankbarkeit, aber auch ein bisschen Schmerz. Allzu gern wäre Wright im neuseeländischen Verband geblieben: „Aber die Erfolge hier wären ohne Amerika nicht möglich gewesen.“
Zu Hause in Neuseeland müsse er gar nicht erst anfangen, Leuten zu erklären, was Biathlon sei: „Das ist Zeitverschwendung, weil sie es nicht verstehen.“ Auf der Südinsel im kleinen Ort Wanaka hat Wright das Skifahren gelernt, eine Nachbarin hat ihn dazu gebracht: Sie ist Besitzerin der dortigen Snow Farm, des einzigen Skilanglaufgebiets des Landes. Der Schießstand wurde einst mit privatem Geld von Familien- und Vereinsmitgliedern errichtet, der Biathlon-Weltverband half mit Expertenwissen. Wright war erst als Skilangläufer unterwegs, der ehemalige italienische Biathlet Luca Bormolini brachte ihn bei seiner Trainerstation in Neuseeland zum Schießen.
Für die US-Amerikaner ist Wright ein großes Geschenk, sind sie doch selbst noch dabei, eine starke Biathlonnation zu werden
Doch um sich als Profi zu behaupten, brauchte es mehr als Wrights Leidenschaft und Talent. „Wenn du aus Neuseeland kommst und denkst, du machst Biathlon, siehst du, dass das gar nichts ist im Vergleich zu dem, was die Europäer machen“, sagt Wright. Also suchte er sich in Europa andere „Biathlon-Flüchtlinge“, wie er sie nennt, aus kleineren Nationen, war zum Training im Sommer viel in Italien auf Skirollern unterwegs. Hauptsächlich, um sich mit anderen messen zu können, aber so lassen sich auch Kosten sparen, für Unterkünfte oder Transport. Und natürlich: Eine Gruppe aus Gleichgesinnten um sich zu haben, motiviert dann doch mehr, als Leuten erst mal den Sport erklären zu müssen, mit dem man seinen ganzen Tag verbringt. „Es ist total schön, Menschen um mich zu haben, die mich verstehen und dasselbe Leben leben und genauso viel reisen wie ich“, sagt Wright.
2021 gab er sein Weltcupdebüt, doch je mehr Profiluft er schnupperte, desto klarer wurde ihm, dass es für den Sprung in die Weltspitze auch die richtigen Rahmenbedingungen braucht. Spezialisten, die sich um das Wachsen der Ski kümmern, Physiotherapeuten, Köche oder ganz simpel: Schießtrainer. Kosten, die der neuseeländische Verband nicht auf sich nehmen konnte. „Ich war glücklich und dankbar dafür, was ich dort bekommen habe“, sagt Wright, aber mit den Möglichkeiten zu trainieren, die Amerika bietet, das sei eine „ganz andere Nummer“. Und nun hat er auch genug Teamkollegen, um in einer Staffel mitzurennen.
Seine zwei Silbermedaillen in Lenzerheide waren zwar die ersten Podiumsplätze im Erwachsenenbereich, aber die Konkurrenz hat ihn durchaus schon zuvor registriert: 2023 wurde er Juniorenweltmeister im Sprint. Eine besondere Errungenschaft, weil es da am meisten auf Schnelligkeit ankommt, der Druck am höchsten ist. Diesen Erfolg nahm damals auch Johannes Thingnes Bö zur Notiz. „Wenn du bei den Großen etwas gewinnen möchtest, musst du diesen Titel auch gewinnen“, sagte Bö nun nach der Verfolgung in Lenzerheide, und auch das: „Er hat ein beeindruckendes Rennen gemacht. Wenn ich einen Fehler mehr geschossen hätte, wäre er hier Weltmeister geworden.“
Und so lieferte Wright dann auch die erfrischendsten Szenen dieser WM: Als er in der Verfolgung beim entscheidenden vierten Schießen auch das letzte Projektil erfolgreich ins Ziel gebracht hatte, schaute er plötzlich völlig erschrocken, überrascht von sich selbst und seinem zweiten Platz. „Wenn ich dafür Worte finden würde, würde ich ein Buch darüber schreiben“, sagt Wright.
Für die US-Amerikaner ist Campbell Wright ein großes Geschenk, sind sie doch selbst noch dabei, eine starke Biathlonnation zu werden. Mit Rang 18 in der Gesamtwertung des Weltcups ist Wright momentan ihr bester Mann, dahinter liegt Maxime Germain gerade mal auf Platz 45. Erst vier Amerikaner konnten vor dem Exil-Neuseeländer Wright eine WM-Medaille in einem Einzelrennen gewinnen. Entsprechend groß war nun auch die Euphorie beim Betreuerteam. Schon nach dem erfolgreichen Sprintrennen hatten sie sich zur Einlösung eines Wetteinsatzes die Haare abrasiert. „Ich weiß nicht, was sie jetzt noch rasieren können“, sagt Wright. Aber, so hört man auch von der Konkurrenz: Für weitere Anlässe wird dieser Campbell Wright schon sorgen.